Vor welchen großen Herausforderungen steht die Menschheit? – Prof. Václav Cílek
Alexander Stipsits von Idealism Prevails hatte die tolle Gelegenheit, Professor Václav Cílek – tschechischer Geologe, Klimatologe, Schriftsteller, Philosoph, Übersetzer von Tao- und Zen-Texten und Direktor des Geologischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften – zu interviewen. In einer Serie von drei Teilen versucht Sascha, Prof. Cílek mit gewissen Themen zu konfrontieren. In Teil 1, der bereits erschienen ist (Wie gehen Sie als Wissenschaftler mit Informationen um?), ging es um den allgemeinen Umgang mit Informationen. In Teil 2 wird die Frage aufgeworfen, worin die größte Herausforderung der Menschheit liegen könnte.
Professor Cílek, da wir nun einige Grundlagen geschaffen haben, möchte ich nun fortsetzen und Sie fragen, was Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Menschheit sind. Ich frage deshalb, weil das Unbehagen der Gesellschaft in Bezug auf die Zukunft scheinbar zunimmt – zumindest habe ich das in den letzten 30 Jahren nie als so schlimm wie jetzt empfunden. Warum ist das so, was könnten die Gründe dafür sein?
Diese Dinge sind natürlich schwer zu beschreiben, aber versuchen wir, das Ganze in einer gekürzten Version zu erklären: Wenn wir uns die Geschichte ansehen, sagen wir ab dem 18. und 19. Jahrhundert, dann erkennen wir, dass wir uns erstens in einer Zeit des ständigen Wandels befinden. Besonders im Hinblick auf 1848 auf der sozialen Ebene und 1890 durch die erste Industrielle Revolution. Zweitens kann man den Ersten und Zweiten Weltkrieg quasi zu einem Konflikt zusammenfassen, wie es im Krieg der Peloponnes im alten Griechenland war. Und drittens erkenne ich eine Fortsetzung dieses Prozesses.
Wenn man also sagt, es handle sich um das Ende des „Abendlandes“ unserer Zivilisation, dann spreche ich persönlich von einer Transformation über einen gewissen Zeitraum. Wenn wir über das Ende einer Zivilisation sprechen, stellen wir es uns gerne wie in einem Hollywood-Film vor: ein Asteroid kommt, die Eiszeit kommt, in zwei Stunden oder zwei Tagen, und so weiter … also hier passiert eine Katastrophe, und dort erscheint plötzlich der Held.
Was wir aber tatsächlich erleben, ist das Zusammentreffen einer Vielzahl von Faktoren, die sich verschlechtern. Ich vergleiche das mit den griechischen Zyklen. Die Griechen glaubten nämlich, dass es einen Zyklus gebe – ein Teil davon ist der erotische Zyklus, die anziehende Kraft, die die Dinge zusammenfügt: große Nationen, große Reiche, große Knalle, große Monopole usw. Der Prozess erreicht dann in einem bestimmten Stadium seinen Höhepunkt, und die andere Seite des Zyklus, die als chaotisch bezeichnet wird, kommt zum Vorschein.
Eine „chaotische Zeit“ ist etwas, das vergleichbar ist mit der Qualität eines Feindes. Dies ist die Zeit, in der große Unternehmen auseinanderbrechen, große Nationen auseinanderbrechen, Minderheiten Unabhängigkeit fordern (wie die Katalanen, die Waliser, die Schotten, oder auch das Auseinanderbrechen der Tschechoslowakei …).
