Stefan Zweig – Ein Österreicher von gestern?
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 12. 6. 2017
- Veranstalter
- Kulturverein Wien
- Ort
- Hanuschgasse 3, 2. Hof, Stiege 4, 1. Stock
- Veranstaltungsart
- Vortrag
- Teilnehmer
- Dr. Klemens Renoldner, Zweig-Experte
Der Flüchtling Stefan Zweig
Anlässlich des 75. Todestages des insbesondere im Ausland berühmten österreichischen Schriftstellers lud der Kulturverein den Zweig-Experten Dr. Klemens Renoldner zu einem Vortrag nach Wien ein. Dieser beschrieb die Zeit von der Flucht aus Österreich bis zu Stefan Zweigs Freitod 1942 im brasilianischen Petrópolis. Zweig, der sich Zeit seines Lebens nach seinem Vorkriegsösterreich (gemeint ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg) zeitlich wie geografisch zurücksehnte, sei kein Monarchist gewesen – im Gegenteil: Er sah das kosmopolitische Österreich als Vorbild einer europäischen Entwicklung (ähnlich des 1914 ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand), mit all seinen Freiheiten in Kultur und Gesellschaft, aber auch mit all seinen Fehlern.
Brasilien, das er wohl auch dank einer sehr erfolgreichen Buch-Tournee im Jahr 1936, als er auch dort sein Buch vorstellte, als Lebensort auswählte, konnte ihm nie seine wahre Heimat Österreich ersetzen. Er liebte zwar die Menschen und die Fülle des Lebens, die sich ihm in Südamerika bot, doch die sprachliche Barriere (obwohl er fünf Sprachen – darunter Spanisch – sprach, gab er das Erlernen der portugiesischen Sprache nach sechs Wochen auf) führte gemeinsam mit der Entscheidung für Petrópolis (er hätte auch in Rio bleiben können) zu einer geistigen wie persönlichen Isolation. Seine Diskussionspartner aus früheren Jahren (fast ausschließlich Männer) waren aufgrund der Fluchtsituation über die Welt verteilt. Ihm blieben nur briefliche Korrespondenzen, zumal er selbst mit seinem englischen Pass viele Länder der Welt nicht mehr bereisen konnte.
Von Hannah Arendt, die ihn abgrundtief hasste, wurde ihm vorgeworfen, dass er trotz gelegentlicher Kritik an den Zuständen in Europa nie seine jüdischen Wurzeln betonte. Mit dieser polemischen Kritik konnte er ebenso wenig umgehen wie mit der Realität in Brasilien, wie sie sich nach der Veröffentlichung seines Reisewerkes zu diesem Land bot:
Der Film Vor der Morgenröte, der Zweigs Zeit im Exil beleuchtet, sei aus der Sicht eines Zweig-Experten trotz der vielen kritischen Stimmen ausgezeichnet gemacht und historisch korrekt.
Persönliches Fazit: Geschichte ist immer aktuell
Zweigs Schicksal und seine ausführliche Beschreibung, was es heißt, ein Flüchtling zu sein, ist in der heutigen Zeit höchst aktuell. Er hatte noch das Glück, berühmt und wohlhabend zu sein und einen großen Kreis an Freunden und Helfern zu haben (sonst hätte er das Visum „permanente“ für Brasilien nie erhalten).
Ob die Gründe der Flucht wirtschaftlicher oder kriegerischer Natur sind – eine Diskussion, die im moralischen Europa gerne geführt wird -, ist eigentlich nebensächlich: Man stirbt durch eine Kugel genauso wie durch einen leeren Magen.
Bei den meisten Flüchtlingen ist die Ausgangslage sicher viel schwieriger als damals bei Zweig.
Zum anderen haben viele Einheimische angesichts der wirtschaftlichen Lage die Angst, zwischen den Mühlsteinen der Globalisierung noch mehr zu verlieren. Doch hier gilt es zu beachten: Der Niedergang des Lohneinkommens begann statistisch belegbar in den 1980ern, als die ersten Neoliberalen das Zepter an sich rissen und Unternehmens- und Gewinnsteuern senkten, zu Lasten der Arbeit. Also lange bevor sich die heutige Migrationswelle abzeichnete.
Ich schließe mit einer Frage, die mich schon lange beschäftigt: Wie erkennt man bei einem Menschen an der Grenze, ob es sich um ein Genie oder einen Vergewaltiger handelt? Ob aus ihm (oder ihr) ein David Alaba oder ein Gangsterboss wird? Ja, es gibt die vielen Probleme und Straftaten, die aktuell von Zuwanderern verursacht werden. Doch für diese Probleme gibt es Gesetze (und nein: Wir brauchen keine Verschärfungen, zuerst müssen die bestehenden evaluiert werden), die es zu exekutieren gilt.
Es gibt die vielen positiven Beispiele gelungener Integration, wie man an der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft seit Jahren sehen kann.
Deshalb ist das Gebot der Stunde: fördern und fordern. Untersucht man Erfolgsmodelle wie Kanada und stellt man darauf aufbauend effektive Pläne auf, die man ohne rechte (Ausländer = Verbrecher) wie linke (Nazikeule) Scheuklappen zur Diskussion stellt, so kann auch diese äußerst schwierige Aufgabe gelingen. Dazu bedarf es aber einer steigenden Bereitschaft beider Seiten – und eines offenen Dialoges, befreit von Vorurteilen und Ideologien.
Credits
Image | Title | Autor | License |
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Stefan Zweig – Tod im Exil | Andreas Maislinger | CC BY-SA 3.0 de |