South Coast Patrolling
Nachdem ich mich von meiner ersten Nachtschicht bei BDFM erholt habe (siehe oben), fuhr ich am darauf folgenden Abend an die Südküste, um dort auszuhelfen und die Boote in Empfang zu nehmen. Und wieder war es eine regnerische und kalte Nacht. Hier lest Ihr nun mehr über die Ankunft der Boote in den frühen Morgenstunden:
In dieser regnerischen Nacht war wiederum “South coast patrolling” (Küstenstreife zur Bewachung der Küste) angesagt. Ich packte meine Sachen und fuhr zum Treffpunkt. Dort wurden wir auf drei verschiedene Stützpunkte aufgeteilt. Man schickte uns mit anderen Volontären von „Team Humanity“ und zwei österreichischen Reportern nach “Lasia”. Wir waren insgesamt 10 Personen. Die ganze Nacht saßen wir dort, zuerst im Auto und nachdem es aufgehört hatte zu regnen, am Lagerfeuer. Trotzdem froren wir und unsere Augen wurden immer schwerer; unsere Unterhaltungen hielten uns aber wach und bei guter Laune. Weit und breit war kein Boot in Sicht.
Um 06.00 Uhr in der Früh, als die Sonne langsam aufging, sichteten wir in der Ferne ein Boot. Plötzlich schienen alle hellwach und fingen an, alles Nötige vorzubereiten. Man merkte regelrecht, wie die Aufregung stieg und gleichzeitig alles ruhig wurde. Nach einiger Zeit bermerkten wir, dass ein weiteres Boot auf das Flüchtlingsboot zusteuerte. Mit dem Fernglas erkannten wir ein Rettungsboot. Es diente dazu, dringende Notfälle zu identifizieren und die Rettung an Land zu verständigen, sowie auch eine sichere Ankunft am Strand zu gewährleisten.
Vor einigen Minuten waren wir knapp ein Dutzend Personen, doch mittlerweile haben wir uns auf das Fünffache vermehrt. So ergaben sich chaotische Situationen und man verlor den Überblick. Zum Glück gab es keinen medizinischen Notfall ..
Ich kümmerte mich um einen Vater, der mit seinen zwei kleinen Söhnen unterwegs war. Die Mutter der Kinder schien nicht dabei zu sein. Allesamt waren sie vollkommen durchnässt und zitterten am ganzen Leib. Ich versorgte sie sofort mit Handschuhen, Socken und Mützen. Kinderhandschuhe konnte ich unglücklicherweise nicht finden, deshalb stülpte ich den Kleinen einfach Socken um die Hände. Dann gab ich ihnen zu essen. Sie standen total unter Schock und konnten durch ihr Zittern nichts in ihren Händen halten. Also war ich ihnen ganz einfach dabei behilflich.
Plötzlich hat jemand: “Doctor, Doctor, we need a Doctor!” geschrien. Auf der Stelle rannte ich hin, um zu wissen, was los ist: Eine ältere Frau übergab sich mehrere Male, zum Glück war aber alles in Ordnung – sie war seekrank.
Auch der UNHCR-Bus stand schon bereit, um alle nach Moria zu bringen. Dann war der Strand wieder beinahe menschenleer; es gab nur noch ein paar Volontäre, die dabei waren, den Müll einzusammeln.
Für mich war es nun an der Zeit, zu frühstücken und mich ein wenig zu entspannen, um wieder neue Kraft für die nächsten Stunden zu schöpfen. Aber leider ist es mit dem Ausruhen hier auf Lesbos immer so eine Sache – ich erlebe so viel an einem Tag und mein Gehirn hat gar keine Zeit, all diese Sachen zu verarbeiten. Ich bin hier, ich sehe, was passiert, aber trotzdem kommt es mir so vor, als ob ich in einem Film wäre, als ob das alles nicht real wäre. Es ist schon irgendwie paradox: Während der Rest der Insel gerade in einen neuen Tag startet, verbringen andere gerade die letzten Stunden in absoluter Lebensangst. Eine Insel – zwei total unterschiedliche Realitäten.
Gute Nacht 🙂