Der Weisheit letzter Schluss – Nie wieder Krieg

Meinung

Ein kommentierender Wochenrückblick – KW 15/24

Das titelgebende Bekenntnis, das der 1945 – noch vor dem Ende des 2. Weltkriegs – geschaffenen Charta der Vereinten Nationen (UN) als Grundlage diente, war noch vor deren Beschluss und Ratifizierung Makulatur. Man hat also schon damals wissen können, was jene, denen wir regelmäßig die Verantwortung für uns und die Welt übertragen, von solchen Visionen halten. Basierend auf Immanuel Kants philosophischem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ haben die 51 Gründungsstaaten der UNO im Mai bzw. im Oktober 1945 dieses Dokument unterzeichnet, das dann am 24.10. jenes Jahres in Kraft trat. Davor aber explodierte in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe; ebenso kam es noch vor dem Inkrafttreten der Charta zu den beiden verheerenden Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki.

Auch die Umtextung des Slogans lässt meines Erachtens tief blicken. Es macht einen Unterschied, ob ich mich gegen den Krieg ausspreche – was als Vision noch tragbar ist – oder für einen ewigen Frieden – was man schnell als Utopie abtun kann. Und so kam es denn auch, diesem immerwährenden Friede, den Kant in seiner Schrift als Ziel menschlichen Handelns sieht, die Spitze zu nehmen und ihn durch ein „Nie wieder Krieg“ zu ersetzen, ein kleiner, feiner aber bedeutender Unterschied. Und so ist es auch heute noch so, dass Friedensbewegte schnell der Seite des jeweiligen Gegners zugerechnet werden und das ein Gleichgewicht der Waffen bzw. Waffen an sich als Friedensgaranten gelten. Das Problem dabei: mit dem Besitz von Waffen lässt sich nicht bloß drohen, sondern sie können blitzschnell tatsächlich eingesetzt werden. Wir sehen das tagtäglich auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt, die genau dadurch entstanden sind, dass eine Seite aus dieser angeblichen Balance ein Übergewicht angestrebt hat und ihre Interessen mit Hilfe der Waffen in ihrem Besitz gewaltvoll durchzusetzen begann. Krieg ist ja in mehrfacher Hinsicht ein einträgliches Geschäft und wird daher – wenn wir nicht bereit sind, unsere Bewusstseinsebene zu ändern – immer wieder an verschiedenen Ecken und Enden der Welt aufflammen.

Sie kennen mein Credo, liebe Leserinnen und Leser. Was im Kleinen nicht umgesetzt wird, wird sich auch im Großen nicht durchsetzen (lassen). Kürzlich habe ich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit – wie Sie vielleicht wissen, arbeite ich als Journalist derzeit noch unentgeltlich, aber mit viel Liebe und Freude – eine Gruppe von elementarpädagogischen Fachkräften einen Tag lang in Sachen Gewaltfreie Kommunikation begleiten dürfen. Diese von Marshal B. Rosenberg entwickelte Strategie fußt auf der Annahme, dass hinter jeder Handlung, die ein Mensch setzt, ein oder mehrere Gefühle stecken, hinter denen dann wiederum ein oder mehrere Bedürfnisse stehen. Daher kam er zum Schluss, dass Selbstempathie und Empathie und eine darauf aufbauende wertschätzende, authentische und ehrliche Kommunikation von zentraler Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen ist. Wem es gelingt, seine eigenen Bedürfnisse angemessen zu äußern bzw. die Bedürfnisse anderer liebevoll wahrzunehmen, der vermeidet damit, unangemessene Handlungen zur Durchsetzung seiner Bedürfnisse und Interessen in die Welt zu bringen. Eine geniale Strategie wie ich meine; und ein absolut notwendiger Leitfaden, den wir dringend von Kindesbeinen an lernen sollten. Stattdessen regieren nicht nur in der Welt, sondern auch in der einen oder anderen Kinderstube immer noch Autorität, Drohung und Gewalt, die sich auch strukturell äußern kann – vor allem dort, wo ein Recht durch eine Pflicht gewährt wird.

