US elections 2016: expect the unexpected?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 4. 7. 2016
- Veranstalter
- Renner Institut
- Ort
- Presseclub Concordia
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Ken Gude, Senior Fellow at the Center for American Progress
- Eva Nowotny, ehemalige Botschafterin in den USA und Großbritannien
- Yussi Pick, Blogger, Kampagnenmanager
- Sebastian Schublach, Moderator
Wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den USA trafen sich einige Experten im Concordia Presseclub, um die Wahlchancen auszuloten, aber auch um das amerikanische Wahlsystem zu hinterfragen. Interessant dabei ist, daß sich in den USA die gleichen Phänomene zeigen, die wir auch in Europa feststellen: Unzufriedenheit der Wähler bezüglich ihrer Mitsprache, Radikalisierung der Wortwahl und der Ruf nach Reformen.
Ken Gude vom Center for American Progress, einer den Demokraten nahestehenden Organisation, besucht auf seiner letzten Station durch Europa Wien. Er meint, daß die Demokraten Mitte Mai einen zerstrittenen Eindruck hinterlassen haben, der sich aber jetzt nach der de facto Aufgabe von Bernie Sanders wieder verflüchtigt hat. Im Gegensatz dazu stand Donald Trump bereits als Sieger der republikanischen Vorwahlen fest, die Zeit seitdem lief für ihn aber alles andere als optimal: Sowohl seine umstrittenen Aussagen zum Anschlag von Florida („Congratulations, I called it“) wie auch der Betrugsskandal rund um die Trump University haben seine Umfragewerte negativ beeinflußt. Hillary Clinton liegt nun komfortabel in Führung, dennoch sollten die Demokraten keineswegs in Selbstzufriedenheit versinken. No panic – no contemplation sollte laut Gude der demokratische Wahlspruch sein: Man solle sich weder von Entwicklungen innerhalb der eigenen Partei oder von zwischenzeitlichen Umfragehochs des Gegenkandidaten panisch machen lassen, noch dürfe man sich zu sicher fühlen, den Sieg schon in der Tasche zu haben.
Gude zufolge ist die Wahl am 7. November die erste seit dem Zweiten Weltkrieg, in der ein Kandidat den Status der USA als Weltpolizei ablehnt. Die Kritik an den hohen Kosten der NATO, die hauptsächlich die USA trägt, obwohl die Organisation auch die Sicherheit der Europäer garantiert, bricht bei Trump immer wieder durch. Andererseits hört man von ihm des öfteren markige Sprüche über den Kampf gegen den islamischen Staat, der wohl nur mit Verbündeten in aller Welt zu gewinnen sein wird. Im Großen und Ganzen scheint er aber eher eine isolationistische Politik anzustreben – put America first. Hillary Clinton wird in dieser Frage wohl die Strategie von Barack Obama fortsetzen.
Auch in der Handelspolitik ist Trump klar von der republikanischen Linie abgewichen. Bei der Einrichtung der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA stimmten zwei von drei Demokraten dagegen, drei von vier Republikanern waren dafür. Trump lehnt TTIP und das schon viel weiter gediehene TPP ab und will scheinbar auch mit China einen Wirtschaftskrieg auslösen. Der BREXIT hilft ihm kurzfristig. Ob diese Abkehr vom Freihandelsabkommen eine langfristige Richtungsänderung innerhalb der republikanischen Partei ist, wird die Zukunft zeigen. Die heritage foundation, eine stramm konservative republikanische Vorfeldorganisation, hatte am Tag des Brexits auf ihrer Facebook-Seite den Union Jack als Unterstützung für den britischen Ausstieg abgebildet.
Ein großes Problem für die Demokraten ist laut Gude, daß sie – und das schon vor Jahren – die Arbeiterklasse verloren haben, ähnlich wie die Sozialdemokraten in Europa. Bestes Beispiel ist West Virginia, das zwar zwei Mal so viele registrierte Demokraten wie Republikaner zählt, seit 2000 aber kontinuierlich republikanisch wählt. Aus diesem Potenzial rekrutiert Trump einen Großteil seiner Wähler. Auch die Zustimmung der nicht-weißen Bevölkerung zur demokratischen Partei nimmt langsam ab. Die noch funktionierende Koalition (Nicht-Weiße, Frauen, Gebildete), die auf Präsidentschaftsebene gut funktioniert, muß auch auf andere Staatsebenen (Kongress, Bundesstaaten etc) projiziert werden, wo die Republikaner dominieren.
Bei den Republikanern sieht Gude – neben der demographischen Entwicklung (die Anzahl Weißer nimmt ab) – das Problem, daß sie Vertrauen verloren haben, indem immer wieder Ankündigungen gemacht haben, die nicht umzusetzen sind, zB repeal Obamacare.
