Was Wölfe mit uns machen

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Meinung

Seit 2016 sind wieder Wölfe in Österreich heimisch. Ihre Anwesenheit wirft grundsätzliche Fragen nach unserem Umgang mit der Natur auf.

Wölfe waren einst über die gesamte nördliche Halbkugel verbreitet. In Mitteleuropa wurden sie jedoch im Lauf des 19. Jahrhunderts vollständig ausgerottet; größere Bestände haben sich nur in Ost- und Südosteuropa gehalten.1 Durch Schutzmaßnahmen haben sich diese Bestände seitdem deutlich erholen können, in Mitteleuropa gab es jedoch weiterhin keine Wölfe.

Es war daher eine Sensation, als im Jahr 2000 ein erstes Wolfsrudel im äußersten Osten Deutschlands entdeckt wurde, in unmittelbarer Nähe der polnischen Grenze. Seitdem haben sich die Wölfe in Deutschland erheblich ausgebreitet: Inzwischen gibt es rund 60 Rudel mit insgesamt etwa 400 Tieren, davon auch einige im weit westlich gelegenen Niedersachsen.2

Im August 2016 wurde auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig im niederösterreichischen Waldviertel durch eine Fotofalle ein kleines Wolfsrudel mit Jungen nachgewiesen.3 Seitdem gilt der Wolf auch in Österreich als „wieder heimisch“, wenn auch in geringer Anzahl: Derzeit leben in Österreich nur etwa 20-25 Wölfe.4

Anders als etwa die Luchse sind Wölfe in Mitteleuropa nicht vom Menschen wieder angesiedelt worden – sie kommen von selbst. Die großen Populationen in Osteuropa haben quasi „Ableger“ gebildet, eine Folge des natürlichen Migrationsverhaltens der Tiere. Wölfe leben zwar grundsätzlich im Rudel, streifen aber oft auch längere Zeit – manchmal jahrelang – alleine umher und legen dabei große Distanzen zurück. Daher kommt es immer wieder vor, dass ein einzelner Wolf irgendwo auftaucht, sich eine Weile in einem bestimmten Gebiet aufhält und dann plötzlich wieder verschwindet. Als „heimisch“ werden die Tiere erst dann bezeichnet, wenn sich ein Rudel mit Jungtieren bildet. Diese Rudel, mit meist 5-8 Tieren eher kleine Familiengruppen, verlassen ihr Revier nicht und verteidigen es gegen andere Wölfe.

Warum ist die natürliche Rückkehr des Wolfes so ein großes Thema?

Da ist zunächst die psychologische Dimension: Der Wolf ist ein Raubtier, und an die Anwesenheit von großen Raubtieren sind wir im heutigen Mitteleuropa schlicht nicht mehr gewöhnt. Der Wolf, in Märchen massiv dämonisiert, verunsichert, seine Anwesenheit hat etwas von unkontrollierter Wildheit.

Dabei ist der Wolf objektiv gesehen nicht gefährlich: Er sieht Menschen nicht als Beute an und geht ihnen weitgehend aus dem Weg. In Europa (inklusive der Länder, in denen schon immer große Populationen gelebt haben) hat es seit über 40 Jahren keinen einzigen Todesfall durch einen Wolf gegeben. Auch in Deutschland ist seit 2000 niemals ein bedenklicher Zwischenfall verzeichnet worden.

Ein weitaus ernsteres Problem sind die Schäden an Nutztieren: Die bevorzugten Beutetiere der Wölfe sind zwar Wildtiere wie Rehe, Hirsche und Wildschweine. Wenn es sich anbietet, reißen sie aber auch Schafe, und für die betroffenen Bauern sind die Schäden an ihrem Bestand mitunter erheblich. Schafe könnten aber mit Elektrozäunen und Herdenschutzhunden wirksam geschützt werden, sagen Naturschützer und Wildbiologen.5

Insgesamt ist die Stimmung überwiegend positiv: So ergaben Umfragen in Deutschland6 und Österreich7, dass die Bevölkerung zu 70-80 % keine Probleme in der Anwesenheit der Wölfe sieht. Für viele ist der Wolf Symbol für eine ursprüngliche Natur, für eine ungezähmte Wildnis. „Romantisierung durch Menschen, die keine Ahnung haben“, heißt es dagegen von den Gegnern, die sich überwiegend unter Jägern und Bauern finden. Österreich oder Deutschland seien eben nicht Kanada oder Russland, unsere kleinteilige, dicht besiedelte Kulturlandschaft eigne sich einfach nicht für den Wolf.

