Was macht frühe Kommunikation mit der kindlichen Psyche?
Es liegt in der menschlichen Natur, uns anderen mitteilen zu wollen, zum einen, um verstanden zu werden, zum anderen, um ein angenehmes oder unangenehmes Erlebnis teilen und dabei aufarbeiten zu können. Der soziale Austausch tut uns gut, Geschichten regen unser Interesse an und wir mögen es, wenn uns zugehört wird. Das gelingt in einem sicheren, liebevollen Umfeld besonders gut. Unter Familie und Freunden, finden wir die optimalen Bedingungen, um über alles zu sprechen, was uns bewegt und empfinden angenehme Bestätigung, wenn wir verstanden werden. Wir bedienen uns dabei scheinbar am stärksten dem Medium Sprache, das uns allerdings erst ab etwa dem zweiten Geburtstag hinreichend zur Verfügung steht. Bedeutet das, dass dieser wohltuende Austausch erst im dritten Lebensjahr stattfinden kann?
Ein nicht unerheblich großer Anteil unserer zwischenmenschlichen Kommunikation passiert allerdings nonverbal, also durch Blicke, Mimik und Gestik – Symbole der Körpersprache. Wenn wir etwas Aufregendes erzählen, unterstützen wir das mit Handbewegungen. Wer schon einmal versucht hat von einem spannenden Erlebnis zu erzählen und dabei seine Hände absichtlich völlig ruhig lassen wollte, weiß, wie schwer das ist. Eine gefühlvolle Beschreibung ohne gestikulierende Unterstützung ist fast unmöglich. Wenn es aber doch gelingt, merkt man erst, um wieviel schwerer das Denken und Sprechen fällt.
Menschen, die Freude am Gespräch haben, gestikulieren stärker. Insgesamt scheinen sie offener und neugieriger zu sein, zeigen sich – vermeintlich – anderen gegenüber als aufgeschlossener und kontaktfreudiger. Das wirkt in Gesellschaft meistens sehr sympathisch. Kommunikationsstarke Menschen haben weniger Scheu vor körperlicher Nähe und nehmen nonverbale Signale besser wahr. Sie werden von ihrer Umwelt sowohl im Privatleben als auch in beruflichen Belangen als erfolgreicher eingestuft als jene Menschen, die sehr verschlossen sind und lieber für sich bleiben. Diese strahlen durch Körpersprache und größeren räumlichen Abstand bereits eine gewisse Distanz aus, was durchaus als Schutz vor Kommunikationsversuchen Fremder verstanden werden kann. Ein sehr eindeutiges Zeichen nicht kommunizieren zu wollen, ist bekannterweise, wenn man sich innerhalb einer Gruppe am Rand oder in einer Ecke aufhält, die Arme vor dem Körper verschränkt, schützend um sich selbst gelegt. Menschen nutzen ihre Hände also auf ganz natürliche Weise zur Verstärkung oder eben auch zur Abwehr von Kommunikation.
Rhetorik muss nicht jedem als Geschenk in die Wiege gelegt worden sein, Kommunikation kann man lernen, trainieren und verbessern. Und je früher sie gefördert wird, desto besser. In den letzten ein bis zwei Jahrzehnten haben sich großartige Kommunikationstechniken für Babys und Kleinkinder eröffnet, die ein Verstehen schon ab dem Tag der Geburt ermöglichen und den Kleinen damit von Anfang an durch die Erfolgserlebnisse des Verstanden-Werdens Schritt für Schritt Lust auf Austausch vermitteln. Mit der Dunstan Baby Language lernen Eltern binnen weniger Stunden auf Laute zu hören, die sich durch frühkindliche Reflexe im Mundbereich bilden, diese zu erkennen, zuzuordnen und liebevoll darauf einzugehen. So wissen auch frisch gebackene Mütter und Väter, ob ihr Baby müde oder hungrig ist, aufstoßen muss, sich Bauchschmerzen ankündigen oder etwas Ärgerliches die zarte Kinderhaut irritiert wie eine nasse Windel oder ein kratziges Etikett.
