Was mir am Schulsystem schwer zu denken gibt – Richard Cieslar
Der Volksschullehrer, Fußballtrainer und politische Aktivist Richard Cieslar spricht im „Reinen Wein-Interview“ mit Gastgeber Gunther Sosna über sein Thesenpapier „Was mir am Schulsystem schwer zu denken gibt.“
Im Mittelpunkt seiner Arbeit mit den Schülern stehen deren Erwerb der Kulturtechniken und der Sprachkompetenz sowie weiterer Inhalte des Lehrplanes. Er selbst arbeitet in einer Brennpunktschule, wo pro Klasse oft nur ein einziges Kind Deutsch als Muttersprache hat. Aber auch in anderen Bereichen gibt es zwischen den Kindern gravierende Unterschiede, die sich im Lauf der vier Volksschuljahre noch vergrößern. Dabei vergrößern Kinder, die von Zuhause mehr Unterstützung bekommen und die sich mit dem Spracherwerb leichter tun, ihren Vorsprung auf die, die sich schwerer tun. Das Hauptproblem sind für ihn die fehlenden Ressourcen im Schulsystem. Derzeit sind durchschnittlich 25 Schüler mit einem Lehrer in einer Klasse. Es wäre aber wichtig, mehrere Lehrkräfte einzusetzen und auf höchstens 20 Kinder pro Volksschulklasse zu reduzieren, um individualisiert und differenziert unterrichten zu können.
Zu bedenken gibt Cieslar, dass man eine Gesellschaft daran erkennt, welchen Wert sie der Bildung der Kinder zuweist. Erfolge sind derzeit nur durch großes Engagement und übermenschliches Tun der Lehrenden möglich. So versucht er, seinen Schülern Erlebnisse zu bieten: er ist viel mit ihnen unterwegs. Aber allein der bürokratische Aufwand für die Fahrscheine kostet viel Zeit, nämlich seine und die der Direktion, die alles kontrollieren und EDV-mäßig einpflegen muss. Für ihn sollte Erlebnis orientierter Unterricht kostenlos sein.
Auch die regelmäßige Überprüfung der Sprachkompetenz durch standardisierte Tests bindet zwei Kollegen und jede Menge Zeit. Die Ergebnisse zeigen jedoch nicht das wahre Abbild der Sprachkompetenz. Nur die Lehrer, die mit den Kindern tagtäglich arbeiten, können hier eine angemessene Bewertung abgeben. Deutschförderklassen mit 18 Kindern und einer Lehrkraft oder Deutschförderkurse, tragen wenig bis nichts zum Erwerb von Sprachkompetenz bei, gelingen kann zwar ein gewisser Wortschatzaufbau, ein Verstehen der Sprache ist aber nicht möglich.
In den Klassen wird die Bevölkerungsstruktur des Wohn-Bezirks abgebildet, das führt etwa in Wien zu einer Ungleichverteilung und zu Schulen, in denen der Großteil der Schüler nicht Deutsch spricht. Zusätzlich ist das Problem, dass Kinder in den Ferien, vor allem im Sommer für 9 Wochen in die Heimat ihrer Eltern fahren und dort nur ihre Muttersprache sprechen, da beginnt man dann nach den Ferien wieder von vorne.
In weiteren Punkten seines Thesenpapiers geht Cieslar auf Lern- und Wahrnehmungsschwächen, die geringe Aufmerksamkeitsspanne sowie wachsende Probleme bei der Grob- und Feinmotorik ein, die durch Bewegungsarmut außerhalb der Schule, einen überalterten Lehrplan und bauliche Gegebenheiten in der Schule bedingt sind. „Klassenzimmer sind kinderfeindlich, sie sind keine Lernumgebung“, betont er und fordert zumindest zwei Räume pro Schulklasse: einen für den strukturierten Unterricht, einen anderen fürs Zurückziehen und für Bewegung.
Um das Jahr 2000 hatten die Ganztagsschulen in Wien ein Dreierteam, zwei Lehrer und einen Freizeitpädagogen, die 25 Stunden nur für diese Klasse zuständig waren, durch danach erfolgte Einsparungen sind dort jetzt maximal 5-6 Stunden doppelt besetzt.
Auch die Aufgaben der Lehrer, deren Schwerpunkt eigentlich das Unterrichten sein sollte, haben sich ums Vorbereiten, Dokumentieren und Evaluieren erweitert, was auf Kosten der Unterrichtszeit geht.
Nötige Änderungen, die die Lehrergewerkschaft als politische Kraft durchsetzen sollte, sind
die Ermöglichung eines spannenden, Erlebnis orientierten Unterrichts durch Umverteilung der Ressourcen. So sollten Deutschförderkurse und -klassen aufgelöst und diese Lehrer auf andere Klassen verteilt werden, wodurch eine Doppelbesetzung möglich ist. Ebenso sollten Lehramtsstudenten gegen Aufwandsentschädigung in die Klassen geholt werden – womit ebenfalls eine Doppelbesetzungen möglich sind. Dies wäre auch gleichzeitig ein „Eignungstest“ für neue Lehrer. Zudem bietet diese Maßnahme eine gezielte, regelmäßige und differenzierte Rückmeldung für die Schüler bezüglich ihres Lernfortschrittes. Entlastung in Sachen Deutsch wäre auch durch Quereinsteiger möglich; also Menschen, die gut Deutsch sprechen und Freude haben, mit Kindern zu arbeiten. Gesetzliche Regelungen verhindern das momentan aber.
Und den Verantwortlichen der Personalvertretung schreibt Cieslar abschließend noch einen alten Gewerkschafterspruch ins „Stammbuch“: „Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will.“
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RW – Richard Cieslar-YOUTUBE-IPHP | Wolfgang Müller | CC BY SA 4.0 |