The Foreign No 1

Asghar S
Soziales

REFUGEE.
Flucht in die Freiheit – Teil 1:

Er sieht aus wie der junge „Richard Gere“, nur mit dunklerem Teint. Trägt einen Anzug. Ist elegant. Gepflegt. Wenn man danach sucht, ihn im Gesamten zu erfassen, macht sich unverkennbar ein besonderes Gefühl breit: Er trägt den unbändigen Willen in sich, im Leben weiterzukommen. Seine Manieren sind beispielhaft, wie ich feststellen darf: Dieser junge Mann ist zuvorkommend und höflich, und somit begegnen wir uns hier und jetzt auf Augenhöhe:

Asghar SAsghar S., geboren im Sommer 1991 in der Islam-Republik Iran, flieht im Dezember 2015. Er lässt alles hinter sich. Seinen Vater. Seine Freunde. Seine Geschichte, die er mir in exzellentem Englisch schilderte, ist diese:

Asghar und seine persönliche Situation im Iran – ein Rückblick in die Vergangenheit:

„Mein Name ist Asghar. Darf ich vorstellen: Dieses Leben ließ ich hinter mir:

Bevor ich flüchtete, befand ich mich inmitten meiner Ausbildung zum „Software-Programmierer. C++, C#, Visual Basic, ..“. Ich führte insgesamt ein finanziell erträgliches Leben, also ich konnte es mir leisten. Das Finanzielle war also nicht mein Problem.

Meine Mutter starb vor sieben Jahren, und mein Vater ist frisch verheiratet. Ich stand nicht nur mit dem Land Iran in einem starken Konflikt; hinzu kam leider, dass ich große Schwierigkeiten mit meiner „Stiefmutter“ hatte. Ich konnte sie und ihre begrenzten Sichtweisen über die Welt, die zur Mentalität des Landes passen, simpel nicht ertragen. Nach meiner Flucht übernahm übrigens meine Familie den Verkauf meines dortigen Appartements; sie erwirtschaftete dafür nicht, wie geplant, 10.000 Euro, sondern nur 4.000 Euro. Der Verdacht steht folglich für mich nahe, dass mich meine Familie betrog. Ich hatte also in diesem Land nichts mehr zu verlieren …

Was das Thema „Religion im Iran“ betrifft: Ich hatte, seit ich denken kann, immer ein Problem der „logischen“ Art damit. Man wird als „Moslem“ geboren und hat sich zwanghaft an diesen Glauben zu halten. Ich fühlte mich in dem Land, in welches ich hineingeboren wurde, niemals frei. Den Glauben konnte und kann man sich dort nicht aussuchen, wie es in Europa der Fall ist.

An der Universität protestierte ich gegen viele Restriktionen; daraus ergab sich eine ungünstige Situation für mich: Ich wurde von sämtlichen Universitätslehrern „gemobbt“, weil ich meinen Mund nicht halten konnte.

Alles in allem empfand ich mich sowohl politisch als auch kulturell diskriminiert. Ja, offiziell herrscht im Iran „Demokratie“, aber in Wahrheit müssen wir uns diktatorischen Regeln unterwerfen – gepredigt vom Obersten Religionsführer Ajatollah Sejjed Ali Chamene. Er ist seit 1989 der politische und religiöse Führer des schiitischen Iran. Er selbst bezeichnet sich als „Oberster Führer“.

Die Menschen, die mich umgaben, befand ich als besonders schlimm: Der Großteil verhielt sich angepasst. Mein Vater ist sogar Anhänger von Ali Chamene…

Ich behaupte, dass sehr viele Menschen im Iran ein regelrecht „scheinheiliges“ Leben führen: Die meisten Frauen tragen ein Kopftuch und nicht alle tragen eine Burka. Und wenn sie eine Burka tragen, so besonders enganliegende: Eine für die Männerwelt sexy anmutende Kleidung also. Da lässt sich der Widerspruch im Ganzen leicht erkennen …“

Ich fragte Asghar, wie er denn zu Informationen über Europa gelangte, wenn diese im Iran doch nur begrenzt verbreitet wurden:

„Im Iran träumt man im Stillen von europäischen Lebensweisen. Europa kennen wir eigentlich fast ausschließlich durch „Hollywood“; aus sämtlichen – übrigens verbotenen ! – Filmen zogen wir unser Wissen. Wir beschafften uns unsere Filme stets illegal. Der schwarze Markt dafür ist da und beachtlich. In Gruppen saßen wir also bei uns zu Hause. Auch Pornofilme konnten wir uns nur „verdeckt“ besorgen. Und „verbotene Bücher“. Man muss sich das in Europa vorstellen: Es gibt KEINEN Zugang zu freiem Internet!“

Asghar erzählt von seiner mühseligen Flucht, die in mehreren Etappen stattfand:

Die Flucht nach Vorne:

„Im Dezember 2015 also fällte ich spontan die Entscheidung zu flüchten. Um endlich aus diesem Sumpf zu gelangen: Ich trainierte im Fitnessstudio mit Freunden, und einer der Freunde erzählte von einer Person, die zur Flucht nach Europa verhelfen könnte. Mein Verlassen des Landes geschah ganz formal: Ich bin im Besitz eines Reisepasses. Den Menschenschmugglern wurden zwischen 2.000 und 3.000 Euro durch mich ausgehändigt.