Wie wir seit wenigen Tagen wissen, dürfte die email-Affäre für Hillary Clinton kein Verfahren nach sich ziehen, so zumindest die Empfehlung des FBI. Das Außenministerium will dennoch weiter ermitteln, auch wenn es zu keiner Anklage kommen wird. Gleichzeitig habe Trumps America first policy mit ihren Anleihen an Amerikas rechtsextreme Parteien der Dreißigerjahre für viele negative Schlagzeilen gesorgt. Auch mit einer anderen umstrittenen Aussage hat sich Trump nur wenige Freunde gemacht: Knapp vor dem Brexit-Referendum besuchte er Schottland, um einen Golfplatz zu eröffnen. Im Zuge dessen antwortete er auf die Frage, wie sich der Brexit auf das britische Pfund auswirken wird: „Es wird fallen. Was gut ist, denn dann kommen mehr Leute zu mir Golf spielen.“
Die drei wichtigsten Kandidaten des bisherigen Wahlkampfes fahren laut Yussi Pick markant unterschiedliche Strategien: Bernie Sanders‘ distributive campaigning wendet sich vor allem an die einfachen Bürger und an Intellektuelle und Künstler. Hillary Clintons Ansatz ist top-down, der Wahlkampf ist sehr gut organisiert, alles wird analysiert, Leute vor Ort machen die Kleinarbeit. Donald Trump setzt vor allem auf broadcasting – Fernsehen, Facebook und Twitter. Sein Problem werden mittelfristig die Geldmittel sein: Während Hillary Clinton alleine im Juni nahezu 70 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden erhalten hat, brachte es Donald Trump im Mai grade mal auf 1,5 Millionen. Ebenso fehlen ihm die Leute vor Ort, die die Basisarbeit leisten und von Tür zu Tür gehen.
Eva Nowotny nennt als aktuell wichtigste Gefahr für den politischen Prozeß die Tendenz, daß die Verlierer der globalen Entwicklung das Vertrauen in die Politik verloren haben und sich den Populisten zuwenden. Den Rückzug der USA von der politischen Bühne sieht die überzeugte Anhängerin der repräsentativen Demokratie mit großem Unbehagen entgegen, da ein unberechenbares Vakuum entstehen würde und demokratische Entwicklungen in anderen Teilen der Welt gefährdet wären. Über diesen verklärenden Blick könnte man wohl trefflich streiten, wenn man analysiert, wieviele Kriege und Stützungen von Diktatoren die USA – und natürlich auch Europa – zu verantworten haben.
Kommt ein neuer Präsident ins Amt, so beginnt in der Regel eine etwa zwölfmonatige Umstellungsphase. Bis zu 6000 Mitarbeiter werden ausgetauscht, und die Einarbeitung dauert entsprechend lange. Danach beginnt schon der Kampf für die Mid-Term-Elections. Diese wurden seit 1986 von der Partei des zwei Jahre zuvor gewählten oder bestätigten Präsidenten mit einer Ausnahme (1998) immer verloren, was in der Regel zu einem Patt zwischen Kongreß und Präsidenten und somit zum Stillstand in der politischen Entwicklung führt. Mehrere Diskutanten erkennen daher auch großen Reformbedarf für das politische System der USA: Das Wahlsystem ist desorganisiert. Weit problematischer sei allerdings, daß sich manche Senatoren über längere Zeit mit keinem Herausforderer in ihrem Wahlkreis konfrontiert sehen. Die größte Gefahr sei ein Gegenkandidat aus der eigenen Partei – die andere Partei stellt ob der Aussichtslosigkeit, die Wahl zu gewinnen, oft gar keinen Kandidaten auf – auch aus dem Grund, daß Wahlkämpfe in den USA extrem teuer sind. Im Repräsentantenhaus sind nur zehn Prozent aller Sitze umkämpft, die überwiegende Mehrheit fällt bei jeder Wahl an die gleiche Partei.
Die Anzeichen, daß das politische System in der gesamten westlichen Welt in einer Krise steckt, erkennt man auch in den Vereinigten Staaten: In diesem Wahlkampf stehen sich die wahrscheinlich unbeliebtesten Kandidaten aller Zeiten gegenüber. Herausragendes Wahlmotiv bei Umfragen ist, den jeweils anderen Kandidaten verhindern zu wollen. Auch der Kongress weist mit 13 Prozent approval rating historisch tiefe Sympathiewerte auf. Die Situation, daß sich Präsident und Kongress seit vielen Jahren gegenseitig blockieren, führt zu großer Verdrossenheit im Wahlvolk. Ebenso die Situation, daß man bei vielen Wahlen gar keine echte Auswahl mehr hat (siehe oben). Eine Kommission, die das amerikanische Wahlrecht reformieren sollte, kam zu keinem Ergebnis. An Vorschlägen würde es nicht mangeln. Doch wie bei den Waffengesetzen scheint die Liebe des Amerikaners zu seiner Constitution unüberwindbar zu sein. Um die Verfassung zu ändern gibt es viele Hürden: Zwei Drittel des Kongresses und 60 Prozent der Gouverneure müßten einem Antrag zustimmen.
