Wie funktioniert Wissenschaft heute?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 20. 2. 2017
- Veranstalter
- Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft
- Ort
- Aula der Wissenschaften
- Veranstaltungsart
- Science Talk - Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Mag. Andreas Jäger, Moderator
- Univ.-Prof. Dr. Ulrike Felt, Universität Wien, Leiterin der Forschungsplattform „Responsible Research and Innovation in Academic Practice“
- Assoz. Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Clemens Heitzinger, Technische Universität Wien
- Univ.-Prof. Dr. Gregor Weihs, Vize-Präsident des Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF)
- Univ.-Prof. Mag. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Universität Wien
Am 20. Februar 2017 fand in der Aula der Wissenschaften der Science Talk zum Thema „Wie funktioniert Wissenschaft heute?“ statt. Die Podiumsdiskussion wurde moderiert von Andreas Jäger, als Teilnehmer standen Prof. Ulrike Felt (Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung), Prof. Clemens Heitzinger (Institute for Analysis and Scientific Computing, Technische Universität Wien), Prof. Gregor Weihs (Vizepräsident des Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung) und Prof. Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Professorin für Sinologie) Rede und Antwort.
Was benötigt die Wissenschaft?
Erst danach kämen die entsprechenden Notwendigkeiten wie Finanzierung – dies insbesondere unter dem Aspekt, dass die Kosten der Wissenschaft in den letzten Jahren gestiegen seien (alles sei technischer geworden) – sowie die strukturellen Rahmenbedingungen.
Auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften seien Papier, Buch und Bleistift schon lange nicht mehr ausreichend. Aufgrund der zu verarbeitenden großen Datenmengen benötigten auch diese Disziplinen mittlerweile entsprechende technische Hilfsmittel. Als weiteren bedeutsamen Punkt müsse die Finanzierung stimmen. Wolle die Universität die richtigen Leute akquirieren, so müsse sie eben auch so viel bezahlen, dass neben der Wissenschaft auch ein vernünftiges Leben möglich sei.
Prof. Weihs gibt für die Physik zu bedenken, dass insbesondere natürlich in seiner Disziplin mit sehr teuren technischen Geräten gearbeitet werde. Dafür sei insbesondere die richtige Infrastruktur unabdingbar.
Insbesondere sei hier auch die Planbarkeit als wichtiger Punkt zu nennen. Insbesondere eine gewisse Konstanz in der Finanzierung (Planbarkeit der Zusagen für die entsprechenden Anträge) sei von Bedeutung. Das Förderungssystem habe sich durchaus am Rahmen der Wissenschaft entlang entwickelt und angepasst. Dies sei natürlich immer abhängig von den Geldgebern – den Steuerzahlern – und der Regierung.
Dual Careers
Prof. Susanne Weigelin-Schwiedrzik sieht insbesondere die Förderung und das Management sogenannter „Dual Careers“ als Aufgabe der entsprechenden Institution. Dies sei nicht nur eine Herausforderung an den Wissenschaftler und seine Familie. Sie erinnert sich an ihre eigene Zeit, wo dies kein Thema gewesen sei. Die Umsiedelung der ganzen Familie (inklusive Kinder) zu bewerkstelligen, sei zu dieser Zeit eine rein private Angelegenheit gewesen. Ein gewisses Organisationstalent sei damals sehr wichtig gewesen.
Auch sie habe als Vizerektorin für Forschung an der Universität Wien viele solcher Dual Career-Gespräche geführt. Wenn ein bestimmter Wissenschaftler sehr begehrt von der Universität war, so sei nun oftmals der Ehepartner mitberufen worden, was bedeutet, dass von der Institution eine Stelle für diesen Partner mitgeschaffen werden musste. Diese unplanbaren Vorgänge hätten sich jedoch sehr oft ausgezahlt, der Partner sei ein großer Gewinn gewesen – in seltenen Fällen jedoch auch ein großes Pech für die Universität. Mit ihrem eigenem Mann – einem Künstler – habe sie großes Glück gehabt, schließlich könne dieser überall arbeiten.
Prof. Heitzinger gibt zu bedenken, dass Dissertationen heute völlig anders seien als noch vor einigen Dekaden. Alleine die Zahl der Personen, die dissertieren, habilitieren, Post-Doc-Stellen annehmen bzw. sich für eine Karriere in der Wissenschaft interessieren, sei gestiegen. Die Anzahl der Stellen jedoch sei relativ konstant geblieben – somit sei ein Missverhältnis diesbezüglich entstanden. Wolle man sich beispielsweise in den USA bewerben, würden vielerorts zwischen 400 und 1.000 bestens ausgebildete Bewerberinnen und Bewerber auf eine wissenschaftliche Stelle kommen. Eine geografische Planung der Karriere sei dadurch natürlich erschwert.