Biologen widersprechen: Wölfe brauchen nicht unbedingt Wildnis, sie kommen in unserer modernen Kulturlandschaft gut zurecht, solange es nur genug wilde Beutetiere gibt. Die Auswirkungen auf das Ökosystem seien ausschließlich positiv, weil Wölfe die Bestände an Schalenwild viel wirksamer regulieren als jede menschliche Bejagung. Auch vor einem Überhandnehmen des Wolfsbestandes müsse man keine Angst haben, weil Wölfe ihre Reviere gegen rudelfremde Artgenossen verteidigen und so selbst für eine Bestandsregulierung sorgen.8 Eine weitere Ausbreitung in bisher wolfsfreie Gebiete ist aber in jedem Fall zu erwarten.

Damit stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Rechtlich ist die Sache klar: Der Wolf steht europaweit unter strengem Artenschutz und darf nicht gejagt werden. Ein Abschuss ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn ein bestimmtes Tier ein problematisches Verhalten entwickelt; in Deutschland hat es bisher erst einen einzigen Fall einer solchen Ausnahmegenehmigung gegeben.

Die Interessenvertretungen von Jägern und Bauern fordern jedoch immer vehementer eine Aufweichung dieses strengen Schutzstatus und eine kontrollierte Bejagung mit festgelegten Abschussquoten. Dabei wird auch vor offener Panikmache nicht zurückgescheut: Der Bauernbund Brandenburg etwa veranstaltet „Wolfswachen“ mit Mahnfeuern und fordert, dass Wölfe „überall, wo Menschen und Weidetiere sind (…) konsequent gejagt“ werden müssen.9

Nicht ganz so dramatisch, aber in ähnlicher Richtung drückte sich Josef Pröll, ehemals österreichischer Vizekanzler und Finanzminister und heute Landesjägermeister von Niederösterreich, in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ aus 10. Er fordert, man müsse den Wolfsbestand „managen“ – ohne dabei explizit zu sagen, dass man Wölfe abschießen solle.  „Wenn sich die Bestandszahlen beim Wolf weiter so entwickeln, wird es zu massiven Problemen kommen“, befürchtet Pröll und malt „dramatische Begegnungen“ mit Wanderern und Mountainbikern an die Wand.

Auch in den österreichischen Alpen, in denen es bisher keine ortsfeste Wolfspopulation gibt, verbreitet man vorsorglich Panik: Die traditionelle Almwirtschaft sei in Gefahr, wenn sich der Wolf in den Alpen ausbreite, die Auswirkungen auf den Tourismus völlig unkalkulierbar. Der Kärntner Agrarreferent Martin Gruber (ÖVP) forderte sogar, den gesamten Alpenraum zur „wolfsfreien Zone“ zu machen.11 Dass man dazu jeden Wolf, der die „Verbotszone“ betritt, abschießen müsste, wird freilich nicht so deutlich erwähnt.

Biologen entgegnen, dass die Schaffung „wolfsfreier Zonen“ angesichts des großen natürlichen Bewegungsradius der Tiere unsinnig und kontraproduktiv sei. „Wolfsfreie Zonen einzurichten, ist ein populistischer Humbug – wir könnten den Wolf nur in ganz Europa ausrotten und eine Mauer zu Russland bauen, damit er von dort nicht wieder neu einwandern kann“, schreibt die Wildtierökologin und Jägerin Lena Schaidl in einem Gastkommentar für die Zeitschrift Biorama.12

Wir Menschen haben uns – insbesondere in Europa – längst daran gewöhnt, einen Alleinherrschaftsanspruch auf die Welt geltend zu machen. Was wir nicht unter Kontrolle haben, was potenziell gefährlich ist, verunsichert uns. Doch ist Natur nur dann gut, wenn sie erwiesenermaßen ungefährlich ist? Wird es gelingen, zu einem sachlichen, faktenorientierten Umgang mit diesen Tieren zu finden, oder werden sich auch in diesem Bereich populistische Panikmacher durchsetzen?

