Solidarität: Gut, Mensch zu sein
Gerade in der Corona-Krise ist der Begriff Solidarität von praktisch allen politischen Lagern unterschiedlich benutzt worden. Der BSA Döbling hat sich in dieser Online-Veranstaltung Mitte April zum Ziel gesetzt, Gegenwart und Zukunft dieser weiter verbreiteten und geschätzten Idee auszuleuchten.
Der Soziologe Prof. Dr. Heinz Bude ist Autor des Buches Solidarität – Die Zukunft einer großen Idee, sieht den Begriff überladen; viele Menschen lehnen die Idee der Zwangssolidarität ab, die vor allem durch diverse Skandale, bei denen gemeinschaftlich verwaltetes Geld in großen Stil verloren wurde (zB Wohnbaugenossenschaften), so empfunden wird. Die politische Rechte bespielt Solidarität mit der Idee der Solidarfunktion einer Nation bzw eines Volkes – auf Basis der Abgrenzung zu Anderen. In der Sozialdemokratie der letzten Jahrzehnte fiel Bude auf, dass kaum mehr über Solidarität, aber viel über Gerechtigkeit gesprochen wurde. Beides scheint ihm zu kurz gegriffen; deshalb stellt er in seinem Buch einen umfassenden, neuen linken Solidaritätsbegriff vor, der anspruchsvoll und existenziell bewegend ist.
Die Pandemie hat sowohl die Spaltung der Gesellschaft, als auch die eigene Verletzlichkeit als Individuum sichtbar gemacht, meint Mag. Klaus Schwertner, Direktor der Caritas Wien. Der Autor von Gut, Mensch zu sein sieht die Gefahr, dass wir zahlreiche Errungenschaften der letzten Jahrzehnte weltweit (Bekämpfung des Hungers, Reduktion der Kindersterblichkeit etc) in der Krise gefährden. Positive Veränderung und Mitmenschlichkeit beginnt zuallererst bei uns selbst. Sowohl individuelle, als auch strukturelle Solidarität (Wohlfahrtsstaat) sind für eine funktionierende Gesellschaft wichtig. Links und Rechts sollten keine Kategorien mehr sein, in denen gedacht werden sollte. Populisten aller Coleurs sind Gift für eine Gesellschaft, und für die darin gelebte Solidarität.
Die Psychotherapeutin und evangelische Theologin Monika Salzer sieht die Gesellschaft zwar ebenfalls in der Krise, aber von einem sehr hohen Niveau startend. Die Bewegung Omas gegen rechts habe sie in Solidarität mit ihren Großmüttern mitbegründet: die Frauen dieser Generation waren mutig, umtriebig und politisch engagiert. Es ist wichtig, dass sich die ältere Generation politisch zu Wort meldet; denn sie hat große Zeitressourcen, die die Jugend nicht hat. Der Mensch wird nur am Du zum Ich – hinter diesem Leitspruch des Religionsphilosophen Martin Buber steht Salzer zu 100 Prozent: ohne andere Menschen sind wir nicht überlebensfähig. Jeder Mensch habe die Fähigkeit zum Guten und zum Bösen; die Frage ist, welche Bedingungen gegeben sein müssen damit das Gute gewählt wird.
Die Erkenntnis, dass man aufeinander angewiesen ist, führt nicht automatisch dazu, dass man sich solidarisch verhält, meint Heinz Bude. Ein sogenannter Trittbrettfahrer ist per se nicht unbedingt böse, aber oft zynisch. Zwischen Solidarität und Gerechtigkeit herrscht ein Spannungsverhältnis, in dessen Mitte sich wohl die ideale Gesellschaft befindet; denn weder der eine, noch der andere Pol ist für eine Gemeinschaft langfristig verträglich.
Die Veränderung des Begriffs Solidarität in den letzten Jahren, die Rolle von Leistungsträgern und Leistungsempfängern, die Abwertung der Demokratie und ihrer Institutionen, die wiederkehrende Verachtung von Armut und die Rolle des Kapitalismus bei sozialen Problemen weltweit sind weitere Themen dieser Diskussionsrunde.
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Solidarität, Gut, Mensch zu sein | Wolfgang Müller | CC BY SA 4.0 |