Sozialdemokratische Irrwege

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Meinung

Als aufmerksamer Beobachter der Sozialdemokratie muss man besorgt sein. Den umgehend gesuchten Schulterschluss mit Emmanuel Macron nach dessen grandiosem Wahlerfolg bei den französischen Präsidentschaftswahlen hätte man sich eher von konservativen Kräften in Europa erwartet. Muss man als Sozialdemokrat tatsächlich – wie Schulz und Gabriel – nach Paris pilgern, um den wirtschaftsliberalen Emmanuel Macron zu hofieren, oder ihn – wie Ex-Kanzler Christian Kern – demonstrativ nach Salzburg einladen, um sich – auf populistische Art und Weise – im Licht seines Sieges zu sonnen, während man den eigenen Parteikollegen Jeremy Corbyn als Ultralinken bezeichnet, der die Partei spaltet und die politische Mitte vergrämt? Was ist an Macron so besonders anziehend für linke Politiker?

Also an jenem Mann, der die seit 1989 bestehende Vermögenssteuer, die Vermögen ab 1,3 Millionen Euro betraf und immerhin 4,2 Milliarden Euro in die Staatskasse spülte, abschafft – wohlwissend, dass Nicolas Sarkozy mit einer ähnlichen Vorgehensweise weder jemanden davon abhielt, seinen Reichtum ins Ausland zu bringen, noch im Ausland befindliche Vermögen wieder nach Frankreich zurückholte?

An jenem Mann, der Wohnbeihilfen für die in Banlieues lebenden Menschen kürzt und das Arbeitsrecht den Unternehmen anpasst, um dem wirtschaftlichen Druck Deutschlands etwas entgegenzusetzen und im (Unternehmens-) Steuerwettbewerb nach unten mithalten zu können – und der dies alles schon in seinem Wahlprogramm angekündigt hatte? Macron dies jetzt vorzuhalten, ist scheinheilig und zeugt von der Strategielosigkeit der Sozialdemokratie, die sich in zahlreichen Ländern Europas über viele Jahre zur Mittäterin neoliberaler Politik gemacht hat.

Ist es um die Sozialdemokratie in Europa tatsächlich so schlimm bestellt, dass man denkt, nur noch mit wirtschaftsliberalem Gedankengut und ebensolchen Persönlichkeiten reüssieren zu können?

Hat die Sozialdemokratie aus Gerhard Schröder und Toni Blair nichts gelernt? Zugegeben, Schröder hat sein Land wirtschaftlich vorangebracht – auf Kosten anderer europäischer Länder, die die damals eingeleitete deutsche Dumpingpolitik mitfinanzieren mussten. Und sozial hat sich Deutschland unter Schröder rückwärts entwickelt, wenn man die stagnierende Einkommensentwicklung, die ausufernde Altersarmut, das Gesundheitssystem oder die Hartz IV-Problematik betrachtet. Themen, die das Land heute und in Zukunft vor große Probleme stellen werden. Nicht umsonst wurde für Schröder der Begriff „Genosse der Bosse“ geprägt.

Auch hierzulande scheint trotz (oder wegen?) des überraschend guten Abschneidens der SPÖ noch nicht klar zu sein, dass man sich wieder mehr auf seine Wurzeln als Partei links der Mitte konzentrieren muss, will man ehemalige Stammwähler zurückgewinnen. Mitte-rechts ist der Raum schon besetzt – und das Schreckgespenst Schwarz-Blau wird Wähler nicht auf ewig als einzig verbliebenes Argument an die Sozialdemokraten binden. Wohl aber das Thema Gerechtigkeit und Fairness – allerdings nicht so, wie die FPÖ dies verquer auf ihren Wahlkampfplakaten definiert, sondern für die gesamte Gesellschaft – eigentlich DIE ureigenste Position linker Parteien seit ihrer Entstehung. Die unfairen Steuervorteile großer Konzerne und deren rücksichtsloses Streben nach Profiten, das zu weltweiten Verwerfungen bis hin zu Umweltzerstörungen und zur aktuellen Migrationskrise führt und sich direkt auf die Menschen in Österreich auswirkt, wäre DER Ansatzpunkt einer linken politischen Kraft. Ja, die Zusammenhänge mögen komplex sein und nur wenige mögen sie auf den ersten Blick erkennen:

Aber will man deshalb schon vorweg aufgeben und seine Wähler weiterhin verraten, wie man es in den letzten beiden Jahrzehnten getan hat?

Opposition ist eine Chance, sich neu aufzustellen. Eine Chance, markante Positionen zu vertreten und diese auch zu verteidigen, ohne auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen zu müssen. Kurz gesagt: Opposition ist die möglicherweise letzte Chance, zu recht vergrämte Wähler zurückzugewinnen, indem man die globalen Zusammenhänge auf die europäische sowie die österreichische Ebene herunterbricht und den Menschen erklärt, dass der afrikanische Migrant nicht zu uns kommt, weil es hier Mindestsicherung gibt, sondern weil westliche Länder, Konzerne und Fonds deren Ackerland kaufen, deren Rohstoffe plündern und Kriege in deren Ländern finanzieren und unterstützen. Es gilt zu erklären, dass nicht alle Ausgaben des Staates schlecht sind, dass es notwendig ist, die Steuerlast fair zu verteilen und nicht, wie aktuell, die Hauptlast dem Mittelstand aufzubürden. Ein Staat ist kein Unternehmen, entsprechend sind beide auch anders zu führen. Steuerwettbewerb zwischen Staaten mag die Wirtschaft freuen, für die sozial Schwachen in der Gesellschaft ist dies aber katastrophal.

All diese Themen müssen klar benannt, das sozialdemokratische Profil muss wiedergewonnen werden. Dies wird nicht gelingen, wenn man jedem erfolgreichen Wahlkämpfer, egal aus welchem politischen Lager, hinterherhechelt. Es wird auch nicht funktionieren, wenn man auf jene Kräfte innerhalb der sozialdemokratischen Parteien setzt, die für die heutige Situation verantwortlich sind, und jene, die Erneuerung wollen, aus der Partei hinausekelt oder ausschließt.

Die Oppositionsjahre werden zeigen, ob die Sozialdemokratie noch einen Platz im künftigen politischen Spektrum hat – oder ob sie durch neue, jüngere und weniger verkrustete Kräfte ersetzt wird, ja werden muss.

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Links_abbiegen_und_STOP Links_abbiegen_und_STOP Marco Verch CC BY SA 2.0