„Warst du vor dem Rollstuhl ein Trottel, bist du es nachher auch“

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Gesellschaft

Im 2. Teil meiner Interview-Serie mit Thomas Gschwandtner, der als Querschnittsgelähmter weder Mut noch Verstand verliert, spricht er u.a. über „Suderanten“, „Rechthaberei“, über den Tod – und zudem über sein besonderes Buchprojekt mit Christian Redl (Freitaucher und mehrfacher Weltrekordhalter).

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Tom mit Partnerhund Nico

Lieber Tom, erzähl uns doch etwas über dein neues Buchprojekt!

In einem Gespräch mit Christian Redl stellte sich heraus, dass er bei Apnoe dieselben mentalen Techniken bewusst anwendet, wie ich unbewusst. Bei mir geschah dies unbemerkt, bedingt durch meine lebensbedrohliche Situation vor 23 Jahren. Christian wiederum trainiert das und bringt sich aktiv in eine Situation wie diese. Psychisch sind wir also gleich aufgestellt. Um genau diese Techniken geht es in unserem Buch. Ich, „Krüppel„, und beide arbeiten wir mit dem Kopf – das ist das Spannende. Gefühle lassen sich lenken. Man kann dies erlernen und trainieren. Und wir wollen alle dasselbe …

 … und was genau ist das?

Ein Leben, das nicht anstrengend ist. Ruhe, kein Leid. Wenn du ein Kind fragst: „Willst du Krieg?„, wird es antworten: „Nein.“ Und was haben wir? Kriege.

Wieso klappt das denn nicht mit dem Weltfrieden?

Weil viele glauben, sie sind so super, und sie oftmals zu rechthaberisch sind. Doch wieso will man denn unbedingt recht haben? Wem nützt es? Wenn ich mit dir streite und du hast recht, dann könnte ich denken, dass ich blöd dastehe und du die Gute wärst. Aber gesund-egoistisch könnte ich anders denken: „Vielleicht hat Anna recht.“ Das Aha-Erlebnis dabei würde mich weiterbringen und eine Hinterfragung meiner Motive würde zu einer  Veränderung meines Verhaltens führen.

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Tom mit Johanna Mikl-Leitner

Auf Facebook schriebst du mal: „Die Dinge nicht zu bewerten, sondern sie so zu nehmen, wie sie sind, ist nicht immer leicht.

Mein Grundgedanke: Raus aus der Suderei. Wir werden hier von niemandem bedroht. Die Leut‘ keppeln sogar beim Autofahren im Stau. Wegen Dingen also, die sie nicht ändern können. Dabei könnte man in diesem Moment beschließen, sich nicht über diesen Zustand zu ärgern und die Zeit vielleicht positiv zu nutzen, z.B. einen Freund anzurufen.

Anstelle zu bewerten, könnte man denken: Vielleicht hat der Stau auch etwas Gutes? Wäre man weitergekommen, wäre man vielleicht in einen Lastwagen gefahren.

Es lässt sich grundsätzlich immer entscheiden, wie der nächste Schritt im Leben aussieht. Entscheide ich nichts, habe ich übrigens auch etwas entschieden.

Noch ein Zitat: „Mein Rollstuhl und ich haben heute unseren 23. Hochzeitstag.“ Du magst deinen Rollstuhl gern, nicht wahr?

Er ist super, weil er mir hilft. Es ist es keine Schande, Hilfe anzunehmen. Ich habe einen Aktivrollstuhl aus Titan, 7 kg leicht, sehr teuer, stylisch – das ist Lebensqualität. Mit ihm bin ich mobil und unabhängig. An meiner Lähmung kann ich nichts ändern, aber ich kann die Situation lindern. Samuel Koch z.B. verunglückte bei „Wetten, dass..?„, ist seither vom Hals abwärts gelähmt, fährt im Elektrowagerl und bleibt bis ca. 5 Uhr morgens im Rollstuhl – damit er sich noch Resteigenständigkeit bewahren kann. Im Bett hingegen ist er bewegungslos.

Versuchst du, positiv auf deine Umgebung einzuwirken?