Im heutigen sogenannten „Tenure Track-Modell“ oder „Laufbahnstellenmodell“ arbeite sich der/die WissenschaftlerIn von Stufe zu Stufe hoch, mit genauen Evaluationen und Zwischenprüfungen. Laut Prof. Heitzinger handele es sich dabei um ein faires und transparentes System. Die Universitäten könnten genau ihre Anforderungen angeben, bei Erfüllung würden die WissenschaftlerInnen dann auch befördert. Gute Leute würde man schließlich auch nur bekommen, wenn man ihnen entsprechende Entwicklungschancen gebe. Das Tenure Track-System ermögliche in diesem Rahmen einen besseren internationalen Vergleich und würde von den Institutionen sehr ernst genommen. Von einem kompetitiveren Modell könne man in jedem Fall sprechen.
Ein Risikoinvestment
Frau Prof. Felt gibt zu bedenken, dass den „klassischen Weg“ der akademischen Karriere zu wählen ja nur einer von vielen sei, um sich selbst zu verwirklichen. Dies sollte den jungen Menschen verstärkt mitgegeben werden. Im Gegensatz zu den USA mit ihrem hochselektiven Elitesystem sei bei uns ein offener Universitätszugang gegeben.
In den Sozial- und Geisteswissenschaften gäbe es so gut wie keine Zugangshürden. Somit sei es grundsätzlich jeder willigen Person möglich, in diesem Bereich ein Doktorat zu machen. Dadurch wachse für jene, die in der Wissenschaft bleiben wollten, natürlich auch der Druck. Es handle sich somit um einen Selektionsprozess, wobei Fr. Prof. Felt auch die Notwendigkeit sieht, dies klarer zu kommunizieren. Sich für den wissenschaftlichen Weg zu entscheiden, beinhalte eben auch die Bereitschaft, sich einem Selektionsprozess zu stellen.
Zu ihrer eigenen Studienzeit sei dies so gut wie noch gar nicht der Fall gewesen. Man könne das System jedoch auch umgekehrt ansehen – indem die Wissenschaftler billige, kluge und temporäre Arbeitskräfte darstellten, ohne Aussicht auf eine dauerhafte Anstellung. Das herrschende System sei somit entweder als Möglichkeitssystem oder aber als zynisches System anzusehen. Sehe man dies in der Balance, gebe man den Leuten die Chance, sich für gewisse Posten zu qualifizieren, jedoch ohne zu verschweigen, dass es sich um ein selektives Auswahlsystem handle. Neben der eigenen qualitativen Leistung zähle immer auch eine Portion Glück und damit Zufallsbedingungen. Bei der Entscheidung für eine wissenschaftliche Karriere handele es sich immer auch um ein Risikoinvestment.
„Wer nachts zu viel schläft oder tagsüber zu viel Kaffee trinkt, der fällt auf die Nase“
Faulheit oder lange Nächte hätten im herrschenden System keinen Platz, so Prof. Weigelin-Schwiedrzik. Sollten sich geniale Köpfe unter diesen befinden, so bleibe für diese lediglich zu hoffen, dass entsprechende Personen im Laufe ihrer Karriere ihnen dennoch ihr Vertrauen schenken würden. Es benötige somit einen Ranghöheren, welcher sich für diesen jungen Wissenschaftler verbürge.
Man falle dann „mit auf die Nase“. Dennoch hält sie dies für im System nötig, damit es funktionieren könne. Wie viele kluge Köpfe man dennoch verliere, ließe sich nicht eruieren.
Hr. Prof. Heitzinger gibt zu bedenken, dass beispielsweise der Schweizer Nationalfonds zwei Drittel aller Projektanträge fördere, dies ermögliche eine andere Art von Arbeiten. Somit sei den jungen Wissenschaftlern klar, dass bei guten Ideen eine realistische Chance bestehe, diese durch entsprechende Förderung umzusetzen. Prof. Heitzinger sieht dies im Gegensatz zu Österreich, wo der Wissenschaftsfonds ca. 40% aller eingehenden Projektanträge als förderungswürdig bewerte. Gefördert würden schlussendlich nur um die 20% aller Anträge. Laut ihm wären bessere Ressourcen wünschenswert, um die Selektivität diesbezüglich etwas mindern zu können. Dies würde weiters die internationale Konkurrenzfähigkeit Österreichs verbessern.
Die Entwicklung des Wissenschaftlers
Herr Prof. Weihs ruft sich menschliche Fehleinschätzungen bezüglich der von ihm betreuten Jungwissenschaftler ins Gedächtnis. Unscheinbare Personen jedoch könnten eine große Entwicklung durchmachen. Fr. Prof. Felt stimmt ihm diesbezüglich zu. Eine Lernkurve könne nicht eingeschätzt werden. Man könne sehr wohl Doktoranden erwischen, die abheben, ebenso sei jedoch möglich, dass diese bereits an ihrem Plateau angekommen seien.
Das Entwickeln gewisser wissenschaftlicher Fähigkeiten benötige auch seine Zeit, die Beurteilung dessen hält sie im Rahmen des Doktorats noch für etwas zu früh. Je nach Fach und individueller Geschwindigkeit bräuchten diese Dinge (beispielsweise das Sehen gewisser Zusammenhänge bzw. eine gewisse wissenschaftliche Schärfe) mehr oder weniger Zeit.
