Von Amman zur Allenby-Brücke
Ich öffnete meine Augen in Strahlen blitzender Helligkeit und blinzelte ein paar Mal, bevor ich mich an das Licht gewöhnt hatte. Nach einem Moment realisierte ich, dass es Morgen war.
Ich saß am Fenster. Rasch lehnte ich mich dicht an die Scheibe, um nach draußen zu sehen. Überall breiteten sich überwältigende Sanddünen aus, die in verschiedensten blassen Gold- und Brauntönen erschienen. Hoch aufragende Dünen aus wogendem Wüstensand in enormer, endloser Ausdehnung. Sofort wandte ich mich der Person neben mir zu, um zu fragen, ob das Saudi-Arabien oder Jordanien sei. Doch er schlief fest, und mir wurde klar: Wie sollte er es überhaupt wissen? Es war ziemlich naiv von mir, das zu denken, aber ich war zu aufgeregt.
Selbst jetzt konnte ich noch nicht ganz glauben, dass ich mich gerade auf dem Weg nach Palästina befand. Während meiner ganzen Reise musste ich mir immer wieder einen Moment Pause nehmen, um die Vorstellung in mich einzusaugen, dass das gerade wirklich passierte. Ich lächelte die ganze Zeit über. Endlich landete das Flugzeug auf dem Queens Alai International Airport in Amman. Es war 9:40 Uhr am Morgen. Uns war gesagt worden, dass es von hier aus nicht mehr als zwei Stunden nach Palästina seien. Ich erlebte einen eigenartigen Gefühlsmix: Ich war sehr glücklich und aufgeregt und gleichzeitig ängstlich und unruhig. Mein Verstand wurde gänzlich in Anspruch genommen von dem Gefühl, dass ich in zwei oder drei Stunden in Palästina sein würde.
Wir sollten unsere Visa bei der Einreise bekommen. Wir hatten alle nötigen Dokumente und Genehmigungen, und so dachten wir, dass es nicht lange dauern würde. Die Beamten am Flughafen begannen Fragen zu stellen und zögerten, uns die Visa zu erteilen. Das hatten wir überhaupt nicht erwartet, und uns wurde klar, dass das Chaos seinen Lauf genommen hatte. Unser Gruppenleiter, ein Journalist, der schon mehrmals in diese Gegend gereist war, sagte mit verbittertem Sarkasmus: „Willkommen in Nahen Osten.“
Bis dahin hatte ich keine Vorstellung, zu welcher Komplikationsstufe in diesem Teil der Welt selbst die einfachsten Dinge gebracht werden können. Die Sprache war in jedem Fall ein Problem: Nur wenige konnten Englisch. Wir warteten. Als nichts funktionierte, mussten wir die palästinensischen Beamten um Hilfe bitten. Die Warterei zog sich in die Länge, und alle begannen unruhig zu werden, denn das Programm im Camp sollte schon begonnen haben, und bei diesem Tempo würden wir den ersten Tag verpassen.
Wir stiegen sofort in Taxis, die uns zum jordanischen Grenzterminal an der Allenby-Brücke oder König-Hussein-Brücke brachten. Diese Brücke über den Jordan verbindet Jordanien mit dem Westjordanland und ist der einzige zugelassene Grenzübergang, über den die Bewohner des Westjordanlandes aus- oder einreisen können. Wir hatten Glück, der Taxifahrer sprach Englisch. Er sagte uns, dass es etwa 45 Minuten dauern würde, das jordanische Terminal zu erreichen. Es war bereits Mittag und wir erwarteten, dass wir in zwei oder drei Stunden in Jericho sein würden.
Die Landschaft und die Aussicht auf die karge Wüste mit Palmen, niedrigem Buschwerk und kleinen, weit auseinanderliegenden Flecken von grüneren Büschen und Wiesen begann meine Blicke anzuziehen und ihnen zu schmeicheln. Der Taxifahrer war sehr nett und gab uns die ganze Fahrt über Erklärungen und Beschreibungen der Orte, die wir auf unserem Weg zur König-Hussein-Brücke durchquerten. Die kühle und trockene, aber frische Brise, die die halbverlassenen, einsamen Gegenden dieser kargen, aber ruhigen Landschaft durchwehte, brachte ein entspannendes Gefühl der Ruhe.