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1 https://www.wwf.de/fileadmin/user_upload/Bilder/Historische_Verbreitung_der_Woelfe_in_Europa_170412.jpg
2 https://www.wwf.de/themen-projekte/bedrohte-tier-und-pflanzenarten/woelfe/verbreitung-des-wolfs/
3 https://www.wwf.at/de/menu581/subartikel3779/
4 https://www.wwf.at/de/wolf_verbreitung/
5 https://www.wwf.de/themen-projekte/bedrohte-tier-und-pflanzenarten/woelfe/herdenschutz/
6 https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/24288.html
7 https://www.wwf.at/de/meinungsumfrage-drei-viertel-der-oesterreicherinnen-heissen-den-wolf-willkommen/
8 https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/wissen/15812.html
9 www.wolfsfreiezone.de
10 https://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5460545/Josef-Proell_Es-wird-zu-massiven-Problemen-kommen
11 https://kaernten.orf.at/news/stories/2914128/
12 https://www.biorama.eu/wolfsfrei/

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Eurasian_wolf Eurasian_wolf Mas3cf CC BY-SA 4.0

Diskussion (Ein Kommentar)

  1. Das unselektive Bejagen von Einzelwölfen, insbesondere bei der Trophäenjagd, führt regelmäßig zur sprunghaften Vermehrung der Tiere. Erwischt man nämlich das kapitale männliche Leittier, dann paart sich ein jüngerer Wolf mit mehreren weiblichen Rudelmitgliedern, was der monogame Leitwolf zuvor verhindert hatte. Wölfe lieferten dem Adel schon immer prestigeträchtige Trophäen. Und so weist Georg Jäger in seinem Artikel https://www.almwirtschaft.com/images/stories/neuigkeiten/2017/der_alm_und_bergbauer_PDFs/Woelfe_und_Wolfsjagden_in_Tirol.pdf
    darauf hin, dass die privilegierte Raubtierjagd ab dem Ende des Mittelalters zu regelmäßigen Wolfsplagen der Bevölkerung führte. Davor war die Jagd nicht geregelt gewesen, jedermann durfte sie ausüben. Die Ausrottung der Wölfe gelang im 19. Jahrhundert u.a. deshalb, weil im Zuge der Revolutionen auch Bauern und Bürger Jagdbarkeit erwerben konnten. Sie war die Basis für den freien Zugang zur Natur. Zuvor war der barocke Garten mit seiner sicheren Einfriedung, wo man gefahrlos seine Schäferspiele vollziehen konnte, das Wunschideal des naturverbundenen Menschen. Denn es waren ja fast nur die Hirten, insbesondere Hirtenkinder, die in früheren Zeiten sehr wohl zu menschlichen Opfern von Wölfen wurden. Sie sind es ja, die den „Wolf anfüttern“, wovor die Wohnbevölkerung gegenwärtig dringend gewarnt wird, während Hirten in Osteuropa, mittlerweile auch in Frankreich, ihre Tätigkeit nur bewaffnet ausführen können. In der Schweiz gilt die psychische Belastung der Hirten als eines der Hauptprobleme beim Herdenschutz. Menschen ohne Bezug zur Tierhaltung sind durch den Wolf nicht gefährdet, auch wenn Bauern davor warnen.
    Ulrich Wotschikowsky, renommierter deutscher Wolfsexperte und Wolfsschützer, (http://woelfeindeutschland.de/) ist passionierter Jagdtourist, wie er in einem Interview im ARD ausführt: https://www.ardmediathek.de/tv/alpha-Forum/Ulrich-Wotschikowsky-Wildbiologe-und-Wo/ARD-alpha/Video?bcastId=14912942&documentId=34307436
    In einem Vortrag lässt er aus fachlicher Sicht des Wolfsexperten als einzig legitime Motivation, Wölfe zu jagen, die Trophäenjagd gelten, weil sie nicht zur Bestandsreduktion führt, ganz im Gegenteil. Jagd zur Dichteregulation, um Weidetiere zu schützen, ist für ihn kein legitimer Grund, Wölfe zu töten. (https://www.youtube.com/watch?v=PtCHCXqT-Hg) Wird ein guter Erhaltungszustand der Wolfspopulation auch deshalb gefordert, weil heute finanzkräftige Jagdtouristen – wie einst der Adel – verlässlich und pünktlich zu ihren Trophäen kommen wollen, was derzeit beispielsweise ja auch der Hauptgrund für zu hohe Dichten beim Schalenwild ist? Wer Geld hat, kann jedenfalls schon jetzt auch in EU – Ländern auf Wolfsjagd gehen, die FFH – Richtlinie verhindert das nicht: https://www.jagdreisen.at/tiere/wolfsjagd/ Dagegen musste ein Franzose, der einen Wolf getötet hat, um Weidetiere zu schützen, 120.000 Euro Strafe zahlen, und es wurde ihm der Jagdschein entzogen. Ist der Wolf – wie im Absolutismus und auch im Nationalsozialismus – wieder das Identifikationsobjekt der Mächtigen, und heute auch ihrer landwirtschaftsfernen städtischen Manipulationsopfer?