Als größte Überraschung des Wahlkampfes sehen alle Diskutanten den Erfolg von Bernie Sanders. Gerade bei den unter 30-Jährigen hat er mehr Zustimmung, als Trump und Clinton zusammen. Neben den seit viele Jahren stagnierenden Einkommen (denen auch Trump Teile seines Erfolges verdankt) und der ungerechten Vermögensverteilung (die Ungleichheit liegt bereits auf lateinamerikanischem Niveau) ist das Thema Bildung ein Schwerpunkt in der Kampagne des Senators aus Vermont. Um Kinder zur Schule schicken zu können, müssen manche Familien ihre Pensionsvorsorgen auflösen. Die Kosten für die Ausbildung müssen sinken, die Auswahl an Bildungsmöglichkeiten muß erhöht werden. Die Vorschläge, die Sanders zur Lösung dieser Probleme anführt, seien aber in den USA nur sehr schwer umzusetzen. Dennoch hat er mit seiner Kampagne Hillary Clinton dahingehend positiv beeinflußt, auch auf diese Themen einzugehen. Sie ist für eine Stärkung der social security, für einen Mindestlohn von 15 Dollar und für den Ausbau frühkindlicher Erziehung – alles Themen, die „The Bern“ ins Rampenlicht gebracht hat. Weiters konnte die Clinton-Kampagne bereits wertvolle Erfahrungen für den Wahlkampf im Herbst sammeln – ohne Sanders hätte Clinton keinen ernstzunehmenden Herausforderer in der eigenen Partei gehabt – O’Malley gab ja schon nach Iowa auf.
Sanders‘ Erfolg läßt sich auch dadurch erklären, daß er von der Jugend als legitimer Obama-Nachfolger gesehen wird. Sanders hatte laut Yussi Pick wahrscheinlich von Anfang an gar nicht die realistische Absicht, Präsident zu werden: Sein Ziel war, den progressiven Kräften eine Stimme zu verleihen. In diesem Licht sind auch seine Versuche zu sehen, progressive Menschen an der Basis der politischen Pyramide zu rekrutieren. Diese progressive Richtung war auch schon vor Sanders in der demokratischen Partei vorhanden, er hat sie aber ans Licht gebracht. Beim Establishment der Demokraten kam der erst im April 2015 beigetretene Sanders (als Senator kandidierte er ohne Partei) damit nicht so gut an: Nur zehn Prozent der Superdelegierten (die bei der Nominierung des Kandidaten auf dem Parteitag einen nicht unwesentlichen Teil der Stimmen ausmachen) werden für ihn stimmen. Bei den Primaries gewann er 45 Prozent der popular vote. Die Medien haben Sanders zu Beginn mehr oder weniger ignoriert – Trump war der Mittelpunkt der Berichterstattung. Der CBS-Boss drückte das so aus: Trump “may not be good for America, but he is damn good for CBS“.
Auch die vielen Lügen und Halbwahrheiten, die den Wahlkampf bisher geprägt haben, sind Thema der Diskussion: 74 Prozent der von politifact überprüften Aussagen von Trump sollen falsch sein. Bei Clinton sollen es nur 16 Prozent sein. Der blizzard of lies hat eine Dynamik, daß die Zeit fehlt, eine Aussage zu überprüfen, bis die nächste bereits über twitter, facebook oder andere Kanäle läuft. Dem Ruf nach real time fact checking sind einige Medien und Websites bereits gefolgt. Trump habe auch mit der political correctness aufgeräumt – ein Aspekt, der viele seiner Wähler anspricht. Den angeblichen Vorteil, den die Demokraten bei der medialen Berichterstattung genießen, hat eine jüngst erschienene Studie widerlegt: 84 Prozent der Coverage über Clinton im Vorwahlkampf war negativ. Stattdessen haben die zahlreichen Auftritte und Berichte über Trump seine Umfragwerte positiv beeinflußt. Daß seriöse Medien an Strahlkraft verloren haben und nur mehr von einer Minderheit konsumiert werden, sieht Eva Nowotny kritisch, vor allem in Bezug auf den immer stärkeren Ruf nach direkter Demokratie. Sie sieht im Brexit die direkte Demokratie als großen Verlierer, da von beiden Seiten mit vielen Lügen und Unwahrheiten gearbeitet wurde und so die Menschen beeinflußt wurden. Die Mehrheit der Menschen informiert sich heute im Internet, bei kleinen TV-Sendern oder auch bei großen Propagandasendern wie Fox, wo fact checking nicht zum Standard gehört. Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, daß einige etablierte Medien durch ihre teilweise tendenziöse Berichterstattung ihren Ruf selbst beschädigt haben – eine Beobachtung, die gerade von Vertretern der Elite gerne übersehen wird.
Die abschließende Fragerunde brachte noch zwei erwähnenswerte Statements hervor: Etwa acht Millionen wahlberechtigte Amerikaner leben im Ausland, die Mehrheit davon wählt traditionell demokratisch. In den battleground states hat Hillary Clinton momentan die Nase vorne. Selbst bisher republikanisch dominierte Staaten wie North-Carolina, Georgia und Arizona mit einer schrumpfenden weißen Mehrheit dürften diesmal contested sein. Keine guten Nachrichten für Trump.