Nein, ich versuche, auf mich selbst zu wirken und einfach zu sein. Deshalb lasse ich generell ein „ich bin halt so“ oder „ich hatte eine schlechte Kindheit“ nicht gelten. Jeder kann aus seinen Mustern raus und sollte diese nicht mit seinem Charakter verwechseln. Oder eine Lebenssituation mit dem Leben verwechseln. Ein typischer Sager ist z.B.: „Der ganze Tag war zum Kotzen.“ Das kann so ja gar nicht stimmen. Wieso lasse ich denn einen Moment den ganzen Tag schwärzen? Also: Raus aus der Opferhaltung.

Du wirst von vielen Menschen als „Held auf Rollen“ gefeiert …

Das ist furchtbar …

Warum?

Warst du vor dem Rollstuhl ein Trottel, bist du es nachher auch.

Ich fühle mich einfach nicht wohl in der Rolle des Retters/Erleuchters/Helden, will nicht beklatscht werden. Ich mag es lieber, wenn sich die Leute an mir reiben, und mache gerne neue Sachen, suche immer wieder nach neuen Herausforderungen.

Also ist es nicht die Querschnittslähmung gewesen, die dich grundlegend veränderte?

Charakterlich nicht, meine Einstellungen habe ich verändert. Ich beobachte mehr, aber das kann auch dem Alter geschuldet sein. Muss also nichts mit meiner Querschnittslähmung zu tun haben.

Denn: Warum soll ein Mensch besser sein, nur weil er z.B. blind ist? Was wäre die Veranlassung?

Wie denkst du über das Thema Tod?

Wenn du abdanken musst, sind alle Verstrickungen weg. Das Leben ist vorbei. Du brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen. Als ich bei meinem Unfall auf der Wiese lag, war ich so angstfrei wie nie zuvor. In so einem Moment hast du dann keine Reserve mehr, ein Problem daraus zu machen.

Weiters bin ich im Jänner dieses Jahres dem Tode wieder, sogar noch knapper, entronnen: schwerste Blutvergiftung. Ich wurde mit akutem Nierenversagen eingeliefert. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nichts geregelt gehabt und wäre einfach so gestorben. Meine Freundin, Intensivschwester, rettete mich allerdings – sie ist um Häuser weiser als ich, sieht die Dinge so klar, so unaufgeregt.

Als ich zwei Wochen auf der Intensivstation lag, wurde mir bewusst, wie nebenbei man sterben kann. Sterben ist nichts Großes, ein Furz. Ich habe den Respekt vor dem Sterben verloren.

Lebt es sich durch diese Erkenntnis anders?

Das hat mich schon um eine Umdrehung verändert: Der Tod ist nicht mehr das Größte, er ist so klein. Also was soll mich noch großartig erschüttern? Wenn der letzte Weg so banal ist, warum rege ich mich dann etwa über einen Stau auf? Das heißt aber nicht, dass mir alles wurscht ist:

Das, was etwas wert ist, wird wertvoller als vorher. Ich bin offener geworden.

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Tom auf Reisen mit seinen Kindern Max und Nina

Inwiefern offener?

Ich dachte, ich sei schon so gescheit durch meinen Unfall, aber da geht mental noch viel mehr. Das Beste, was ich daraus lernte: Ich nehme mich selbst nicht mehr so wichtig. Vor meinem Unfall war ich in meinem Job todunglücklich und wollte raus. Dann war der Unfall, und ich war raus. Deshalb überlege ich mir heute genau, was ich mir wünsche und ob ein Wunsch nicht bloß Ablenkung ist …

Glaubst du, es ist möglich, sich nichts zu wünschen?

Nein, außer man ist ein Wunderwuzzi. Jeder hat Hoffnungen, Erwartungen. Aber ich hinterfrage genau: Was steckt dahinter?

Hast du eigentlich schon versucht, mit Christian Redl zu tauchen?

Das ist sogar in Planung und meine nächste Challenge. Jetzt kann ich mich davor fürchten, oder ich warte einfach, bis der Tag X da ist – und dann kann mir immer noch angst und bange sein.

Danke für das spannende Gespräch, lieber Tom!

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lesungen-lesungen-lesungen lesungen-lesungen-lesungen 1 ©Tom Gschwandtner
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