Die Reise ging zuerst nach Istanbul, und von dort nach Esmir (Esmir befindet sich im Ostwesten der Türkei). An die Reise nach Esmir mag ich mich sehr gerne erinnern, denn sie war einfach großartig: Wir fuhren mit einem Luxus-Bus, der alles an Service bot, was das Herz begehrte; er erinnerte an ein mobiles Luxushotel! Mit USB-Verbindung und Tablets zum Filmeschauen. Diese Reise „de Luxe“ währte neun Stunden. Was mir weiterhin total positiv aufgefallen war: Es gab keine baulichen Störungen auf der Straße. Auch die Straßenbeleuchtung funktionierte, und ich fühlte mich zum ersten Mal so richtig sicher und – frei. Von solchem Luxus und Angebot kann man im Iran nur träumen!

In Esmir besaß ich nur einen Rucksack, der nicht schwer war; befüllt mit dem Notwendigsten – mit Essen, Trinken und Unterwäsche zum Wechseln. Wir begaben uns schließlich auf eine 7-Kilometer-Wanderung. Sie war schrecklich. Über Berge. Es war sehr kalt. Die Gruppe, in der ich mich befand, kam hauptsächlich aus dem Iran und bestand aus ca. 30 Menschen: hauptsächlich aus Männern, aber auch aus Kindern, Babys und alten Frauen. Wir brauchten 3-4 Stunden, um ans Ziel zu gelangen. Endlich waren wir da. Am Meer. Dort wollten ca. 4 Afghanen, die mit der Fluchtorganisation betraut waren, uns in ein völlig desolates Boot pferchen. Jetzt brach Angst aus in der Gruppe! Es war auch noch Nacht! Ich freundete mich mit zwei Persern an – sie waren ungefähr in meinem Alter. Zu dritt beschlossen wir, dieses Wrack nicht zu betreten. Und die Gruppe zu verlassen.

So machten wir uns auf den Weg und erklommen einen anderen Berg. Dort befand sich eine neue Gruppe, welche auf ihr Fluchtboot wartete. Diesmal handelte es sich um 200 Personen. Die meisten waren Afghanen, aus dem arabischen Raum und ein paar aus dem Iran. Frauen. Männer. Bunt gemischt. Kurzerhand schlossen wir drei uns dieser Gruppe an, und ich gab dem Bootsführer mein gesamtes restliches Geld: ca. 1.300 Euro. Bald sahen wir das Boot, und, glücklicherweise handelte es sich diesmal um ein Wasserfahrzeug in einem neuwertigen Zustand. Ein gutes Boot also.

Der Trip am Meer dauerte an die 3 Stunden und führte uns zu einer griechischen Insel (an den Namen kann ich mich leider nicht mehr erinnern). Empfangen wurden wir dort von zwei freundlichen, jungen Leuten (1 Mann, 1 Frau, zwischen 20 und 30 Jahre alt), die uns mit etwas Brot und Wasser versorgten. Und mit Milch für die Babys. Ein Segen!

Danach ging es weiter per Bus: In 10 Minuten gelangten wir endlich zum allerersten Camp! Darunter stelle man sich eine Halle vor mit 200-300 Menschen. Die Schlange, um reinzukommen, war lange; ich kam, bereits erschöpft, erst nach 2 Stunden dran. Die Leute kamen von überall her: Afrika, Afghanistan, aus sämtlichen arabischen Ländern und aus dem Iran. Die Kontroll-Prozedur dauerte sehr lange. Unsere Fingerabdrücke wurden abgenommen. Nach unseren Pässen verlangte man nicht, aber wir mussten ein Formular ausfüllen. Welches wir nach der Kontrolle wieder mitnahmen. Da ich ursprünglich aus dem Irak stamme, füllte ich es auch so, wahrheitsgemäß, aus.

Weiter ging die Reise mit dem Bus wieder ans Meer, wo ein großes, schönes, modernes Schiff uns innerhalb von 2-3 Stunden nach Athen brachte. Mit dem Zug dauerte es eine weitere Stunde nach Mazedonien.

In Mazedonien begannen die eigentlichen Probleme: Es war Winter, es war eiskalt, es gab keine Heizung UND keinen Platz, sich irgendwo im Zugbereich auf den Boden hinzulegen. Es bestand auch nicht die Möglichkeit, sich mal die Hände zu waschen oder für sonstige hygienische Maßnahmen zu sorgen. Und von Decken zum Wärmen konnten wir nur träumen.

Nach Mazedonien und den üblichen „Fingerprint“-Kontrollen, fuhren wir mit dem Zug in irgendeine abgelegene, ländliche Gegend, wo wir zum nächsten Camp gelangten.

Wir aßen. Wir tranken. Hatten immer noch nicht geduscht. Eine für mich äußerst unangenehme Situation! Weiter ging es mit dem Zug, die ganze Nacht durch. Die Konditionen waren miserabel. Und leider nichts Neues.

