Auszeit im Kloster

Lebenswelten

Wie ich meinem wahren Inneren nahe kam

Null Ablenkung. Geschärfte Sinne, die erkunden wollen. Ein klar strukturierter Tag, in denen Gedanken frei kreisen können. So kommen alte hoch und ordnen sich plötzlich. Erfüllt, fokussiert und bestärkt kehrte ich nach einer Auszeit bei den Mönchen der Abtei Münsterschwarzach zurück in meinen Alltag. Arbeiten, lesen, schreiben, in Büchern stöbern, spazieren gehen und tiefe Gespräche führen – all das und noch viel mehr fand ich in meiner Woche im Rhythmus der Benediktinermönche der Abtei Münsterschwarzach bei Würzburg. Ich spürte eine innere Erfüllung und Ruhe wie schon sehr lange nicht mehr. Jeder Moment als Abtei-Gast war erfüllt von sinnvoller Beschäftigung, mein Kopf war klar und aufnahmefähig, mein Geist offen für Neues. Mir kamen die interessantesten Gedanken, ich konnte viel klarer beobachten und meine Träume waren so lebhaft wie sonst nicht. Endlich kam mein Bauch zu Wort, gab meinem Kopf Impulse und mein Herz konnte fühlen.
In der Hoffnung, dass mir die Erfahrung helfe, klarer zu werden und um nichts davon zu vergessen, wurde ein buntes Notizbuch mein treuer Begleiter. Ich schlug es mehrmals am Tag auf, manchmal auch nur, um einen Satz oder einen Namen zu notieren. Mit Gefühlen, Eindrücken, Gedanken, Beobachtungen und Wissen aus Büchern, die ich in der Abtei fand, füllte ich Seite für Seite. Am letzten Tag empfand ich beim Schreiben zum ersten Mal ein „zu viel“. Es ermüdete mich und fühlte sich auf einmal mehr wie eine Pflichtübung als ein Impuls von innen an.


Die große Aufgabe: Zu mir finden und auf mein Innerstes hören

Also schränkte ich das Dokumentieren ein. Denn ich suchte Ruhe und inneren Frieden, um meinen Glauben und meine Beziehung zu Gott zu stärken; und um zu entdecken, was passiert, wenn ich mich für ein paar Tage voll und ganz darauf einlasse. Wer nicht an Gott glaubt, für den ist das Kloster nur ein stiller Rückzugsort vom Außen. Nur wer sich auf die Reise macht und auf den Glauben einlässt, kann von diesem Ort wirklich etwas mitnehmen, behaupte ich. Ansonsten reicht auch eine Auszeit am Meer oder in den Bergen.
So finden in der Abtei Münsterschwarzach nicht nur 70 Mönche ein Zuhause, sondern jedes Jahr auch 28.000 Menschen Ruhe, Einkehr und Besinnung. „Wenn ich die vier Türme sehe, weiß ich, dass ich zuhause bin.“ Das sagte der wohl bekannteste Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, Anselm Grün, der über die Klostermauern hinaus bekannt und innerhalb an vielen Ecken präsent ist. 25 Kilometer südlich von Würzburg tauchen die steinernen Türme wie Bauklötze plötzlich am Horizont auf und machen Schwarzach zu einem belebten Ort, der voll und ganz im Zeichen der Abtei steht. Seine Abgeschiedenheit ist sicher eines der Erfolgsgeheimnisse: Wer abschalten und sich mit „innen und oben“ verbinden will, ist hier genau richtig.


Beten, arbeiten, lesen und essen – und wiederholen

Das Gästehaus versorgte mich mit guter, bürgerlicher, gesunder Küche und Zutaten aus dem Kloster-Garten. Drei Minuten waren es zur Abteikirche – sehr vorteilhaft, als ich mich um 4.45 Uhr aus dem Bett und in drei Schichten Kleidung schälte um müde zur Morgenhore in der kalten, schlichten Kirche zu gehen und dort dem meditativen Beten der Mönche zu lauschen. Es war wie eine Krafteinheit, in der ich Ruhe empfand und ganz bei mir (und Gott) war. Müde und planlos, wie ich die zwei Stunden bis zum Frühstück verbringen sollte, legte ich mich wieder ins Bett. Gestärkt etikettierte ich anschließend im klostereigenen Fair-Trade-Laden Importiertes aus aller Welt, packte Pakete von Übersee aus, verstaute sie und füllte Regale auf. Pünktlich vor der Mittagshore war um 12 Uhr Schluss und nach einem stärkenden Mittagessen war genug Zeit zum Spazieren, Schreiben und Lesen. Dann ging es zur Vesper (Gottesdienst), zum Abendessen und nach dem Konvent (dem letzten gemeinsamen Gebet) war der Tag gegen 20 Uhr vorbei. Durch die klare Struktur plagte mich der Gedanke, womit ich heute meinen Tag fülle und wie ich ihn möglichst sinnvoll verbringe, nicht – offensichtlich gefiel das Kopf und Herz sehr: Gedanken sprudelten, Gefühle waren ganz klar, mein Kopf ratterte.
Für eine Auszeit und zur Selbstfindung ist ein Kloster ideal. Es ist aber auch eine Blase, vor deren Pforten sich das reale Leben abspielt. Es erscheint wie eine Bastion der Ruhe, des Friedens und der Ordnung in einer sich immer schneller drehenden Welt, in der Moral, Zwischenmenschliches, Hoffnung und ein Leben im Rhythmus (mit) der Natur auf dem Rückzug sind. Der Aufenthalt schärfte meinen Blick für mein Umfeld und mein Verständnis für die vielen Menschen, denen ich jeden Tag begegne. Erst nach der Zeit dort konnte ich überhaupt wahrnehmen, wie hektisch der Alltag ist, wie heterogen unsere Gesellschaft mittlerweile ist, wie viel Armut es trotz des Wohlstands gibt, wie anonym und gestresst wir sind und wie sehr wir aneinander vorbeileben. Weil fast jeder ins Handy starrt, nimmt sich niemand mehr wirklich Zeit, sich mit den eigenen Gedanken zu beschäftigen und den Moment einer kurzen Auszeit zu genießen. Das nimmt so viel vom Hier und Jetzt, vom Präsent-Sein und von der Art, wie ich auf andere zugehe. Weil ich aber nicht ständig ins Kloster verschwinden kann, um dem Stress und dem Negativen zu entfliehen, muss ich einen Weg finden, den inneren Frieden und die Ruhe in meinen Alltag zu integrieren. Die Auszeit zeigte mir, dass ich vertrauen kann, dass ich auf dem richtigen Weg bin und geführt werde.