Nur wenige Monate später können Kinder durch den Einsatz einfacher Handbewegungen Bedeutungen wie etwa Milch, Katze, Opa, baden und vieles mehr ausdrücken und ihre Eltern auf diese Weise wissen lassen, woran sie gerade denken oder was sie brauchen. Dabei werden die Hände zum Instrument bewusster Unterstützung der Kommunikation, solange Sprache noch nicht mit Worten funktioniert. Diese Technik ist buchstäblich baby-leicht, so einfach wie Winken oder die Gebärde für „Bitte“. Trotzdem wird sie noch immer von vielen Familien als nicht notwendig angesehen, weil man in der Gesellschaft meint, dass eine gute Mutter oder ein guter Vater die Grundbedürfnisse des Kindes doch ohnehin weitestgehend erspüren kann, genauso wie Primateneltern die Bedürfnisse ihres Affenbabys verstehen und genauso wie auch weniger entwickelte Tierarten wissen, was der Nachwuchs braucht.
Ja, einigermaßen erfahrene Eltern entwickeln ein gutes Gefühl dafür, was ihr Baby möchte. Aber genauso wie ich der Meinung bin, dass erwachsene Menschen einen kognitiven Level erreicht haben, um in ihren Gesprächen mehr zu erzielen als Informationen über Grundbedürfnisse auszutauschen, so finde ich persönlich, dass es sich Kleinkinder verdienen, in einem Maß verstanden zu werden, das über Essen wollen, Windel wechseln, Kuscheln und Schlafbedürfnisse hinausgeht. Kommunikation ist nicht nur der Austausch von Informationen. Kommunikation hat die Fähigkeit, Bindung zu schaffen, Beziehungen zu verbessern und gegenseitiges Vertrauen zu stärken. Sie macht uns erst zu Menschen, weil sie Gefühle transportiert, die weit über den Instinkt des Verstehens hinausgehen. Deshalb ist es mir so wichtig, den Unterschied darzustellen zwischen dem, was in einem Kind vor sich geht, das von fürsorglichen Eltern gut versorgt wird und einem Kind, das erfahren darf, was es bedeutet, wirklich verstanden zu werden und das spürt, was dieses Verstanden werden in ihm selbst bewirkt.
Eine Statistik aus 2015 besagt, dass Mütter im Durchschnitt ca. 8 Minuten und Väter ca. 3 Minuten am Tag mit ihren Kindern sprechen. Gemeint ist damit jene Zeit, die nicht für Austausch von Informationen, schulischen Belangen oder Erziehung verwendet wird. Auch Gespräche im Rahmen eines Spiels sind nicht einberechnet. Es geht bei der genannten Zeit rein um die Dauer zwischenmenschlicher Gespräche.
Namhafte Pädagogen der heutigen Zeit zeigen schon seit längerem auf, dass bei der kindlichen Entwicklung ein Zuwenig an Sprechen und ein Zuwenig an selbständigem Entwickeln stattfindet, dafür ein Zuviel an bewusster Förderung außerhalb der Familie. Ich will an dieser Stelle nicht über richtig oder falsch diskutieren, ich will auf das Gesprächsklima innerhalb von Familien schauen, weil es meiner Meinung nach keine bessere Basis für eine gesunde psychische Entwicklung gibt als gelungene Kommunikationsfähigkeit. Ein Vergleich von ein und derselben Situation aus der Perspektive eines Kleinkindes in der Krippe soll den Unterschied veranschaulichen, den erfolgreiche nonverbale Kommunikation eines Babys mit einfachen Gebärden im Verhalten des verstehenden oder nicht verstehenden Erwachsenen macht.
Situation ohne den Einsatz von bewussten Handzeichen:
Lisa geht in die Krippe, ihre große Schwester in den Kindergarten derselben Institution. Bei der Zwischenmahlzeit sind die Kinder aller Altersstufen zusammen. Es gibt Apfel, Banane, Butterbrot und Wasser. Die älteren Kinder reden bei Tisch, die Kleinen, die noch nicht sprechen können, sitzen da und essen still vor sich hin. Jeden Tag, wenn die Jause vorbei ist, bleibt Lisa auf ihrem Sessel sitzen und beginnt zu weinen. Die Pädagoginnen sind davon schon sehr genervt, weil es einfach nicht ersichtlich ist, wo ihr Problem liegt.
