Tanze mit der Magie, die dir begegnet
…und bevor wir es noch richtig bemerken, sehen wir schon das Schild: ‚Bara-lacha la‘. Es ist ein wirklich unbezahlbares Gefühl, dieses weite NICHTS vor mir zu überblicken, diese Berge, die nun Ähnlichkeit mit einem Gemälde haben. Es ist etwas, was man sich beim Lesen nicht vorstellen kann, sondern mit eigenen Augen gesehen haben muss.
(aus: Wie wir die Einsamkeit lieben lernten)
Tag 2: Von Koksar (3500m) nach Sarchu (4290m), Teil 2
Schon bald nachdem wir uns wieder auf den Weg gemacht haben, passiert es: Wir verlieren eine Tasche. Der Fahrer des Lastwagens hinter uns macht uns durch Hupen darauf aufmerksam. Früher oder später musste das einfach passieren auf diesen verrückten Schlaglochstraßen! Zum Glück haben wir an dieser Stelle eine großartige Aussicht, so dass wir die Gelegenheit zu einer Pause nutzen und die Stimmung auf uns wirken lassen.
Wir fahren weiter und weiter über noch unglaublichere Straßen. Als es scheint, dass es immer nur schlimmer statt besser wird, können wir endlich aufatmen und uns etwas entspannen: Vor uns liegt eine schöne, gerade Asphaltstraße.
In Gedanken bringt mich das zurück zu der Straße zum Monument Valley in Utah (USA), das ich vor ein paar Jahren zusammen mit meinem Bruder besuchte.
Wir tauschen die Plätze, ich sitze vorne und lege meine Hände auf den Lenker. Mein Herz schlägt heftig, als meine erste Fahrstunde beginnt. Sourabh gibt mir Anweisungen: Getriebe auf Leerlauf, Startknopf drücken, ersten Gang einlegen, dann Gas geben und looos! Wenn es ja so einfach wäre… Aber nein, wir stehen immer noch an genau der gleichen Stelle, weil der Motor ausgegangen ist. Nach dem dritten Versuch klappt es endlich, und da bin ich nun, Motorrad fahrend im Himalaya!
Stolz fahre ich den ganzen Weg bis nach Sarchu, das jetzt nicht mehr weit ist. Ein gutes Gefühl!
Bei der Einfahrt nach Sarchu passieren wir einen weiteren Checkpoint, da dies die letzte Siedlung in der Region Himachal Pradesh ist und es nun nach J&K (Jammu und Kaschmir) hineingeht. In Sarchu gibt es keine richtigen Häuser, nur temporär aufgebaute Zelte, weil es im Winter so kalt wird, dass niemand das ganze Jahr über hier leben kann. Wir halten an einer der kleinen Dhabas, um nach dem Preis für eine Übernachtung zu fragen. Weil es aber viel zu teuer ist – um die zwanzig Euro für zwei Schlafplätze in einem Gemeinschaftsraum – entscheiden wir uns, unser eigenes Zelt in der Nähe aufzustellen.
Wir erinnern uns, dass uns einige Fahrer heute Morgen geraten haben, auf das Benzin aufzupassen, weil es hier immer wieder vorkomme, dass es gestohlen wird. Wir verstecken unsere Kanister daher im Zelt und gehen zur Dhaba, um uns aufzuwärmen und etwas zu essen. Alles, was sie uns anbieten können, sind Omeletts, Maggie-Nudeln, Tee und ein lokaler Schnaps. Wir bestellen von allem etwas und füllen auch unsere Flaschen mit heißem Wasser. Die Fahrer, die wir heute am Bara-lacha la getroffen haben, sind auch da; wir tauschen uns über unsere Erlebnisse des Tages aus und schauen ein paar aufregende Videos an, die sie mit ihrer Drohne aufgenommen haben. Es ist wirklich nochmal etwas ganz anderes, das Gebiet, das wir heute durchfahren haben, aus der Vogelperspektive zu sehen!
Bevor wir wieder zu unserem Zelt gehen, fragen wir die Besitzerin der Dhaba, ob sie uns eine Decke für die Nacht vermieten kann, da die Temperatur extrem gefallen ist (bis auf etwa drei Grad plus) und wir gestern einen unserer Schlafsäcke verloren haben. Zum Glück hilft sie uns aus, und wir gehen zurück in unser „Zimmer“.
Obwohl es jetzt wirklich kalt ist und meine Fingerspitzen langsam taub werden, muss ich doch noch einmal meine Kamera herauskramen und ein paar Fotos machen. Nach endlosen Versuchen mit dem Selbstauslöser schaffen wir es endlich, das perfekte Bild von Sourabh, Angelo und mir zu machen.
Nun endlich bin ich wirklich entspannt und glücklich und werde gut schlafen.
Gute Nacht, ihr Lieben! xxx
Heute war einer der Tage, die nicht zu enden scheinen; ein Tag, der sich wie eine ganze Woche anfühlt, ein Tag, den ich niemals vergessen werde und der einer der besten in meinem ganzen Leben war. Wir haben heute so viele Dinge erlebt und ich habe mich so lebendig gefühlt! Es wird eine Weile dauern, das alles zu verarbeiten. Diesmal will ich die Grenzen meines Körpers testen und nehme daher keine Präventivmedikamente gegen die Höhenkrankheit wie bei unserer Wanderung zum Everest-Basislager. Trotzdem habe ich glücklicherweise keinerlei Symptome.
Darüber hinaus könnte man sagen, dass ich mich heute erwachsener und weiser fühle als gestern, weil ich den Mut hatte, das Motorrad zu fahren – was ich nicht geglaubt hätte, wenn es mir jemand vor ein paar Wochen gesagt hätte. Doch ich denke, die Tatsache, dass ich den ganzen Tag am Steuer saß und mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert wurde und mich dabei an die Umgebung und die Situation gewöhnt habe, gab mir ein besseres, komfortableres und zuversichtlicheres Gefühl und nahm mir meine Angst.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake
[…] (Aus: Tanze mit der Magie, die dir begegnet) […]