Nun landeten wir endlich in Serbien. Von dort aus marschierten wir 6 km lang zu Fuß. Unter extrem kalten und regnerischen Wetterbedingungen.

Das Erstaunliche bei fast jedem meiner Fluchtreiseschritten war: Wir kannten die Destination nicht und überließen so dem reinen Glück unser Schicksal. Der einzige Trost, der mir blieb, waren meine zwei Fluchtfreunde: Denn wir waren im selben „Boot“.

Nun kamen wir zu dritt an einem Ort an, wo sich Busse und Taxis für jedermann befanden. Ein Taxi- und ein Busfahrer verrieten uns, wo sich das nächste Camp befand. Im nächsten Camp mussten wir wieder elend lang warten; und dann wieder: Fingerabdrücke und Formularkontrolle.

Schließlich kamen wir nach Slowenien, mit dem Zug (die Reise dauerte ca. 6-7 Stunden). Diesmal fand die Flucht am Tag statt. Polizisten zeigten uns die Richtung. Dann ging es endlich nach Österreich. Es dauerte 6-7 Stunden, bis wir in Linz ankamen. Wir waren so unendlich müde. Und hungrig.

In Linz erwartete uns bereits wieder eine Gruppe Polizisten. Ich musste mich diesmal, schweren Herzens, von meinen beiden Freunden verabschieden: Ihre Reise ging nämlich weiter nach Deutschland. Ich entschied, in Österreich zu bleiben und schloss mich einer neuen Gruppe an.

In der nächsten Polizeistation lieferte ich wieder meinen Fingerabdruck ab und bekam eine Adresse:

Bahnhof Linz. Ein altes Postgebäude war das neue Camp. Dort blieb ich 20 Tage lang.

Weiter ging es in ein abgelegenes Dorf im Umkreis von Linz. In eine renovierungsbedürftige Kirche. Wir wurden dort zur Arbeit eingesetzt von morgens bis nachmittags: Es waren Restaurierungsarbeiten an der Kirche zu erledigen, Holz zu schleppen und vieles mit Hammer und Nagel zu bewerkstelligen. Dies hielt ich einen ganzen Monat lang durch. Im Gespräch mit meinen Fluchtgenossen erfuhr ich, dass es möglich war, nach Wien zu reisen. Und ja, ich wollte von dort weg! Ein Freund von mir befand sich bereits in Wien – ich telefonierte oft mit ihm –, und er schwärmte von den Bedingungen in der Hauptstadt von Österreich; somit setzte ich meine Flucht für die „Endstation“ fort.

Endstation Wien:

In Meidling wurde ich von Freunden abgeholt, die mich in das Camp in der Vorderen Zollamtsstraße brachten. Und dort bin ich, immer noch! Die Konditionen sind nun besser: Zu Anfang herrschte dort ein wenig Chaos, weil es überrannt war.

Asghars Botschaft an uns Menschen. In Europa. In Österreich. In Wien. Selbstbewusst und zielgerichtet im Ton:

„Liebe Menschen aus Österreich! Ich möchte frei sein! Ich möchte tun können, was ich möchte, ohne mich einem Religionsführer unterwerfen zu müssen! Ich respektiere alle Regeln und Gepflogenheiten des Landes. Und besuche derzeit einen Deutschkurs – mein Deutsch ist leider noch nicht perfekt. Gerne hätte ich einen Job, den ich jetzt, mit meinen bereits vorhandenen Englischkenntnissen, bereits ausführen könnte – im IT-Bereich.“

Und, mit einem Glitzern der Freiheit in seinen Augen, spricht er, final:

„Let me prove myself, please!

I want to enjoy my life; I struggled through enough pain.”

Asghar S. kommt derzeit mit 400 Euro pro Monat, vom österreichischen Staat finanziert, gut aus. Sein oberstes Ziel ist es, einen Job zu finden und sich eine Wohnung in Wien leisten zu können.

Geben wir ihm eine Chance!

 

Credits

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Asghar S Asghar S Anna Dichen CC BY-SA 4.0

Diskussion (7 Kommentare)

  1. bewegend! Danke 😉

  2. Ja, dieser junge Mann voller Tatendrang und Enthusiasmus, sollte von Staat und Gesellschaft eine reelle Chance zur Integration und individueller Entfaltung erhalten!

  3. Schöner Artikel, gut übertragen, ohne Kitsch und unnötigem Drüsendrücken. Die Geschichte des Menschen spricht für sich selbst. Weiter so! Asghar wünsche ich alles Gute und denk er kann es schaffen!

  4. Anna, danke, wunderbar, ich heule, weiter so! Gute Energie und Kraft und Liebe! Ich freue mich schon sehr auf dein nächstes Interview! Und möge der gute Asghar bald einen Job finden, der ihm Freude bereitet. Alles Glück!

    1. Vielen Dank! 🙂

  5. Wie das Leben die Fäden hält und zu Geschichten webt:
    Ganz Mensch- weiter so Asghar und danke Anna!!

    1. Vielen Dank, Sven! Ich kann Dir versprechen, dass wir, jeder für sich, und auch im Team auch in diese Richtung weitermachen! 🙂