Situation mit dem Einsatz von bewussten Handzeichen:
Lisa geht in die Krippe, ihre große Schwester in den Kindergarten derselben Institution, in der Babyzeichensprache angewandt wird. Bei der Zwischenmahlzeit sind die Kinder aller Altersstufen zusammen. Es gibt APFEL, BANANE, BUTTERBROT und WASSER. Die älteren Kinder reden bei Tisch, die Kleinen, die noch nicht sprechen können, zeigen auf die Speisen und machen die Zeichen dafür. Sie scheinen dabei großen Spaß zu haben.
Jeden Tag, wenn die Jause vorbei ist, bleibt Lisa auf ihrem Sessel sitzen und zeigt ganz vehement das Zeichen für HÄNDE WASCHEN. Eine der Pädagoginnen geht dann mit ihr in den Waschraum und hilft ihr dabei. Anstatt zu weinen ist sie glücklich und badet ihre Händchen im Wasser.
Kann man es deutlicher aufzeigen?
Gebärden, die von Anfang an eingesetzt werden, bewirken besseres Verständnis nicht nur zwischen Baby und Eltern, sondern auch zwischen Geschwistern, Cousins und Cousinen oder anderen Kindern genauso wie Großeltern und anderen Erwachsenen im direkten Umfeld. Dieses Verhalten zeigt sich auch Fremden gegenüber, aber nicht als Distanzlosigkeit, sondern lediglich als offenes Interesse auf beiden Seiten der Gesprächspartner. Dabei werden die Gedanken aufmerksam auf etwas gerichtet, das Kind lernt zu fokussieren – anfangs natürlich altersbedingt nur kurz, aber das Kind erhält einen Zugang zu dem Gefühl völliger Aufmerksamkeit, weil beim Gebärden Hand und Auge koordiniert werden müssen. Beim Erwachsenen wiederum rückt ein Thema, eine Situation oder ein Erlebnis ins Bewusstsein, das er ohne frühkindliche Kommunikationsmethode nicht verstanden hätte. Es ist aber genau dieses Unverständnis, das oft vorschnell über eine Situation hinwegfegt, in der ein Kleinkind nicht verstanden wird. Ohne zu hinterfragen, wird geurteilt anstatt den Blick wertschätzend darauf zu richten, was im Hintergrund gemeint sein könnte. Kurz innehalten, nachdenken, eben nicht urteilen, sondern sich Babys Welt zeigen lassen, sind die Stufen, die zu erfolgreichem Verstehen führen.
Ein gebärdendes Kleinkind erhält von seinen Bezugspersonen mehr interessierte Aufmerksamkeit und mehr direkte Rückmeldung. Im Gegenzug wird es viel seltener ignoriert, wenn seine Kommunikationsversuche auf Unverständnis stoßen, sondern es wird ermutigt, das Zeichen nochmals zu machen, damit die Familie seine Gedanken nachempfinden kann. Es lernt aus den Gefühlen, die das Verstanden-Werden in ihm auslösen und es erfährt sogar in einem gewissen Maße, was Rücksichtnahme bedeutet. Das ist schön, das fühlt sich gut an und an dieses Gefühl gewöhnt es sich. Es entwickelt das Bedürfnis, andere genauso gut zu verstehen. Und es ist bereit anderen Menschen auch aufmerksam zu begegnen, zumindest soweit es das auf Basis seines Entwicklungsstandes schon erfüllen kann. So macht ein „Babyzeichensprache-Kind“ Erfahrungen mit und durch Kommunikation, die Kinder ohne Gebärden nicht oder nur in deutlich geringerem Maße machen können. Und dabei meine ich nicht ein nachweislich erfolgreicheres Töpfchentraining oder ein besseres Vermitteln von Ordnung und Struktur. Das sind Erziehungselemente, deren im Alltag integrierter Ablauf gut und nützlich ist, aber ich zähle sie zu Konditionierung und nicht zu konstruktiver kindlicher Entwicklung.
Ein Kind, das sich durch nonverbale Techniken klar und deutlich ausdrücken kann, erfährt nicht nur, wie es ist, als kleiner Mensch schon respektiert zu werden. Der Nutzen geht sogar so weit, dass auch leichte Übergriffe gar nicht erst passieren. In der Regel sind sie zwar nicht böse gemeint, aber sie können mitunter entstehen, wenn die Bedürfnisse des Kindes zum Ratespiel werden, das einfach nicht entschlüsselt werden kann und die Ungeduld die Oberhand erlangt.