Der eigentlich relevante Übergang im Werdegang der Wissenschaftler sei der Übergang vom Doktorat zum Post-Doktorat, so Fr. Prof. Weigelin-Schwiedrzik. Ob sich jemand zum Wissenschaftler eigne, sei mit dem Doktorat noch nicht beantwortbar. Dieser Übergang erfordere eine entsprechende Flexibilität von den Institutionen. Wolle man eine Person wirklich behalten, müsse man die entsprechenden Rahmenbedingungen stellen (wie Kinderbetreuung und Einbindung des Ehepartners).
Es gelte dem Jungwissenschaftler klar zu machen, dass er zum rechten Zeitpunkt in Wien am richtigen Ort sei. Mit den finanziellen Möglichkeiten in Österreich die besten Wissenschaftler der Zukunft an ebenjenem Übergang an den heimischen Universitäten zu halten, erfordere jedoch eine Menge Arbeit vonseiten der Institutionen.
Auf Nachfrage von Fr. Prof. Felt gibt Fr. Prof. Weigelin-Schwiedrzik an, von den vielversprechendsten zehn Prozent zu sprechen. Laut Prof. Felt verhandle nämlich ein regulärer Post-Doc mitnichten sein Gehalt. Des Weiteren betont sie die Bedeutung vorhandener Stellen und gibt an, sich durchaus den einen oder anderen Forscher vergeblich gewünscht zu haben.
Die soziale Durchlässigkeit
An der Universität Stanford jedoch, wo Hr. Prof. Weihs seinen Post-Doc gemacht habe, seien die Studenten bei Weitem nicht so durchmischt, sondern vielmehr den bildungsnahen Schichten zuzuordnen gewesen. Dies sei ganz im Gegensatz zu Kanada, wo er eine viel größere Durchmischung der Studenten erlebt habe. Dies sei auch in Deutschland und Österreich der Fall, empfindet Prof. Weihs. Frau Prof. Weigelin-Schwiedrzik gibt jedoch zu bedenken, dass dies auch nach Disziplinen unterschiedlich sei.
Die Wissenschaftler ließen sich eher auf eine Karriere in den technischen bzw. naturwissenschaftlichen Fächern – auch ohne entsprechenden familiären Bildungshintergrund – ein, schließlich sei das Risiko hier geringer. Dies begründet sie damit, dass man zwar nach einem ingenieurswissenschaftlichen Doktorat in der Wissenschaft bleiben könne, dies aber aufgrund einer Vielzahl alternativer Karrieremöglichkeiten nicht zwingend müsse.
„Mehr Mut“
Als erste Abschlussfrage möchte Moderator Mag. Andreas Jäger wissen, zu welcher Disziplin das Plenum einem vielseitig interessierten jungen Menschen mit dem Berufswunsch des Wissenschaftlers raten würde.
Frau Prof. Felt spricht sich für das Zeitnehmen bei einer solchen Entscheidung aus und rät dazu, sich die unterschiedlichsten Studienrichtungen anzusehen. Diese Entscheidung sei durch ein „Ausprobieren“ besser als durch reine Kopfentscheidung zu treffen.
Im Rahmen dessen sei auch der Bachelor – richtig genützt – eigentlich als eine Chance zu betrachten. Fr. Prof. Felt spricht sich für „mehr Mut und weniger Stromlinienförmigkeit“ aus. Prof. Heitzinger würde durchaus ein Studium im Land empfehlen, da es in Österreich eine hochqualitative Auswahl an Studien gäbe. Weiters solle man bei Interesse die entsprechenden Angebote (Wissenschafts- und Forschungsgruppen) wahrnehmen. Prof. Weihs rät, sich für jenes Fach zu entscheiden, bei dem „man keine Kaffeepausen braucht“.
Als Alternative zu dem von Fr. Prof. Felt vorgeschlagenen „Entscheidungsjahr“ schlägt er einschlägige Schülerpraktika vor, welche insbesondere für den AHS-Bereich angeboten würden. Frau Prof. Weigelin-Schwiedrzik gibt zu bedenken, dass ohne entsprechendes Interesse bereits die STEOP (Studieneingangs- und Orientierungsphase) das Ende einläuten könne. In die Studienentscheidung ihrer drei Kinder habe sie sich überhaupt nicht eingemischt. Es könne jedoch nur derjenige erfolgreich sein, der finde, was ihn „existentiell berühre“.
Als zweite Abschlussfrage wünscht sich Moderator Andreas Jäger von den Diskussionsteilnehmern zu erfahren, was sie sich für ihr Institut noch von den politischen Entscheidungsträgern wünschen würden.
Der sehr informative Science Talk wurde vom Publikum gut aufgenommen, da jedoch im Anschluss die Auszeichnung „Wissenschaftsbuch des Jahres“ verliehen wurde, musste aufgrund von Zeitmangel auf Publikumsfragen verzichtet werden.
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