Ukraine – Dialog statt Monolog
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 29. 3. 2017
- Veranstalter
- Republikanischer Club in Kooperation mit dem Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung, Platform for Dialogue and Conflict resolution in the ukraine, Herbert C. Kelman Institute, Renner Institut, International Institute for Peace, Die Grüne Bildungswerkstatt, tranzit und der Gesellschaft für Eurasische Studien.
- Ort
- Republikanischer Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Hannes Swoboda, Moderator, Präsident des International Institute for Peace
- Yevgenia Belorusets, Künstlerin, Autorin und Fotografin, Kiew
- Gudrun Gusel, Bereichsleiterin der Auslandshilfe, Caritas Wien
- Roman Koval, Mediator, Direktor des Institute for Peace and Common Ground, Kiew
- Oliver Vujović, Journalist, Generalsekretär von SEEMO ("South East Europe Media Organisation"), Wien
Am 29. März 2017 fand in den Räumlichkeiten des Republikanischen Clubs im 1. Wiener Gemeindebezirk eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Ukraine – Dialog statt Monolog“ statt. Als TeilnehmerInnen des Podiums konnten Yevgenia Belorusets, Gudrun Gusel, Roman Koval und Oliver Vujović gewonnen werden.
Der Abend wurde moderiert von Hannes Swoboda.
Er eröffnete mit den Worten, er glaube, dass in Krisenzeiten miteinander gesprochen werden sollte. Insbesondere, da es sich bei den Opfern der Ukrainekrise um Zivilisten, nicht um die Politiker handle. Österreich sollte seines Erachtens einen aktiven politischen, kulturellen und ökonomischen Dialog starten.
Anschließend stellte er das Plenum in seinen Funktionen vor.
Gudrun Gusel sprach als Bereichsleiterin der Auslandshilfe der Caritas in Wien zu Beginn über die humanitäre Situation in der Ukraine. Die Caritas sei in der humanitären Hilfe seit Beginn des Konfliktes in der Ukraine aktiv (seit Anfang 2014). Sie zitierte aus einer Erklärung, die an die UN gesendet wurde.
Am schlimmsten seien die Schwächsten betroffen – die Älteren, Behinderten und Kinder. Man plädiere für eine höhere Aufmerksamkeit seitens der internationalen Gemeinschaft als einzigen Weg, den Krieg zu beenden, der bereits über 10.000 Leben gefordert habe. 2017 habe – so die OSCE – der Gebrauch schwerer Waffen sowie Verletzungen des Waffenstillstands zugenommen, so Gusel. Dies verschlimmere die prekäre humanitäre Lage weiter: 3.8 Mio. Menschen hätten Bedarf an humanitärer Unterstützung, insbesondere jene, die nahe der Kriegsfront lebten. Diesen fehle oft die körperliche oder finanzielle Möglichkeit zur Flucht. Diese Menschen hätten oft keinen Zugang mehr zu Bildung, Nahrung, medizinischer Hilfe oder Medikamenten.
Da sie selbst kürzlich in Kiew war, wollte Moderator Hannes Swoboda von Fr. Gusel wissen, wie die Situation derzeit einzuschätzen sei. In der Nähe der Front sei sehr viel Verzweiflung, so Gusel, aber insbesondere unter den Jungen auch viel Hoffnung vorhanden.
Roman Koval wurde ebenfalls gebeten, seinen Eindruck der Situation sowie seine Organisation (Institute for Peace and Common Ground; Anm. der Autorin: deutsch „Institut für Frieden und Gemeinsamkeit“) zu beschreiben.
Sie würden seit 2001 an der Lösung des Konflikts in der Ukraine mitarbeiten, so Koval. Bereits seit diesem Zeitpunkt sei insbesondere die „geteilte Gesellschaft“ in der Ukraine ein Thema.
Jedoch, so Koval, wäre es Russland ohne diese geteilte Gesellschaft in der Ukraine viel schwerer gefallen, einen Aufruhr auszulösen.
Grob könne man sagen, dass die Hälfte der Bevölkerung für die Befreiung von Russland sei und die andere Hälfte dagegen („prorussische Bewegung“).