In einem Beitrag zu den „Friedensnoten“ im Online-Magazin MANOVA vor etwas mehr als einem Jahr, der auf Radio München auch als Podcast veröffentlicht wurde, habe ich mir auf Basis des Liedes des deutschen Liedermachers Reinhard Mey mit dem Titel „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“ Gedanken dazu gemacht, wie man einen Krieg beendet: in dem man ihn nämlich nicht beginnt. Wenn ein Konflikt in eine heiße Phase wechselt, dann haben beide Seiten schon verloren.

Die heiße Phase in einer Auseinandersetzung beginnt aber nicht erst mit dem Einsatz von Waffengewalt. Sie beginnt dort, wo man sich mit Misstrauen begegnet. Sie beginnt dort, wo man einem Menschenbild frönt, dass den anderen als potentiellen Täter brandmarkt. Sie beginnt dort, wo man das Vertrauen in das Gute, Wahre und Schönen fahren lässt und sich von der Utopie und der Vision zugunsten von Dystopien verabschiedet. Das, was den meisten schadet, nutzt einigen wenigen bzw. nutzen einige wenige aus. Wer die Macht haben will, muss Angst säen; denn Angst erzeugt Führungswunsch, Unterordnungswillen und Kadavergehorsam. Wenn man den Schutz der Gruppe verlässt oder verliert und auf sich alleine gestellt ist, ist man in akuter Lebensgefahr – ein alter Reflex der ursprünglichsten Regionen unseres Gehirns. Wer darum weiß, kann sich dieser Tatsache bedienen – oder sie auch erkennen und Angstmache und dystopisches Gedankengut relativieren oder sogar zurückweisen. Ich empfehle letzteres dringend um des eigenen Seelenheils und der Zukunft unserer Welt willen. Nur wer klar denkt, kann die notwendigen Lösungen finden. Und die gibt es. Bestimmt.

Versuchen wir diese Mechanismen anhand der Ereignisse der letzten Woche genauer unter die Lupe zu nehmen.

In einem Interview mit der Kleinen Zeitung hat sich Bundeskanzler Nehammer am 12.4. d. J. wieder einmal deftig geäußert. „Wir machen tabula rasa mit den Feinden des Staates“, sagte er in diesem Rahmen vollmundig und bezog sich auf die Spionageumtriebe in Österreich, die kürzlich aufgedeckt wurden – nicht ohne im gleichen Satz die FPÖ und den ehemaligen Innenminister Kickl dafür verantwortlich zu machen. Die Nachfrage des Interviewers, dass der von ihm Genannte nur 18 Monate lang Innenminister gewesen sei und davor 20 Jahre lang die ÖVP Verantwortung getragen habe, beantwortete der Regierungschef mit einer seiner nicht auf die Frage eingehenden Tiraden, die ich hier gerne im Wortlaut wiedergebe: „Der Punkt ist, wo gibt es von dieser Person, die verdächtigt wird, einen Nahebezug? Und wenn es dazu weitere Ableitungen gibt, wie besondere Russlandfreundlichkeit, ein nie aufgekündigter Freundschaftsvertrag, Argumentation beim Angriffskrieg auf die Ukraine, die fast ident ist mit jener des Putin-Sprechers – dann sind das Merkmale, die man ernst nehmen muss.“ Nicht nur in diesen Worten sondern auch in seiner Grundhaltung gehört Nehammer für mich daher zu jenen, die grundsätzliches Misstrauen säen und damit zu einer Haltung beitragen, die zu gegenseitiger Verdächtigung, Denunziation und Spaltung der Gesellschaft führen kann. Man könnte die Dinge ja auch pragmatisch sehen und sich der Tatsache erinnern, dass, wo Spionage ist, Gegenspionage und die Existenz von Doppelagenten nicht fern sind. Dass man, wenn man in diesem Bereich tätig oder für diesen verantwortlich ist, da immer auch ein Auge drauf haben sollte, ergibt sich völlig logisch. Wenn man das nicht macht, hat man den Salat, den man nun eben hat.