Dann hatte mich mit einem Mal die Außenwelt wieder

Als ich am fünften Tag meinen Koffer vor die Klostermauern rolle und später in Würzburg aus dem Bus steige, steigt auch der Anspannungsgrad plötzlich wieder. Ich werde wachsam für meine Umgebung, weil ich ganz plötzlich im Getümmel, im Lärm bin, mittendrin in der bunten Vielfalt an Menschen. Als mich der Zug in Frankfurt ausspuckt, wird mir erst klar, wie ruhig und friedlich es im Kloster war: Hier geht es kreuz und quer durcheinander, Diesel-Loks brummen, überall ertönen Durchsagen aus Lautsprechern, ich nehme das Stimmengewirr, klingelnde Handys und das Geklapper von Kofferrollen auf dem dreckigen Fliesenboden als extrem, fast als aggressiv wahr. Der Frankfurter Hauptbahnhof holt mich mit aller Brutalität zurück in die Realität.
Ich warte vollkommen entspannt und in mich gekehrt. Neben mir zieht der Strom an Reisenden vorbei, die Köpfe gesenkt, auf ihre Smartphones starrend, während meines so tief wie nur möglich in der Tasche bleibt – nur kurz werfe ich einen Blick auf die Abfahrtszeit meines Zugs, während alle Apps sonst gesperrt sind. Willkommen in den Leben vor den Klostermauern, im Leben hart arbeitender Menschen. Aus dem Augenwinkel nehme ich sie nur als vorbeiziehende Schatten wahr und bilde mir ein, es seien die Habit-Säume der Mönche, die über den dreckigen Boden schweben. Ich höre viele ferne Sprachen, die halbe Welt scheint zu Gast am Frankfurter Hauptbahnhof zu sein. Auf einmal stellt sich mir die Frage: Was bleibt von den fünf Tagen? Wie bewahre ich mir diese Ruhe, die Gelassenheit, den inneren Frieden und die Zuversicht, dass alles wird und ich beschützt bin?
Ich lächele den Menschen zu, die mir entgegenkommen, aber alles erscheint mir so anonym, fast jeder hat den Blick auf sein Smartphone gerichtet, telefoniert laut oder lässt die Nachbarn ungefragt seine Musik mithören. Ein Mann lässt sich hinter mir regelrecht auf einen Sitz fallen. Ich bemerke, dass er ein wenig streng riecht. Er sitzt nach vorne gebeugt da, ist anscheinend auf sich allein gestellt. Ich überlege, ob ich ihn ansprechen und meine Hilfe anbieten soll. Es ist fast 20 Uhr, die Bahnhofshalle leert sich ein wenig. Mein Zug fährt gleich. „Entschuldigung, darf ich Ihnen einen Muffin anbieten? Ich komme vom Kloster Münsterschwarzach und habe dort zwei gekauft.“ Er schaut auf, streckt sofort eine Hand aus, nimmt die Bäckertüte entgegen und murmelt „Danke“ in seinen grauen Bart. Seine Hände nesteln schon an der Tüte, als mir sein Blick auffällt: Leere Augen, in denen Sorge und ein Hauch Hoffnungslosigkeit liegen. Ich will ihm einen Segen wünschen, überlege dann aber und lasse ihn in Ruhe essen. „Gib, was du hast und geben kannst – und manchmal auch ein bisschen mehr. Aber sprich nicht darüber und erwarte nichts zurück.“ – Vielleicht kann ich auch so Gottes Güte mir gegenüber weitergeben und für andere auch außerhalb der Klostermauern wirken lassen, wenn ich selbst in mir ruhe und inneren Frieden finde.

Credits

Image Title Autor License
Blog – Auszeit im Kloster-DE-IPHP-V2 Wolfgang Müller CC BY A 4.0

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