Diese beiden konträren Weltansichten und Einstellungen würden sich jedoch gegenseitig nicht akzeptieren. Er glaube somit, dass ein Dialog nicht nur im Osten der Ukraine, sondern im gesamten Land gebraucht werde. Das Ziel sei, dass die Menschen sich zusammensetzten und versuchten, ihre Differenzen konstruktiv zu lösen. Sein Institut habe Dialoge organisiert, in denen es zunächst um hauptsächlich zwei Themen gegangen sei: ideologische Konflikte (Weltanschauungskonflikte „Maidan – Antimaidan“) sowie sozioökonomische Themen (es sei gesehen worden, dass Gewalt eine Lösung für Konflikte sei, was zu lokalen Gewaltausbrüchen geführt habe).
Die Themen hätten sich mit Verlauf des Konflikts jedoch zunehmend gewandelt (z.B. die lokalen Regierungen und die Wahlen).
Das Institut arbeite weiters mit Jugendlichen. Derzeit bestehe es aus sieben Personen, zu ihrem Netzwerk jedoch gehörten 17 Organisationen, welche über die gesamte Ukraine verteilt seien. Diese würden von ihren Experten als Dialogführer sowie Konfliktlöser geschult. 30 Personen seien bereits als Lehrer und Mediatoren für die Schulen trainiert und ausgebildet worden.
Yevgenia Belorusets wurde nach den unterschiedlichen Seiten des Konfliktes gefragt und wie sie ihre Rolle als Künstlerin im Rahmen des Krieges sehe.
Beim Lesen des Titels der Veranstaltung habe sie Bedenken gehabt, dass es wiederum nur um die Bedeutung des Dialogs gehe.
Ja, es gäbe verschiedene Gruppen und politische Diskussionen in der Ukraine, das sei wichtig zu klären. Aufgrund ökonomischer Krisen in der Vergangenheit gäbe es viele Menschen, die wütend und unzufrieden mit ihrem Leben seien.
Bezüglich des Dialogs gelte es, so Belorusets, zu klären: Sollte dieser zwischen Ukrainern mit ihren unterschiedlichen Weltanschauungen stattfinden? Oder zwischen Russland und der Ukraine? Die von Roman Koval angesprochenen Differenzen in der Ukraine hätten in den 90er-Jahren begonnen. Einige Autoren hätten dies als Idee der zwei Länder aufgegriffen (westliche bzw. östliche Ukraine) mit ihren entsprechend großen Differenzen. Diese Autoren würden ihre damaligen Veröffentlichungen heute zum Teil bereuen, da sie ausgedrückt hätten, dass es auch zwei unterschiedliche Lebensauffassungen in den unterschiedlichen geografischen Punkten gäbe. Dies sei falsch verstanden worden, so Belorusets.
Dies beinhalte jedoch auch, genug zu verdienen, um nicht auf Schmiergelder angewiesen zu sein. Mitarbeiter im Gesundheitssektor z.B. seien zu Zeiten der Sowjetunion gut genug bezahlt worden, um nicht darauf angewiesen zu sein, heute sei dies aber nicht mehr der Fall. Dies, so Belorusets, seien die Gründe, weshalb viele Menschen eine gewisse Sowjetunions-Nostalgie hätten, jedoch ohne sich die tatsächliche Sowjetunion zurückzuwünschen.
Um einen wahren Dialog zu beginnen, müsse man verstehen, dass Russland die Situation aufrechterhalte, in der Menschen sterben, so Belorusets. Dies müsse man sich bewusst machen. Ihrer Meinung nach seien politische und ökonomische Diskussionen notwendig, um Russland zu stoppen. Ebenfalls sollte man die Ukraine zu einem verstärkten Dialogs bezüglich seiner Sozialpolitik anhalten. Dies würde zu stark als „Überbleibsel“ der Sowjetunion gesehen, die Ukraine als moderner Staat glaube, das nicht zu brauchen. Ihrer Meinung nach würde dies aber viel bei der Konfliktlösung helfen.
Oliver Vujović betonte, dass es für Journalisten ein schwieriges Arbeitsumfeld in der Ukraine sei. Dies betreffe nicht nur die ukrainischen, sondern auch die internationalen Journalisten, die aus dem Krisengebiet berichten.
