Welche Zukunft hat der Journalismus?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 9. 4. 2018
- Veranstalter
- Friedrich-Funder-Institut, Wien
- Ort
- Haus der Industrie, Wien
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Elisabeth Totzauer, Journalistin, ORF
- Johannes Huber, Journalist, "Die Substanz"
- Thomas Götz, Journalist, Kleine Zeitung
- Gerald Fleischmann, Leiter der Stabstelle für strategische Kommunikation im österr. Bundeskanzleramt
- Claus Reitan, Freier Journalist, Moderation
Der professionelle Journalismus ist in jüngster Zeit durch verschiedene Faktoren unter Druck geraten: Einerseits wird unter dem Schlagwort „Fake News“ an seiner Glaubwürdigkeit gekratzt, andererseits kann durch die sozialen Medien heute jeder quasi zum privaten Journalisten werden, und zusätzlich werden die großen Medienhäuser durch deutlichen Leserschwund ökonomisch unter Druck gesetzt. Mit diesen Herausforderungen befasste sich eine Podiumsdiskussion des Friedrich-Funder-Instituts unter dem Titel „Im Zweifelsfall ohne Journalisten?“ am 9.4.2018 im Haus der Industrie in Wien.
Der Präsident des FFI, Gerald Grünberger, riss in seiner Begrüßung die Themenbereiche der Diskussion an: Erster Schwerpunkt war der „Bürgerjournalismus“, bei dem die üblichen Sorgfaltspflichten professioneller Journalisten kaum noch wahrgenommen werden. Als zweiten Schwerpunkt der Diskussion sprach Grünberger die Machtkonzentration im Medienbereich an: „Die Macht über den Algorithmus gibt auch die Möglichkeit, die Debatten zu beeinflussen.“
Gerald Fleischmann, als Leiter der Stabsstelle strategische Kommunikation im Bundeskanzleramt der Vertreter der Politik auf dem Podium, vertrat die Ansicht, dass man sich um den klassischen Journalismus keine allzu großen Sorgen machen müsse: „Technologien ändern sich ständig, die Funktion des Journalismus bleibt aber immer gleich. Journalismus wird immer seine Berechtigung und seinen wirtschaftlichen Nutzen haben.“ Jeder brauche glaubwürdige Quellen, um an politischen Diskussionen teilzunehmen. „Der Erhalt der objektiven Glaubwürdigkeit in der politischen Debatte ist daher eine wichtige Funktion des Mediensystems„, und die Politik habe die Aufgabe, das zu erhalten. Er wies darauf hin, dass die Regierungskommunikation jetzt planbarer sei als zu Zeiten der Großen Koalition, während der sich die Koalitionspartner untereinander oft nicht einig gewesen seien: „Es gibt jetzt einen Plan und ein Team.“
Auch Elisabeth Totzauer, Fernsehjournalistin beim ORF, war der Überzeugung, dass professioneller Journalismus einen Wert hat – ganz im Gegensatz zu „unqualifizierten anonymen Einzelmeldungen„, die mit Journalismus nichts zu tun hätten. Ähnlich wie Fleischmann ist sie vom Grundgefühl her zuversichtlich und davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Wert des Journalismus nach wie vor zu schätzen weiß:
Solange wir den journalistischen Anspruch nicht verlieren, mache ich mir keine Sorgen.
Sie erinnerte daran, dass der ORF sich im Besitz der Bevölkerung befinde und ihr auch etwas wert sein sollte. Allerdings gibt sie auch zu, dass die aktuelle Entwicklung für professionelle Journalisten eine Herausforderung sei: „Wir müssen uns angesichts der zahlreichen neuen Medienkanäle erst noch sortieren.“
Thomas Götz von der Kleinen Zeitung gesteht, dass es aufseiten der professionellen Medien durchaus Sorgen gebe, alleine schon ökonomische durch den Schwund an Anzeigenumsätzen und Lesern: „Das kann durchaus Probleme geben.“ Der „Zusammenbruch“ des etablierten Mediensystems sei bisher allerdings trotz vieler Befürchtungen nicht eingetreten. Die Bevölkerung habe das Bestreben, unabhängig von Medien zu werden, „aber ohne professionelle Medien wird es schwer sein, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen.“
Johannes Huber vom Online-Medium „Die Substanz“ war der Ansicht, dass Journalismus im Netz sehr wohl funktionieren könne, denn die Onlineauftritte professioneller Medien würden noch immer als „hoch glaubwürdig“ eingeschätzt. Er sieht sogar ein „wachsendes Bedürfnis nach professionellem Journalismus, der glaubwürdig ist„. Seiner Einschätzung nach gibt es große Chancen in der Spezialisierung professioneller Journalisten. Grundsätzlich gab auch er sich optimistisch:
Information gewinnt heute an Wert, nur die Kanäle ändern sich.