Beim erfolgreichen Kommunizieren entstehen hingegen viele glückliche Momente: Erfolgserlebnisse bei den Kindern einerseits, die dazu anregen, sich vermehrt mitzuteilen, und bei den Eltern andererseits viel Freude und Stolz, weil sie sich sicherer und kompetenter im Umgang mit ihrem Kind fühlen. Sie entwickeln viel mehr Spaß an der Elternrolle und sind im Alltag nicht so überlastet. Gerade Väter, die oft in schwierigen Situationen außen vor bleiben, weil Mama irgendwie doch besser errät, was gerade das Problem sein könnte, profitieren von frühkindlichen Kommunikationsmethoden. Wenn man einmal die Situation erlebt hat, den bewussten nonverbalen Austausch mit seinem Baby zu verstehen, will man das immer, weil es sich einfach so gut anfühlt; weil man auf einmal auf einer anderen Bewusstseinsebene kommuniziert, nämlich auf jener, in der man begreifen kann, dass all die Gedanken für einen Austausch auf Augenhöhe schon in Babys Kopf sind. Sie sind tatsächlich da, sie können nur nicht in Form von Worten ausgedrückt werden, aber es gibt andere Wege. Das elterliche Bedürfnis nach Verstehen macht Mama und Papa geduldiger und achtsamer – es ist ein guter Nährboden für gewaltfreie Kommunikation, auf der wiederum Resilienz aufgebaut werden kann – jene psychische Widerstandskraft, durch die Erwachsene auch herausfordernde Zeiten sicher bewältigen.
Das gelingt, weil das Baby lernt, dass es bei Kommunikation nicht nur darum geht, was es gerade braucht, sondern besonders darum, was es denkt, wofür es sich interessiert, was es fühlt, was in seinem kleinen Köpfchen vor sich geht. Es kann beim Schlafengehen den Tag Revue passieren lassen, es kann dem Papa, wenn er abends heimkommt, erzählen, was es tagsüber erlebt hat, es kann sich frühzeitig mit Gefühlen wie Freude, Angst, Stolz, Traurigkeit und anderen auseinandersetzen – den eigenen aber auch denen seiner Umwelt, was wiederum seine Empathiefähigkeit fördert. Es kann Fragen stellen, die es sonst erst stellen könnte, wenn es die Worte „Warum?“ oder „Wieso?“ aussprechen kann. Es lernt früh, über etwas zu reflektieren, auch wenn die Gedanken sich nur im Kopf in Form von Bildern formieren und der Nachdenkprozess mit den Überlegungen eines Erwachsenen nicht vergleichbar ist.
Natürlich hinterfragt ein Kleinkind Gefühle nicht rational, aber es entwickelt ein tiefes Spüren dahingehend, dass es frei denken darf, sogar selbständig denken soll und dass es so angenommen wird, wie es ist. Das intuitive Wissen um diese Akzeptanz bedeutet für das Kind Freiheit im Tun und im Fragen. Es erlebt durch die Reaktion des Gesprächspartners, was Selbstwirksamkeit ist, wie etwa ein Gesprächsthema aufgegriffen wird, weil es selbst damit begonnen hat. Oder wie ein Spiel begonnen wird, weil es darum gebeten hat oder wie es eine bestimmte Leckerei bekommt, weil es danach gefragt hat. Das Kind macht jeden Tag aufs Neue die Erfahrung, dass es auch ohne Worte verstanden wird, dass man es verstehen WILL. Das fördert die Bindung an eine Bezugsperson, weil das Verstanden-Werden so viel zwischenmenschlichen Mehrwert hat und den kindlichen Selbstwert, sein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen wachsen lässt. Dem Baby wird durch die aufmerksame Zuwendung vermittelt: „Du bist mir wert, Dir genau zuhören zu wollen. Du bist mir wert, mir die Zeit zu nehmen, Dich verstehen zu wollen.“ Kann man einem kleinen Menschen mehr Anerkennung schenken?
Buchtipp: Was Dein Baby Dir sagen möchte von Vivian König
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