Bleiben wir noch kurz in Österreich, wo die Kanzlerpartei am vergangenen Sonntag in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck von den Wählern eine deftige Watschen bekommen hat. Deren Spitzenkandidat, der ehemalige Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky kam im ersten Wahlgang nur auf Platz 5 und verpasste damit die Stichwahl gegen den amtierenden grünen Bürgermeister Georg Willi meilenweit. Dieser darf sich zwar auf seinen vorläufigen Sieg freuen, muss sich aber in knapp zwei Wochen mit dem ehemaligen ÖVP-Vizebürgermeister, der diesmal an der Spitze einer Namensliste angetreten ist, matchen. Es könnte also zu einem Wechsel an der Spitze der Stadt kommen. Bis dahin aber müssen sich die Innsbrucker noch jede Menge verbalen Schlagabtausches geben, der einen spätestens immer dann verblüfft zurücklässt, wenn sich die Kontrahenten nach der Wahl auf ein Packel hauen und Einigkeit demonstrieren. Gewaltfreie Kommunikation schaut anders aus – und wäre dennoch ein probates Mittel, um sich Inhaltlich auseinanderzusetzen: sachlich, ehrlich und wertschätzend.

Diese Zustände der österreichischen Politik – die jener in anderen Ländern um nichts nachsteht – hat auch der ehemalige steirische Landeshauptmann Franz Voves kritisiert. Er spricht in diesem Interview von den „zukunftsfreien Inhalten“ der Parteien, wünscht sich ein rot-türkises Kooperationsabkommen vor den Wahlen und meint, dass U-Ausschüsse vor Wahlen Rufschädigung seien. Abschließend konstatiert er durchaus treffend: „Wir haben die schwierigsten Zeiten und die schwächsten Politiker, keine glückliche Konstellation“. Tatsächlich ist das einende Gespräch trotz inhaltlicher Differenzen einer den Politikern längst abhanden gekommene Fähigkeit. Daher muss man davon ausgehen, dass diese im Fall von Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten schnell zur Eskalationskeule greifen, die dann schneller als gedacht zu Situationen führen kann, in denen statt zu weiteren Worten zu den Waffen gegriffen wird. Welch eine Unverantwortlichkeit!

In eine solche für viele Menschen unerträglichen Situation haben uns auch die Staats- bzw. Regierungschefs des Iran und Israels gebracht, die den ewig schwelenden Konflikt im Nahen bzw. Mittleren Osten nun offenbar so aufzuheizen bereit sind, dass ein neues Kriegsgebiet entstehen könnte. Nach einem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus, für die Teheran Israel verantwortlich macht und bei der Top-Militärs zu Tode gekommen sind, hat sich die Führung des Iran dazu entschieden, Israel mit einem militärischen Gegenschlag mittels Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen zu antworten. Diese – so das israelische Militär – seien zu 99 Prozent abgefangen worden. Dessen ungeachtet spricht Teheran von einer erfolgreichen Operation, man habe Israel bewiesen, dass man sich zu wehren wisse und sich vom „Erzfeind“ nichts gefallen lasse. Nach einigen Tagen des Nachdenkens hat sich nun das israelische Kriegskabinett dazu entschieden, zu geeigneter Zeit an einem geeigneten Ort eine militärische Antwort zu geben. Der Angriff auf das iranische Konsulat wurde von der UNO als Verstoß gegen die UN-Charta gewertet, der Gegenschlag des Iran führte zu einer Solidarisierung der westlichen Welt mit Israel und zu weiteren Sanktionen gegen das Regime in Teheran seitens der USA und der EU. Die Situation gemahnt an so manchen persönlichen Streit, der in Schlag und Gegenschlag eskaliert und letztlich dazu führt, dass man sehenden Auges gemeinsam in den Abgrund rennt. Was im Kleinen schon tragisch genug ist, kann sich im Großen zu einer fürchterlichen Katastrophe aufbauschen, die Millionen von unschuldigen Menschen mit in diesen Abgrund reißt. Die Welt steht vor wesentlicheren Herausforderungen und es tut dringend Not, sich auf diese und eine Kooperation zur Bewältigung derselben zu konzentrieren. Aber das ist und bleibt wohl ein Traum …

