Liebe zum Frieden erfordert Zivilcourage
Wehrlosigkeit ist nicht das Gleiche wie Friedfertigkeit
Wer sich wehrlos fühlt, ist schon mit der abstraktesten Andeutung von Gewalt zum Verstummen zu bringen – und schält man die verschleiernden Schichten der Zivilisiertheit weg, so ist in Konflikten ein körperlicher Angriff als allerletzte Konsequenz fast immer zumindest eine Möglichkeit. Sei es eine Diskussion in der Familie, ein Streit mit Fremden oder in der Partnerschaft, sei es das Erheben der Stimme in der politischen Debatte oder eine deutliche Verurteilung unmoralischer Praktiken – wie sicher kann man sich letztlich sein, dass ein Beharren auf dem eigenen Standpunkt nicht zu physischer Eskalation führen wird?
Wehrlosigkeit macht infantil
Vielen von uns fehlt das durchdringende Wissen um die eigene Stärke, wir leben nicht in der Gewissheit (schlimmer noch, nicht einmal in der Hoffnung), einem physischen Angriff Einhalt gebieten zu können. Dieses tiefe Gefühl der Schwäche raubt uns Würde und Souveränität im Angesicht einer echten Bedrohung. Gerade Europäern wurde über viele Jahrhunderte hinweg sehr eindringlich klargemacht, dass Widerstand zu nichts Gutem führt.
Vor jeder noch so unwahrscheinlichen Gefahr erzittern und erbeben wir (und sind bereit, den dümmsten Ideen zuzustimmen, um nur ja unsere vermeintliche Sicherheit immer gewährleistet zu wissen). So handeln und fühlen wahre Erwachsene nicht.
Gewaltverbot statt Unterricht im Umgang damit macht wehrlos
Wer jedem Konflikt aus dem Weg geht und um des lieben Friedens willen stets freundlich bleibt, lebt oft in der Illusion, der berühmte Klügere zu sein, welcher aus moralischer Überlegenheit nachgibt. Bei wirklich ehrlichem Hinterfragen bleibt die Erkenntnis jedoch nicht aus, dass dieser Beweggrund meist eine Verlegenheitslüge ist. In der klassischen Erziehung wird uns (insbesondere – aber nicht ausschließlich – den Mädchen) vielmehr jede körperliche Wehrhaftigkeit aberzogen, was zu regelrechtem Erstarren vor Entsetzen führt, wenn wir als Erwachsene mit physischer Gewalt konfrontiert sind. Wir wissen weder, wie man deeskaliert, noch wie wir uns schlimmstenfalls verteidigen könnten. Das macht uns viel wehr- und hilfloser, als wir wirklich sind, und lädt geradezu ein, uns anzugreifen, ohne mit viel Gegenwehr rechnen zu müssen.
Wehrlosigkeit führt zu Scheinmoral
Viel zu viele von uns fürchten sich nicht nur vor physisch ausgetragenem Konflikt, sondern haben Duldsamkeit als Lebensmaxime verinnerlicht, oft noch durch philosophische Argumente verklärt, so dass sie Frustration und Zorn nicht nur vor anderen, sondern in erster Linie vor sich selbst verbergen müssen – ein guter Mensch hat solche Empfindungen schließlich nicht. Kein Wunder, dass diese Märtyrer innerlich oft an Gift und Galle ersticken und nicht verstehen, warum ihr verzichtsreiches und vorbildhaftes Leben so unbefriedigend verläuft.
Scheinmoral verhindert die Weiterentwicklung echter Moral
Hier liegt freilich eine Verwechslung vor: Ein in sich ruhender Mensch, der von seinem Ego so sehr abgelassen hat, dass ihn böswillige Kränkungen einfach nicht mehr erreichen, unterlässt Streit und Kampf aus einer ganz anderen Motivation heraus als jemand, der sich aus Angst unterwirft und die Unterdrückung des verletzen Egos zur Heldentat hochstilisieren will. Spätestens in der selbstgefälligen Arroganz der oft nur vermeintlich moralisch Überlegenen (genau jene Einstellung, die dem Schimpfwort „Gutmensch“ Vorschub geleistet hat), lugt es doch wieder unter dem Deckmäntelchen hervor – aggressiver und neurotischer denn je.
Traurige Ironie
Leider nimmt die verschämte Scheu vor jeglicher Aggression diesem Argument jedoch die Glaubwürdigkeit. Für jemanden, der die Welt in Stark und Schwach einteilt, sieht es aus, als wäre Selbsttäuschung der einzige Grund für die demonstrierte Sanftmut – eine sehr ungerechte Anschuldigung, die aber als Fremdbild der eigenen Motivation zur Kenntnis zu nehmen und zu verarbeiten ist … gerade die Sanftmütigen sollten im Moment am entschiedensten ihre Position vertreten – stattdessen jedoch lassen sie den Kampf lieber bleiben, da sie ja keine Konflikte wollen.
Der beste Kämpfer der Welt, so will es die östliche Weisheit, wäre einer, der seinen Gegner ohne einen einzigen Schlagabtausch vom Kampf abhält und zum Freund macht – aber das kann nur gelingen, wenn man sich selbst als wirklich ebenbürtig betrachtet und aus dieser Position heraus Frieden anbietet.
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Depressionen | DanielZanetti | CC BY-SA 3.0 |