Wirtschaft 4.0 – Schöne neue digitale Welt?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 18. 11. 2016
- Veranstalter
- Grüne Wirtschaft
- Ort
- Albert Schweitzer Haus
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Isolde Charim, Philosophin, Publizistin und wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien
- Manfred Füllsack, Professor für Systemwissenschaften an der Uni Graz
- Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee
- Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, Moderator
Der Abend war erstaunlich gut besucht, der Saal im Albert Schweitzer Haus brechend voll. Ich war sehr gespannt auf diese Diskussion, vor allem, da mir die „4.0“-Begriffe in letzter Zeit immer häufiger über den Weg laufen. Von „Industrie 4.0“ bis hin zu „Mittelstand 4.0“ scheinen alle Bereiche der Wirtschaft davon betroffen.
Aber was darf man sich unter diesem ominösen „4.0“ vorstellen? Herr Marx brachte es dankenswerterweise gleich zu Beginn auf den Punkt:
‚4.0‘ ist eine Terminologie, die ausschließlich in Deutschland und – von dort entlehnt – auch bei uns in Österreich verwendet wird. Der Rest der Welt spricht schlicht von Digitalisierung.
Wir sehen uns im Rahmen dieser exponentiell voranschreitenden Digitalisierung mit einer fast unüberblickbaren Flut an Veränderung konfrontiert, die vor allem Ängste schürt. Genau diese Ängste waren unterm Strich das „geheime“ Kernthema dieser Veranstaltung.
Einig war man sich darin, dass sich alles verändert – und das in einem ungeheuren Tempo. Wir leben in einer Zeit, in der die ganze Welt mit Sensoren ausgestattet wird. Wir können alles in Echtzeit erfassen, drahtlos übertragen und die Daten auf schier unendlichem Speicherplatz in die Clouds dieser Welt ablegen. Die Auswertung dieser Daten ist ja schon länger ein Thema.
Alles wird gut
Manfred Füllsack stand für die Vision, dass am Ende dieser Entwicklung Arbeit im Wesentlichen automatisch erledigt wird und dass wir uns systemisch v.a. um die Verteilung der Produktionsgewinne kümmern müssen. Er erkannte aber auch richtig, dass diese Entwicklung letztlich vor allem auf Kosten der Mittelschicht geht. Schließlich betrifft die Digitalisierung nicht mehr nur Routinearbeiten, sondern jede Form der rationalisierbaren Arbeitsplätze.
Gleichzeitig gibt Füllsack zu bedenken, dass sich viele dieser Entwicklungen letztlich verzögern werden. So gibt es ja noch immer Lokführer, auch wenn es rein technologisch nicht mehr zwingend notwendig wäre.
Charim, die regelmäßig in der Wiener Zeitung und der TAZ publiziert, ging es vor allem um die Identitätsfrage und den drohenden Souveränitätsverlust des Individuums. Wir haben uns Jahrhunderte lang über Produktionsarbeiten definiert. Was wir arbeiten und leisten, definiert stark, wer wir sind, beeinflusst unsere politische Einstellung, natürlich die Politik selber und noch unzählige andere Lebensbereiche.
Die Entwicklung, der wir im Rahmen der Digitalisierung ausgesetzt sind, schafft daher gesellschaftlich betrachtet Identitätsverlust. Charim stellt in ihrer pointiert philosophischen Art und Weise fest, dass es letztlich auf die gesellschaftliche Phantasie im Umgang mit unseren Dystopien ankommt, denen wir geradezu verfallen sind.
Marx, als gelernter Jurist, sieht gleichermaßen die Chancen, wie die Risiken in dieser Thematik und betrachtet die Digitalisierung in erster Linie als Werkzeug. Demzufolge liegt es an uns, wie wir dieses Werkzeug benutzen. Er stellt auch fest, dass die Digitalisierung zu einer Konvergenz der Arbeitsplätze führt.
Arbeitsplätze sehen immer gleicher aus: Jemand sitzt – zumindest einen immer größeren Anteil seiner Arbeitszeit – vor einem Computer. Im Idealfall nutzen wir die absolute Transparenz aber dazu schlauer zu werden. Marx stellt dem gegenüber jedoch vor allem die Frage nach der Qualität und den Spielregeln.
Alles wird automatisiert. Das führt dazu, dass feste Strukturen sich auflösen. […] Das Recht läuft solchen Entwicklungen immer zehn bis zwanzig Jahre hinterher.
Claudius Marx
Natürlich wurde an diesem Abend sehr oft auf die vorangegangen „stillen“ Revolutionen verwiesen, die wir ja auch überlebt haben, sowie auf den Fordismus und seine Folgen. Während großflächig Arbeitsplätze der Entwicklung zum Opfer fielen, entstanden ja gleichzeitig neue Arbeitsbereiche. Lediglich Marx gab zu bedenken, dass die Personen, die solchen Veränderungen zum Opfer fallen, nie – oder nur selten – die gleichen sind, die die neuen Chancen nutzen können.
Unterm Strich war der Tenor an diesem Abend jedoch: „Alles wird gut!“
Schöne neue Welt?
Die Digitalisierung mag zwar einen – vielleicht sogar erheblichen – Anteil an den Problemen unserer Zeit haben, aber ich glaube, wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir tatsächlich davon ausgingen, dass das des Pudels Kern wäre.
Wir sind in dem glücklichen Umstand zu wissen, dass wir inmitten einer Revolution stecken und es kommt, wie Charim es richtig auf den Punkt brachte, auf die gesellschaftliche, auf unsere Phantasie an, mit diesen massiven Veränderungen umzugehen.
Wir werden die Lösungen dieser Probleme nicht über Nacht entwickeln können. Gerade deswegen finde ich es umso wichtiger, dass wir uns mit diesen Themen in einer möglichst breiten Öffentlichkeit auseinandersetzen, aktives Interesse zeigen und nach möglichst inkludierenden Wegen suchen, dieser „neuen Welt“ zu begegnen.
Wir müssen die Angst vor der Zukunft abschütteln. Auch und vor allem, weil es nicht die EINE Gesamtlösung geben wird. Auch und vor allem, weil sich diese Entwicklung gleichermaßen als Chance, wie als Risiko entpuppen kann. Oder in den Worten Joachim Gaucks:
Es liegt an uns, Veränderungen nicht zu fürchten, sondern sie als Aufgabe anzunehmen.
Alles in allem also ein höchst wertvoller Abend.
Euer
Christian Avgulas
Beitragsbild: Bianca Traxler CC BY-SA 4.0
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cc_biancatraxler-18 | Bianca Traxler | CC BY-SA 4.0 |