Auf die Frage von Moderator Claus Reitan, was den Wert von professionellem Journalismus ausmache, antwortete Elisabeth Totzauer, dass man etwa bei Unruhen in irgendeinem fremden Land ohne professionelle Journalisten vor Ort die Nachrichten aus diesem Land kaum einschätzen könne. So sei die Gefahr von Falschmeldungen sehr groß. Als Beispiel nannte sie die Bilder von einem abgeschossenen Kampfhubschrauber, die 2014 durch die Medien gingen – zusammen mit der Behauptung, der Hubschrauber sei in der Ukraine abgeschossen worden. Später habe sich allerdings herausgestellt, dass der Vorfall in Syrien stattfand und mit dem Ukraine-Konflikt überhaupt nichts zu tun hatte.1
Von einem anderen Beispiel verfälschender Medienberichterstattung erzählte Thomas Götz: Im November 2017 gingen Aufnahmen durch die Medien, die Donald Trump bei einem Staatsbesuch in Japan beim Karpfenfüttern zusammen mit dem japanischen Premier Shinzo Abe zeigten.2 Die Aufnahme, wie Trump das gesamte Futter auf einmal ins Wasser schüttete, wurde gemeinhin als weiterer Beweis seiner Unsensibilität gewertet. Tatsächlich habe aber sein japanischer Gastgeber die Fische unmittelbar zuvor auf genau dieselbe Art gefüttert, was nur durch den Schnitt der Aufnahme nicht zu sehen war. „Das war üble Manipulation„, stellt Götz fest.
Totzauer wies darauf hin, dass das Wachstum in der Medienbranche sich weltweit auf Bewegtbild-Content konzentriere. Und hier sei RTL „der einzige Konzern, der Amazon und Netflix auf den Fersen ist“.
Huber kam noch einmal auf das Phänomen des „Bürgerjournalismus“ zurück. Er sah es als eine „gesellschaftliche Aufgabe“ an, zu lernen, was man bei einem Facebook-Posting macht. Man müsse den Leuten erklären, dass das im Grunde bereits Journalismus sei und man damit natürlich eine Verantwortung habe: „Das Verantwortungsgefühl, das dafür nötig wäre, ist noch nicht da.“ Totzauer wies darauf hin, dass vor allem Hassposter in den sozialen Medien zahlenmäßig weitaus stärker wirken, als sie eigentlich seien. So seien vor einigen Jahren ungefähr 2.000-3.000 Menschen so intensiv durch Postings in Erscheinung getreten, dass „man das Gefühl hatte, das ist die halbe Republik„. Huber sieht die Kommunikationsmöglichkeiten der sozialen Medien auch positiv: So würden Journalisten heute viel mehr direkte Rückmeldung bekommen und auch stärker kontrolliert werden.
Insgesamt waren sich die Diskussionsteilnehmer darüber einig, dass der Journalismus zwar unter Druck stehe, aber keineswegs in einer existenzbedrohenden Krise sei, weil bei der Bevölkerung sehr wohl das Bewusstsein für dessen Wert vorhanden sei. Einigkeit herrschte auch darüber, dass das Verantwortungsgefühl bei Social Media-Postings erhöht werden müsse, denn auch diese seien eine Form des Journalismus.
_
1 https://www.tagesspiegel.de/medien/falsche-bilder-bei-der-ard-zum-ukraine-konflikt-propagandatricks-oder-pannen-in-serie/10637680.html
2 https://kurier.at/politik/ausland/haeme-fuer-trump-nach-karpfen-fuettern-in-japan/296.573.088
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Betriebsst%C3%A4tte
Credits
Image | Title | Autor | License |
---|---|---|---|
00-Welche Zukunft hat der Journalismus? | Idealism Prevails | CC BY-SA 4.0 |