Es scheint, dass wir uns jetzt auf dem Höhepunkt des Prozesses befinden und „untergehen„. Das bedeutet für mich aber nicht „das Ende“ der Zivilisationen. Es handelt sich hier vielmehr um eine neue Phase. Ich glaube, dass diese neue Phase aufgrund mehrerer Faktoren schwierig werden wird. Das Wirtschaftssystem ist nicht stabil und verändert sich ständig, der Klimawandel ist im Kommen, wir begegnen der Dürre und bemerken auch die Überbevölkerung in bestimmten Regionen der Welt. Ein Gefühl der Unsicherheit ist da, der Aufstieg Chinas …
Es gibt also einfach zu viele Veränderungen auf den einzelnen Zeitskalen. Die kommenden Veränderungen können so gravierend sein, wie es im Zweiten Weltkrieg der Fall war. Und alles beginnt mit dem Klima. Das heißt so viel wie, dass es Regionen gibt mit mehr Wasser, und dann wieder einige mit praktisch keinem; dann gibt es Gebiete mit zu wenig Nahrung, was wiederum zu einer Verringerung der Sicherheit und einer verstärkten Migration usw. führt.
Wenn man sich übrigens die Europakarte ansieht, erkennt man die von der Dürre betroffenen Gebiete, wie z.B. die südliche Hälfte Spaniens. Dieses Jahr ist auch Mittelitalien betroffen. Langfristiger betrachtet betrifft sie Griechenland, Bulgarien, Rumänien und für mich überraschenderweise auch die Ostukraine. Und ich spreche nicht einmal vom südlichen Mittelmeer und darüber hinaus, das bereits seit über 20 Jahren mit der Dürre zu kämpfen hat, die sich ebenso im östlichen Mittelmeer bis in die Türkei erstrecken wird.
Und doch ist für mich das große Rätsel die Ostukraine. Dort herrschen einige der schlimmsten Dürre-Zustände in Europa. Warum? Man sieht, dass eine Gesellschaft, bei der sich Hungersnöte und dergleichen breitmachen und die seit Jahrtausenden eng mit der Landwirtschaft verbunden ist, von Klimaveränderungen auch in psychologischer Hinsicht betroffen ist. Bei der Dürre geht es nicht nur um den reinen Wassermangel:
Es geht um unsere Seele, es geht dabei darum, was mit unserer Geisteshaltung geschieht. Wenn die Menschen also vermehrt Trockenzeiten erleben, fühlen sie sich in Gefahr. Das liegt an den tiefen, sogar prähistorischen Erfahrungen. Und fühlt man Gefahr, werden Politiker gewählt, die etwas versprechen.
Die Politiker wissen also, dass sie dadurch Stimmen erhalten, und dann kommen wieder die anderen Parteien ins Spiel. Da das Gefühl der Gefahr fortbesteht, verstärken sich die Aggressionen der Parteien gegeneinander, es werden möglicherweise eigene Sicherheitskräfte eingesetzt und später könnte es zur Bildung militärischer Kräfte kommen. Das wiederum mündet in einen Konflikt wie in der Ukraine, in der durch den Zusammenbruch der sowjetischen Industrie das soziale Gefüge bereits geschwächt ist.
Ich glaube, dass die Situation dieses Absackens einen Trigger-Effekt nach sich zieht. Wenn man sich unter dieser Perspektive in der Welt umsieht, erkennt man, dass die schlimmsten Dürre-Zustände z.B. in Somalia herrschen; und es könnte noch einiges passieren in Pakistan und Afghanistan, sofern man die vielen jungen Menschen, den starken Kriegsethos und die künftigen Dürren in die Rechnung miteinbezieht. In Afghanistan ist die Zahl der Bäume seit der sowjetischen Invasion um bis zu 90 Prozent zurückgegangen. Die Bäume wurden gerodet, damit sich die Widerstandskämpfer nicht im Wald verstecken konnten; der Rest wurde von Leuten gefällt, die Brennstoff zum Kochen oder zum Heizen brauchten.
Also, einfach ausgedrückt: Wir können einen Bereich des Wandels betrachten, sagen wir das Klima, und daraus mögliche zukünftige Entwicklungen ableiten.
Im 3. Teil des Gespräches mit Prof. Václav Cílek, der in Kürze erscheinen wird, wird es um die detaillierten Gründe für den Klimawandel gehen und es wird hinterfragt, warum viele nicht bereit dazu sind, effektiv darauf zu reagieren.
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Duerre | Stefan Kühn | CC BY-SA 3.0 |