Auf EU-Ebene hat sich Ursula von der Leyen zur Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) bestellen lassen, obwohl sie keinerlei Ambitionen hat, tatsächlich ins EU-Parlament einzuziehen, sondern auf eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin hofft. Um unangenehmen Fragen im Hinblick auf den von ihr in die Wege geleiteten „Pfizer-Deal“ bezüglich Impfstoffbestellungen in der Covid-19-Hochphase und dem „Freundschaftsdienst“ an dem mittlerweile zurückgetretenen EU-Mittelstandsbeauftragten Markus Pieper (Stichwort „Piepergate“) zu entgehen, ist sie trotz ihrer Spitzenkandidatur nicht bereit, Interviews zu geben oder an Diskussionsrunden im Vorfeld der Wahl teilzunehmen. Umfragen zufolge darf die EVP mit einem ungefährdeten Wahlsieg rechnen, die Wiederbestellung von der Leyens allerdings gilt als keineswegs sicher, weil diese vom Europäischen Rat (dem die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, der Präsident des Europäischen Rates und der Präsident der Europäischen Kommission angehören) nominiert und vom Europäischen Parlament gewählt werden muss. Über ihre Zukunft muss sich die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin allerdings keine Sorgen machen: sie wird auch als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten einer Generalsekretärin der NATO gehandelt. Bei soviel Mauschelei und der damit verbundenen Unehrlichkeit ist es kein Wunder, wenn sich die Wähler in ihren Bedürfnissen nicht wahrgenommen oder – um es deftiger auszudrücken – verarscht fühlen. Womit auch ich nun den hehren Pfad gewaltfreier Kommunikation verlassen habe, um ihn aber gleich auf’s Neue zu gehen zu versuchen. Die Welt braucht auch eine Abrüstung der Worte.

Wer, wenn nicht wir Älteren und G’standenen, können, sollen, ja müssen der nachfolgenden Generation ein Vorbild sein. Franz Voves hat in seinem weiter oben von mir zitierten Interview auch auf die Jugend Bezug genommen, die sich ob all dieser Ereignisse der Hoffnungslosigkeit ausgesetzt fühlt und sich immer häufiger als „last generation“ sieht. Anstatt an den Grundfesten unseres misslingenden Zusammenlebens zu rütteln und diese endlich zu erneuern, schlagen wir uns mit Regelungen herum, wie wir junge Menschen daran hindern können, aus dieser Welt zu fliehen. In der Steiermark geht demnächst eine Novellierung des Jugendschutzgesetzes in Begutachtung, dass den Konsum von Nikotinbeuteln für Unter-18-Jährige verbieten will. Geplant war auch ein Verbot von koffeinhaltigen Energy-Drinks, was sich aber im aktuellen Entwurf nun doch nicht wiederfindet. Diese Regelung soll also demnächst im grünen Herzen Österreichs gelten, weil Jugendschutz Bundesländersache ist. Besser als eine weitere Kontrolle einzuführen, wäre allerdings das Gestalten und Schaffen von nachhaltigen Zukunftsperspektiven, dass jene, die auf der Suche nach ihrer Identität und dem zugehörigen Lebenssinn sind, nicht in der Sucht enden, sondern finden, was ein Leben wertvoll macht.

Es gibt viel zu tun und ein jeder kann seinen Beitrag dazu leisten. Beginnen wir im eigenen Umfeld mit jenen Hausaufgaben, die uns Marshal B. Rosenberg in seinen Ausführungen zur Gewaltfreien Kommunikation mitgegeben hat: eigene Bedürfnisse und jene der anderen einfühlsam wahrzunehmen, authentisch und ehrlich zu äußern bzw. dem anderen zuzuhören und einander damit besser verstehen zu lernen.

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WG – 2024 KW15-DE-PC Wolfgang Müller CC BY-SA 4.0
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