State of the Union
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 6. 6. 2016
- Veranstalter
- Diplomatische Akademie Wien
- Ort
- Diplomatische Akademie Wien
- Teilnehmer
- Wolfgang Schüssel, ehem. österr. Bundeskanzler
- Herman Van Rompuy, ehem. Präsident des Europäischen Rates
- Baroness Symons of Vernham Dean, britische Politikerin (Labour Party), Mitglied des ‚House of Lords’
Eine sehr illustre Runde diskutierte heute Abend vor relativ wenig Publikum den Zustand und die aktuellen Probleme der EU. Erwartungsgemäß nahm auch das bevorstehende Referendum Großbritanniens (Brexit?) eine bedeutende Rolle ein.
Herman Van Rompuy hebt die Erfolge der EU (bspw. die Rettung des Euro) hervor und betont die besonders schwierigen Rahmenbedingungen (Bankenkrise, Flüchtlingskrise). Er lobt den Türkei-Deal der EU („not all problems are solved but imagine the problems without the deal“) und zeigt Verständnis für die Dauer vieler Entscheidungsprozesse, da 28 Mitgliedsstaaten zu koordinieren sind. Van Rompuy sieht die Krise nicht auf Europa begrenzt, sondern eine Krise unserer Demokratien und spricht von einer ‚Fragmentierung‘ und ‚Polarisierung‘ Europas und wachsendem Populismus. Er erkennt, dass es nicht die Zeit ist, über „Vereinigte Staaten von Europa“ nachzudenken. Obwohl er diesen pragmatischen Ansatz nachvollziehen kann sollten aber Visionen und Träume nie verboten sein. Er sieht ein „Europe of necessity“ (Enthusiasmus der Bevölkerung wäre gut, ist aber nicht unbedingt erforderlich) und fordert ein „Europe of results“. Europa müsse Erfolge erzielen, u.a. im Bereich der Arbeitslosigkeit, der Flüchtlingsfrage oder einer sinkenden Ungleichheit.
Van Rompuy rechtfertigt die seinerzeitigen Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und Moldawien. Eine langfristige Lösung in der Ukraine-Frage ist notwendig, bevor die Sanktionen gegen Russland beendet werden können.
Einen Brexit bezeichnet Van Rompuy als „Amputation Europas“, der als Anfang vom Ende interpretiert werden könnte. Baroness Symons Vernham Dean sieht Großbritannien in der Frage eines Brexit gespalten. Die Medien setzen sich mehrheitlich für einen Brexit ein. Die drei wichtigsten Themen betreffen die Wirtschaft, die Migration sowie die Souveränität.
Vernham Dean lobt die Verhandlungsergebnisse Camerons mit der EU, obwohl dieser der anderen Partei angehört und macht kein Geheimnis aus ihrer überzeugten pro-EU Haltung. Sie befürchtet eine Abwertung des britischen Pfunds sowie ein erneutes Referendum in Schottland, das im Falle eines Brexit zu einem Auseinanderbrechen Großbritanniens führen würde.
Vernham Dean nennt Ägypten als Beispiel, wo großer Handlungsbedarf besteht und wo sie sich mehr Engagement der EU wünscht. Der Analphabetismus ist hoch und die Wirtschaft hat große Probleme. „It’s about poverty!” – „If Egypt goes, then Jordan and Lebanon goes“.
Wolfgang Schüssel sieht die Realität der EU besser als die öffentliche Meinung. Das Hauptproblem sind die vielen gleichzeitigen Probleme. Die EU müsse Stabilität exportieren, nicht Instabilität importieren. Hohe Bedeutung hat die Weiterentwicklung von Frontex.
Schüssel zeigt sich besorgt um das Selbstvertrauen der politischen Entscheidungsträger, die zu viele Referenden abhalten würden, die weder politisch noch juristisch notwendig wären. Die Menschen würden nicht über die Frage des Referendums entscheiden, sondern über die Regierungen. Schüssel befürchtet, dass ein Brexit Vorbildwirkung für andere Länder (wie beispielsweise Italien) haben könnte. Das Ergebnis der aktuellen Bürgermeisterwahl in Rom kommentiert er mit einem sarkastischen „Wonderful!“.
Um diese Trends zu verhindern müsse die EU die Ärmel hochkrempeln und gemeinsam die EU zum Funktionieren bringen. Allen voran ist auch wichtig, neben rationalen Argumenten auch andere Aspekte wie jenen der Kultur oder des Friedens zu transportieren.
Schüssel betont, dass es neben den sehr weit rechten Parteien auch sehr weit links positionierte Parteien gibt, die in einigen Aspekten sogar in ihren Forderungen übereinstimmen. Es gibt zwei Faktoren, den Faktor Angst und jenen der Hoffnung.
„Europe is about hope, not about fear!“
In der Brexit-Frage stützen sich beide Lager auf den Angstfaktor. Eine Einmischung von außen wäre
kontraproduktiv. Schüssel erkennt durchaus an, dass in einigen Bereichen ‘weniger EU’ besser funktionieren würde, betont aber auch, dass in anderen Bereichen dafür ein ‘mehr’ erforderlich ist.
Erwartungsgemäß betonen alle drei Diskutanten die Bedeutung und Erfolge der EU und sprechen sich dezidiert gegen einen Brexit aus.
Gleichzeitig suchen sie Lösungsansätze gegen die EU-Verdrossenheit der Bürger. Van Rompuy fordert Ergebnisse, um die Bevölkerung von der Wichtigkeit der EU zu überzeugen, Schüssel schlägt vor, mehr als rein wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen und den Faktor Hoffnung über den der Angst zu setzen. Vernham Dean setzt sich für mehr Präsenz (‚visibility‘) der EU beispielsweise in Krisengebieten wie Ägypten ein.
Alles in allem ein interessanter Politikabend mit renommierten Vortragenden und wenig Überraschungen.
Credits
Image | Title | Autor | License |
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State of the Union | Thomas Farthofer | CCBY-SA 4.0 |