Es war so ruhig und still hier, dass ich nicht aufhören konnte, über das Paradoxe dieser Gegend nachzudenken: Darüber, dass es gleichzeitig auch der konfliktreichste Teil der Welt ist. Plötzlich kam das Auto ächzend zum Stehen und riss mich aus meinen Gedanken. Wir hielten für eine Kaffeepause an einem kleinen Café neben einer Moschee. Der Ausblick in die Weiten des Landes von hier aus war schön. Die Moschee und das Café sollten bedeuten, dass es hier Menschen gibt, aber wir sahen kaum jemanden.
Wir setzten unsere Fahrt zum jordanischen Grenzterminal an der König-Hussein-Brücke fort. Diese Gegend liegt in der Nähe des Toten Meeres und befindet sich unterhalb des Meeresspiegels. Der Fahrer sagte uns, dass uns möglicherweise schlecht werden könnte, wenn wir das Tote Meer passieren, aber ich spürte nichts davon.
Nach einiger Zeit waren wir am Ziel. Wir luden unser Gepäck aus dem Taxi und verabschiedeten uns von unserem Fahrer. Er war ein wirklich süßer Mensch und versprach, dass er bald Indien besuchen werde. Doch bevor er ging, lächelte er und sagte noch etwas:
Ich bin Palästinenser, doch ich kann mein Land nicht besuchen. Ich sehne mich danach, meine Heimat und meine Leute zu sehen. Ich bin nur ein paar Kilometer entfernt, aber ich kann nicht hin. Sagt meinen Leuten, dass ich sie liebe, und richtet ihnen meine besten Wünsche aus. Besucht mein Land und meine Leute. Ich wünsche euch einen guten und sicheren Aufenthalt!
Seine Worte brachten eine traurige Stimmung. Wir konnten seine Hilflosigkeit und seinen Schmerz spüren, auch wenn er lächelte, und wurden wieder einmal daran erinnert, dass diese Reise eine Mischung aus Glück und Düsternis sein würde, aus guter und bedrückter Stimmung, eine Entdeckung von Schönheit und von Abscheulichkeit und vielleicht noch vieles mehr. Mir wurde klar, dass dieser Besuch in Palästina mich noch viel öfter nachdenklich machen würde.
Wir wurden zum Warteraum für die Ausreisenden gebracht, wo wir unsere Pässe einem Beamten gaben, der hinter einem Fenster saß. Bei uns war noch die australische Delegation, und zusammen waren wir um die zwanzig Leute, die zum Jugendcamp wollten. Ich hatte nicht erwartet, dass wir im Ausreise-Warteraum noch einmal fast eineinhalb Stunden lang warten mussten. Wie auch immer, uns wurde nun klar, dass das Warten ein Teil dieser Reise war. Wir akzeptierten das, und es konnte unsere Stimmung auch nicht mehr beeinträchtigen. Nach ein paar Fragen durch die Grenzbeamten wurden wir angewiesen, unsere Pässe dazulassen und den Shuttlebus zu besteigen. Wir taten, was sie uns sagten.
Nach einer Weile kamen die Grenzbeamten mit unseren Pässen und gaben sie jedem Einzelnen von uns zurück. Wir konnten gehen. Eine der palästinensischen Organisatorinnen begleitete uns über die Brücke. Sie wirkte stark, resolut und durchsetzungsfähig und war so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir über arabische Frauen in den Medien und besonders in Hollywood-Filmen sehen. Ich hatte schon recht viel über den Kampf der Palästinenserinnen, ihre mutigen Begegnungen und ihre Geschichten gelesen, aber sie war die erste Araberin, die ich in ihrem eigenen Land kennenlernte. Ich mochte sie sofort.
Der Bus setzte sich in Bewegung und fuhr mit uns zum israelischen Terminal der König-Hussein-Brücke. Von den Israelis wird sie Allenby-Brücke genannt, und daher werde ich von jetzt an diesen Namen verwenden. Unser Gruppenleiter gab uns einige Anweisungen, wie wir mit den israelischen Grenzbeamten umgehen sollten. Er bat uns, auf alles vorbereitet zu sein, was kommen würde. Der Bus hielt nach einer Fahrt von zehn oder fünfzehn Minuten am israelischen Terminal. Es war bereits 15:30 Uhr, und wir hatten noch immer das Einchecken und die übrigen Formalitäten durch die israelischen Grenzbeamten vor uns.
In dem Moment, als wir das israelische Terminal erreichten, war alles, was ich fühlte, ein heftiger Adrenalinschub. Ich wusste nicht, was ich zu erwarten hatte und sagte mir: „Sehen wir mal, was als Nächstes passiert.“
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake