USA, Europa & Naher Osten in der neuen politischen Ära

Mittlerer Osten
Politik

Veranstaltungsdaten

Datum
24. 4. 2017
Veranstalter
Diplomatische Akademie Wien
Ort
1010 WIen, Favoritenstraße 15a
Veranstaltungsart
Vortrag
Teilnehmer
David Harris, CEO des American Jewish Committee
Daniel Schade, Moderator

Diesmal zu Gast in der Diplomatischen Akademie Wien: David Harris, CEO des American Jewish Committee (AJC). Harris hat eine starke Verbindung zu Österreich: Sein Vater wurde hier geboren, arbeitete von 1936-38 am Chemieinstitut der Universität Wien und musste dann nach Frankreich fliehen, wo er gegen die Nazis kämpfte.

Im Zuge des Holocaust-Erinnerungstages gab es in Österreich eine Umfrage, der zufolge 31 Prozent meinen, der Nationalsozialismus habe auch gute Seiten gehabt. Aufgrund dieses schlimmen Ergebnisses blickt Harris auf Zentraleuropa und stellt fest, dass in Deutschland mit der Aufarbeitung der NS-Zeit viel früher begonnen wurde als in Österreich.

Das großteils gute Verhältnis zwischen der deutschen Regierung und Israel gilt als Staatsräson. In Österreich sei dies (erst) seit Vranitzky der Fall. Die Stimmung der Österreicher zu dem Thema sei lange Zeit gewesen: „Wie schlimm können wir sein, wenn wir einen jüdischen Kanzler (Kreisky) haben.

Das AJC hat vor Kurzem das neue Büro in Warschau eröffnet, um in Zentraleuropa einen besseren Einblick zu haben. Orbáns Ungarn definiert Harris als illiberale Demokratie, man müsse wachsam sein. In Bezug auf die französischen Präsidentschaftswahlen und die Stärkung rechter Kräfte in Europa ortet er in den europäischen Medien und der öffentlichen Diskussion eine Simplifizierung: Die Leute seien unzufrieden mit den herrschenden Parteien und dem Establishment. Vierzig Prozent der Franzosen haben im ersten Wahlgang gegen Europa gestimmt (Le Pen, Melanchon). Diese Entwicklung gilt es, genauer zu verstehen, die Wähler als xenophob abzustempeln, sei falsch. Die Wut vieler Bürger, die auch bei der Wahl Donald Trumps festzustellen war, müsse erklärt und verstanden werden.

Was bedeuten die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen nun für die Institutionen in den USA und Europa?

Harris sieht sich als Europafan und Trans-Atlantiker.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Vision für ein friedliches und wirtschaftlich starkes Europa – heute fehle eine Vision. Lösungen für die großen Themen werde man aber nur gemeinsam erreichen.

Nach Trumps Wahlkampf habe es tiefes Unbehagen gegeben – allerdings ist Harris Optimist: die letzten Entwicklungen zeigten, dass die Außenpolitik langsam Form annehme und in der Realität angekommen sei. Bei der letzten Sicherheitskonferenz in München im Februar 2017 seien viele amerikanische Politiker anwesend gewesen – Pence, Tillerson, General Petraeus. Die von Trump aufgestellte Forderung, jedes NATO-Mitglied solle zwei Prozent des BIP für seine Verteidigung ausgeben, seien auch schon von Obama artikuliert worden.

Wen sieht das AJC als Ansprechpartner in der neuen Administration?

Es gilt, die Abläufe zu verstehen, wer wofür zuständig sei. Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, sei gläubiger Jude (wie auch seine Ehefrau Ivanka), er habe viele Aufgaben erhalten, und viele wollen nun mit ihr sprechen.

David Harris (l), Daniel Schade (r)
David Harris (l), Daniel Schade (r)
Israel sei laut Harris ein wichtiges transformatives Element der jüdischen Entwicklung. Das Land sei nicht das Ergebnis des Holocaust. Die Juden bräuchten einen souveränen Staat, in dem sie nicht die Minderheit bilden (wie in sonst jedem Staat, in dem sie leben).

Welcher Partei geben die amerikanischen Juden ihre Stimme?

Rund 75 Prozent würden bei Präsidentschaftswahlen demokratisch wählen, auch 2016. Die USA seien so gespalten wie zuletzt in den Sechzigerjahren wegen Nixon und Vietnam. Trump sei der unbeliebteste Präsident aller Zeiten, der das Land sicher nicht vereinen könne. Die Lösung müsse aber vom Weißen Haus kommen, und zwar noch vor den midterm elections 2018 – danach sei das „window of opportunity“ (gemeint ist die Mehrheit der Republikaner in beiden Häusern und im Supreme Court) geschlossen. Beide Kammern des Kongresses seien momentan wie paralysiert.

Im Konflikt Israel-Palästina tritt das AJC für eine Zweistaatenlösung ein. Am 5. Juni jährt sich der 6-Tage Krieg zum fünfzigsten Mal. Dieser Krieg sei der Grund, warum Israel zum Besetzer wurde. Von 1948 bis 1967 hätte es die Chance gegeben, einen palästinensischen Staat zu gründen, in Kairo und Amman hätte die Entscheidung fallen können. Seit 1967 habe es ständige Drohungen gegeben, und hätte Israel den Krieg verloren, wäre es heute nicht mehr existent. Am 1. September 1967 fällte die Arabische Liga in Karthum die Entscheidung, Israel nicht anzuerkennen und keinen Frieden mit Israel zu suchen. Die UNO hatte damals eine Zweistaatenlösung im Plan, die auch vom einflussreichen israelischen Politiker David Ben-Gurion vertreten wurde.

Im Gazastreifen lebten 1967 350.000 Menschen, heute sind es 1,8 Millionen. Die Situation sei nicht vergleichbar mit dem Warschauer Ghetto.

Palästinensische Organisationen würden einen Hybridkrieg gegen Israel führen, und auch wenn Israel viele Fehler in Bezug auf die Beziehungen zu den Palästinensern gemacht hätten, so sei ihm das Recht auf Selbstverteidigung angesichts der Bedrohungen, die von Hisbollah und Hamas ausgehen, nicht abzusprechen.

Die Lösung?

Es bedarf auf beiden Seiten Pragmatismus, Führungsstärke und Courage. Die USA und die EU sollten sich auf den Tag nach der Lösung (die vor Ort fallen müsse) konzentrieren: Israels Angst, dass sich vor seinen Toren ein failed state bildet, sei real.

Es reiche nicht, die Zweistaatenlösung als Mantra vor sich herzutragen, sie müsse auch realistisch geplant werden. Dann, so ist sich Harris sicher, werde es in der israelischen Gesellschaft eine Mehrheit für diese Lösung geben.

Dass der arabische Frühling nicht von Dauer sei, habe das AJC vorhergesagt: Die Euphorie im Westen sei zwar groß gewesen, das tiefere Verständnis für die Zusammenhänge habe aber zum Großteil gefehlt. Der von arabischen Mitarbeitern verfasste Arab human development report der Vereinten Nationen führe drei fundamentale Defizite im arabischen Raum an: die persönliche Freiheit, die Rolle der Geschlechter sowie die Verbreitung und Nutzung von Wissen (Patente, Innovationen etc). Die Wut der Tunesier sei zwar echt, die Hoffnung auf eine friedliche Revolution sei aber naiv gewesen.

Da die Migration aus Afrika in den nächsten Jahren massiv ansteigen werde, wäre es im Eigeninteresse der Anrainerstaaten des Mittelmeeres, hier Lösungen zu finden und enger zusammenzuarbeiten. Von Protektionismus hält Harris wenig, er ist Freihandelsbefürworter und pro TTIP und TPP.

Credits

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Mittlerer Osten Mittlerer Osten Виктор В CC BY SA 2.0
David Harris (l), Daniel Schade (r) David Harris (l), Daniel Schade (r) Christian Janisch CC BY SA 4.0