Wieso setze ich mich für DIE Männer ein, wenn es DIE Männer gar nicht gibt?

Civil Rights March on Washington, D.C. (Dr. Martin Luther King, Jr. and Mathew Ahmann in a crowd.) - NARA - 542015 - Restoration
Meinung

Ich antworte mit einer Gegenfrage: Wieso kann ich mich für Schwarze einsetzen, wenn es DIE Schwarzen gar nicht gibt? Oder, noch etwas krasser: Warum hätte man sich für DIE Juden einsetzen sollen, wenn es DIE Juden gar nicht gibt?

Schon darin liegt das erste Missverständnis: Ich setze mich nicht für DIE Männer ein, sondern nur für jene, die von Diskriminierung betroffen sind – und nur in den nötigen Bereichen, wo Diskriminierung stattfindet. Und zwar deshalb, weil es nicht darum geht, wie man sich selbst definiert, sondern wie man von außen definiert wird.

Ich befinde mich nicht in der Männerbewegung (Männerpartei) oder setze mich nicht gegen Diskriminierungen, wie z.B. die Beschneidung vom Buben, ein, weil ich irgendwie der Meinung bin, Männer seien grundsätzlich anders als Frauen, sondern weil hier männliche Kinder von Geburt an in eine Gemeinschaft gezwungen werden, dort aufzuwachsen und sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu fügen. Ihr Schutz wird dabei erwiesenermaßen gesetzlich anders behandelt als der von kleinen Mädchen.

Begründet wird das durch die biologischen Unterschiede. Ähnlich war es früher auch mit der Abstammung, Hautfarbe und Ähnlichem: Es wurde einer Gruppe von Menschen aufgrund biologischer Unterschiedlichkeit gewisse Verhaltensweisen oder eine Form von Schutzwürdigkeit zugeschrieben, die sie dann auch im Kollektiv hätten; dabei isolierte man diesen unterschiedlichen Aspekt und verknüpfte ihn mit einer Unterschiedlichkeit, die ebenfalls nachweisbar gewesen ist. Dass andere Faktoren als dieser eine isolierte Aspekt für ein etwaiges Verhalten ausschlaggebend hätten sein können, wurde dabei missachtet.

Es gibt in dieser Hinsicht zwei unterschiedliche Weisen, die Welt zu sehen – und beide haben Auswirkungen auf alle Menschen. In der einen Sicht ist Geschlecht das Zentrale und das Menschsein dreht sich nur um dieses. In der anderen ist Geschlecht nur eine Eigenschaft wie Haar, Haut- oder Augenfarbe, dann dreht sich das Geschlecht um das Menschsein. Welcher Weltanschauung man angehört, bestimmt man nur selber.

Für mich ist das Menschsein zentral und das Mannsein nur ein zufälliger Aspekt. Kein Teil meines Verhaltens lässt sich nur auf diesen geschlechtlichen Aspekt reduzieren, nicht mal Sexualität, obwohl diese sehr nah an so etwas herankommt.

Wie viel von unserem Verhalten derzeit von unserem weiblichen oder männlichen Geschlecht von Geburt an abhängt, davon, ob man mit Y-Chromosom geboren worden ist oder ohne, lässt sich wohl nicht bestimmen. Denn kein Mensch kommt geschlechtslos auf die Welt, keiner ohne Hautfarbe, keiner ohne eine Abstammung oder ohne Geburtsort. Weiters kann niemand selbst bestimmen, ob er oder sie als Links- oder Rechtshänder geboren wird oder ob mit brauner, roter oder blonder Haarpracht.

Als man vor einigen Jahrhunderten Menschen mit feuerroten Haaren zuschrieb, dass sie besonders eng mit dem Teufel im Bunde seien, machte man sie zu einer Schicksalsgemeinschaft. DIE Rothaarigen waren geboren, und diese musste man ins Feuer stecken, weil sonst die eigene Seele verdorben würde. Natürlich gab es Rothaarige schon vor diesem Aberglauben, lediglich die Zuschreibung eines bestimmten Charakterzuges, eines Verhaltens erfolgte in dieser Zeit und hatte letztlich oft verheerende Folgen für jeden, der zufällig mit roten Haaren auf die Welt gekommen war.