Propaganda gäbe es in jedem Krieg, man müsse dies als Teil der Realität verstehen. Weiters gäbe es nicht nachvollziehbare Entscheidungen, wie beispielsweise vor einigen Tagen durch Putin, die Arbeit von NGOs in Russland mehr oder weniger zu verbieten. Jedoch würden unverständliche Entscheidungen auch von ukrainischer Seite getroffen. Damit würden die Politiker weder einen Dialog noch die Normalisierung der Situation unterstützen. Unter diesen Konditionen sei die Arbeit als Journalist derzeit sehr schwierig. Es seien bereits Journalisten verletzt und auch schon getötet worden.
Er glaube, es brauche mehr Dialog, mehr unvoreingenommene Menschen, so Vujović.
Gudrun Gusel berichtete über die Arbeit der Caritas, die bereits früh im Jahr 2015 begonnen habe, in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten tätig zu sein. Danach sei es jedoch nicht mehr möglich gewesen. Für die Caritas wäre es sehr wichtig, wieder helfen zu können, in Donezk sei die Infrastruktur diesbezüglich noch vorhanden. Insbesondere die vergessenen Menschen seien in ihrem Fokus, die älteren, körperlich behinderten und chronisch kranken Personen. Die Caritas kümmere sich hier um die Versorgung dieser Personen, trainiere auch Sanitäter etc. Auch in Schulen in Frontnähe und mit Kindern werde gearbeitet.
Die Schulkinder seien nach ihren Wünschen befragt worden. Kein einziges habe einen materiellen Wunsch geäußert, so Gusel. Neben Frieden für die Ukraine hätten sie sich für die ganze Welt gewünscht, dass es keine Obdachlosen mehr gäbe. Dies sei – in Anbetracht ihrer Situation – sehr berührend gewesen.
Die Caritas sei auch in anderen Teilen der Ukraine, z.B. in Odessa, tätig. Hier hätten sie ähnliche Erfahrungen wie Roman Koval gemacht. Viele Menschen zeigten Probleme mit der Integration; es sei eben sehr wichtig, auch in der restlichen Ukraine am Frieden und am Dialog zu arbeiten.
Sie persönlich sehe als unbedingt wichtig an, dass sowohl die Ukraine als auch die Gegenden, die nicht unter Regierungskontrolle stehen, ihre Grenzen öffnen und den Personenverkehr ermöglichen. In Stanitsa Luganskaya müsse man, um von der einen zur anderen Seite zu gelangen, eine Holzbrücke überqueren und anschließend 1,5 km zu Fuß bis zur nächsten Straße gehen. Für viele Menschen sei dies die einzige Möglichkeit zur Beschaffung von Gütern und Waren. Der Versuch, humanitäre Güter über diese Linie zu schaffen, werde jedoch – auch von ukrainischer Seite – behindert.
Roman Koval betonte nochmalig, wie wichtig es sei, die Bande zwischen den nicht-regierungskontrollierten Orten und dem Rest der Ukraine aufrechtzuerhalten. Ihre Organisation denke diesbezüglich sehr an die Zukunft, in der die Wiedereingliederung geschehen müsse.
Yevgenia Belorusets betonte, dass zwar Putin und Poroschenko beide ihre Probleme hätten und „schlecht“ seien, aber nicht im gleichen Maße „schlecht“. Bezugnehmend auf Gudrun Gusels Beschreibung der Situation in den Rebellengebieten meinte sie, eine Politik der Entmenschlichung im Alleinelassen und Blockieren dieser Region zu erkennen. Dies unterstütze die ukrainische Gesllschaft nicht.
Auch für sie als Künstlerin sei es nicht möglich, in die besetzten Gebiete zu reisen; von russischer Seite jedoch bestehe Zugang und somit auch die Möglichkeit zur medialen Berichterstattung und Propaganda aus dem Gebiet.
Teilweise geschehe dies natürlich, Journalisten ließen sich für unterschiedlichste politische Interessen instrumentalisieren. Zusammenfassend, so Vujović, könnte man als Journalist dem Dialog helfen, es sei allerdings kein Muss.
Im Anschluss wurde den Anwesenden noch die Möglichkeit geboten, Fragen zu stellen, was von den knapp 40 Personen auch umgehend genutzt wurde. Insbesondere der individuelle Blick der Anwesenden aus unterschiedlichsten Perspektiven auf die Situation in der Ukraine machte den Abend sehr informativ und spannend.