Wie wir die Einsamkeit lieben lernten
Heute war ein großartiger Tag, umgeben von dieser fantastischen Landschaft. Und ich unternehme eine Motorradtour (obwohl ich das Motorrad bisher nicht selbst gefahren habe) – etwas, was ich über so lange Zeit ebenso gefürchtet wie gewünscht habe. Ich fühle mich so dankbar und schlafe ein, während ich den größten und hellsten Vollmond betrachte, den ich je gesehen habe.
(Aus: Tag 1: Von Manali (2050 m) nach Koksar (3500 m))
Tag 2: Von Koksar (3500m) nach Sarchu (4290m), Teil 1
Ich wache auf mit dem Sonnenlicht in meinem Gesicht und genieße den Blick aus dem Fenster. Heute müssen wir eine Strecke von rund 125 Kilometern fahren, und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h wird das eine Weile dauern. Ich stehe auf, bereite etwas heißen Tee und Kaffee zu, stärke mich mit ein paar Trockenfrüchten und Kokosnusskeksen, ziehe meinen Schutzanzug an und schon bin ich bereit.
Als wir weiterfahren, bemerke ich die Schilder, die dazu ermahnen, vorsichtig zu fahren. Sie haben sehr kreative Aussagen wie: “Don’t gossip, let him drive” („Schwätz nicht so viel, lass ihn fahren“), ”If you sleep, your family will weep”( „Wenn du einschläfst, wird deine Familie weinen“), “After whiskey, driving is risky” („Mit Whisky wird das Fahren zum Risiko“), “Drive with horsepower, but not on rum power” („Fahre mit Pferdestärken, nicht mit Rumstärken“), “Enemies of the road are liquor, speed and load” („Die Feinde der Straße sind Schnaps, Tempo und Ladung“), und jedes Mal müssen wir beim Lesen schmunzeln.
Eine weitere überraschende Tatsache ist, dass der Zustand der Straße weitaus besser ist als gestern. Leider bleibt das nicht lange so. Nachdem wir etwa eine Stunde gefahren sind, haben wir schon das erste Problem: Ein längerer Straßenabschnitt ist nicht asphaltiert und besteht nur aus Schotter mit Sand darauf, der eine Menge Staub verursacht und die Straße rutschig macht. Wir fahren hinter einem Tanklaster, und der Staub, den wir ins Gesicht bekommen, nimmt uns die Sicht und macht es fast unmöglich zu atmen.
Doch wir haben keine Zeit, um darüber nachzudenken, weil wir tanken müssen – dies ist die letzte Tankstelle vor Leh, das noch immer 353 km entfernt ist. Wir beschließen, den Tank und zusätzlich noch zwei Kanister (ca. 16 Liter) zu füllen. Bald danach erreichen wir Keylong, die letzte „größere Stadt“ (1150 Einwohner) vor Leh; wir nutzen die Gelegenheit, nochmal nach dem Motorrad zu sehen und ein paar Dinge einzukaufen.
Rund zwei Stunden nach Keylong erreichen wir in einer Siedlung namens Darcha (3360 m) den letzten Checkpoint, bevor es auf den 4850 m hohen Bara-lacha la geht, unseren zweiten Pass auf diesem Trip. Wir zeigen unsere Pässe, nutzen das „Open-Air-Klo“, essen etwas zu Mittag und sind bereit für den Aufstieg.
Als wir höher und höher hinauffahren, steigen Horrorszenarien in mir auf: „Was, wenn wir wegrutschen und in diese Schlucht stürzen? Wenn wir medizinische Hilfe brauchen, aber niemanden kontaktieren können?“ Doch zum Glück schaffe ich es rasch, diese schlimmen Gedanken durch positive zu ersetzen. Bald erreichen wir die Baumgrenze und sind nur noch von enormen Bergen mit trockenen Hängen und sehr tiefen Schluchten umgeben. Nun folgen neue Herausforderungen: Wir müssen Bäche durchfahren, einen nach dem anderen.
Ich steige ab, weil es ohne Beifahrer leichter ist, das Motorrad unter Kontrolle zu halten. Sourabh fährt langsam durch das Wasser, doch seine Schuhe werden dabei völlig durchnässt. Zum Glück schaffe ich es, meine einigermaßen trocken zu halten, denn in dieser Höhe nasse Füße zu haben, ist nicht sehr angenehm.
Als wir um eine scharfe Kurve fahren, sehen wir ein Dhaba (ein einfaches Restaurant neben der Straße) und einen wundervollen See: der Deepak tal. Da ist noch eine andere Reisegruppe, und wir fühlen uns ein bisschen erleichtert, dass wir nicht völlig alleine sind. Wir machen eine kleine Pause, erfrischen uns und schauen über das kristallklare Wasser, bevor wir zur Passhöhe des Bara-lacha la weiterfahren.
Wir hätten es fast übersehen, denn aus irgendeinem Grund wartete ich auf etwas Großes, so als würde man uns eine Trophäe geben, sobald wir dort ankommen, weil wir mit der Fahrt auf diesen Straßen etwas so Außerordentliches geleistet haben, aber natürlich ist es überhaupt nicht so. Da sind wir nun also, zusammen mit ein paar anderen Fahrern, die Erinnerungsfotos machen.
Es ist ein wirklich unbezahlbares Gefühl, dieses weite NICHTS vor mir zu überblicken, diese Berge, die nun Ähnlichkeit mit einem Gemälde haben in verschiedenen Tönen von Braun und Rosa – so als ob sie miteinander tanzen würden zum Klang der Natur. Es ist etwas, was man sich beim Lesen nicht vorstellen kann, sondern mit eigenen Augen gesehen haben muss.
Fortsetzung folgt …
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
[…] (aus: Wie wir die Einsamkeit lieben lernten) […]