Jetzt sind es, v.a. hier bei uns im Westen, DIE Männer, die angeblich bestimmte Dinge machen würden und kollektiv für bestimmte Taten bereits im Voraus verantwortlich seien. „Nein, nein, nicht du. Natürlich nur das Kollektiv – und deswegen braucht es Maßnahmen gegen dieses Kollektiv.“ In anderen Teilen der Welt sind es die Frauen, die kollektiv für etwas Negatives verantwortlich gemacht werden – und daher müsse man ebenso kollektiv gegen diese Frauen vorgehen.Die einzelne Frau ist nicht gemeint, du bist eine Gute. Nein, es ist das Kollektiv, in das du geboren wurdest.“

Hier bei uns werden immer radikalere Maßnahmen getroffen, um sich gegen die „männliche Gewalt an Frauen“ zu wappnen. Das toxisch Männliche soll aus der Gesellschaft verbannt werden. „Nein, nein, du als einzelner Mann bist nicht gemeint, nur das Kollektiv, dem du aufgrund deiner Geburt angehörst.“ Daher muss Männergewalt anders beurteilt werden als Frauengewalt, und natürlich dann auch im Einzelfall. „Du siehst doch wohl ein, dass du als Mann für die gleiche (!) Tat mehr Strafe bekommst als eine Frau, oder willst du die Realität verleugnen?“

Nein, die Realität leugnen will ich nicht, ich will mich aber auch nicht reduzieren lassen auf mein Geschlecht. Ich lasse mir nicht zuschreiben, dass ich deshalb, weil ich einen Penis habe, kollektiv signifikant besser oder schlechter handeln würde als jemand, der mit einer Vagina auf die Welt kommt. In welchen Bereichen im Leben auch immer. Mein Menschsein steht im Zentrum, alles andere dreht sich nur darum. Auch mein Geschlecht. Ich werde derzeit in geschlechtliche Geiselhaft genommen, man schreibt mir kollektiv Eigenschaften zu, die dann Auswirkungen auf mein persönliches, individuelles Schicksal haben.

Als Spanier wird sogar die Dauer des Freiheitsentzuges, oder vor welches Gericht ich gestellt würde, vom Geschlecht bestimmt. Ich soll auch bestimmte Dinge „nicht so gut können“, weil ich ein Mann bin. Ich soll „besser andere Dinge“ tun, weil ich ein Mann bin. Ich sei krimineller, weil ich ein Mann bin. Niemanden scheint dieser offene, ständig wachsende Quasi-Geschlechtsrassismus zu stören.

Warum bin ich also ein Kämpfer für die Rechte der Männer, obwohl ich die Zuschreibung von Verhaltensweisen zum „Kollektiv“ Männer ablehne? Obwohl es für mich DIE Männer so nicht gibt?

Die Frage sollte sich spätestens mit dem Beispiel Spanien (siehe oben) beantwortet haben. Martin Luther King war kein Kämpfer für die Schwarzen, sondern einer für die Gleichheit aller Bürger. Er hat nie die Diskriminierung der Schwarzen in Frage gestellt. Er hat sich aber dagegengestellt, dass man diese auf die Hautfarbe reduziert. Nie wollte er ein Mitglied einer „schwarzen Rasse“ sein, war strikter Gegner von Black Power. Auch für ihn war sein Menschsein immer im Zentrum. Er ist mein großes Vorbild.

Zwischen den beiden Weltbildern – dem einen, das sich um das Geschlecht, und dem anderen, das sich um das Menschsein dreht – gibt es für mich keinen Kompromiss. Ich vergleiche es mit dem geozentrischen und dem heliozentrischen Weltbild: Eines davon stimmt mit dem Anschein überein, und das andere mit der Realität. Die chaotischen Planetenbahnen haben sich mit dem geozentrischen Weltbild eben nicht erklären lassen.

Wir ringen jetzt um Erklärungen für das Verhalten der Geschlechter und kommen auf immer abstrusere Theorien. Für mich sind all diese Erklärungen nicht notwendig. Wir alle sind Menschen – nicht gleich, aber gleichwertig. Nichts an unseren Unterschiedlichkeiten lässt zu, dass auch nur eines unserer Menschenrechte unterschiedlich definiert wird. „Gender violence“ ist nur eine dieser abstrusen Theorien. Es existiert nur Gewalt von Menschen an Menschen aus den unterschiedlichsten Motiven. Diese geschlechtszentrierten Begriffe sind so konstruiert, wie es die Epizykeln in den Epizykeln im geozentrischen Weltbild gewesen sind.

Ich verleugne nicht die Tatsache, dass Diskriminierungen gegenüber Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder anderem vorherrschen. Ich bestreite nur energisch, dass diese kollektiv verallgemeinert behauptet werden können, solange es keine gesetzliche Schlechterstellung ist.

Dass es Kollektive gibt, die man wie Wesenheiten betrachten muss, egal welche Ursache dafür behauptet würde, an der die Bevorzugung oder Benachteiligung des einzelnen Menschen angeblich festgemacht werden kann, ist für mich hochgradiger Unsinn. Daher sind auch sämtliche Untersuchungen diese Art für mich wertlos und entsprechen den Deutungen der frühen Astronomen zum Sternenhimmel. Weil sie es damals auch nicht besser wussten.

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