Sexuelle Übergriffe – und was Gesetze dagegen bewirken können
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 22. 1. 2018
- Veranstalter
- Tageszeitung "Die Presse", Veranstaltungsreihe "Rechtspanorama"
- Ort
- Juridicum
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Nikolaus Forgó, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien
- Chris Karl, Forensische Psychologin
- Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft
- Susanne Reindl-Krauskopf, Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien
- Michaela Windisch-Graetz, Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien
- Benedikt Kommenda, Redakteur „Die Presse“, Moderation
Der Hashtag „#MeToo“ löste eine breite gesellschaftliche Diskussion über sexuelle Übergriffe aus. Doch welche Möglichkeiten haben Opfer, sich juristisch zur Wehr zu setzen? Dieser Frage ging eine Podiumsdiskussion der Veranstaltungsreihe „Rechtspanorama“ der Tageszeitung „Die Presse“ am 22.1.2017 im Wiener Juridicum unter dem Titel „#MeToo – wie hilft das Recht?“ nach.
Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der Wiener Gleichbehandlungsanwaltschaft, erklärte in ihrem Eröffnungsstatement, dass das Hauptproblem bei Belästigungen und Übergriffen am Arbeitsplatz die einschüchternde Arbeitsumwelt sei: In der Regel würden die Täter ein bestehendes deutliches Machtgefälle ausnutzen. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft habe die Aufgabe, in Fällen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Hilfestellung zu bieten. Das 2004 in Kraft getretene „Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft“ gebe dabei die Möglichkeit zu einer großen Differenzierung der Sanktionsmaßnahmen – und auch die Chance, weniger schwerwiegende Konflikte auf unauffällige Art zu lösen, ohne dabei öffentliches Interesse zu erregen.
Michaela Windisch-Graetz vom Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität erklärte, das Gleichbehandlungsgesetz solle Rechtsschutz in der Arbeitswelt bieten. Es sei betont niedrigschwellig angelegt: Auf der Grundlage dieses Gesetzes könnten etwa bereits anzügliche Witze oder ein Nachpfeifen sanktioniert werden – beim Strafrecht liege diese Schwelle sehr viel höher. Das Gleichbehandlungsgesetz gestehe Opfern Schadenersatzansprüche bei einem Fehlverhalten eines Betriebsangehörigen zu, aber auch bei Fehlverhalten eines Kunden der Firma, sofern der Arbeitgeber davon Kenntnis erhalte und nicht dagegen einschreite, was vor allem die Gastronomie betreffe.
Für den Beleg eines Fehlverhaltens gelte ein „herabgesetztes Beweismaß“: Anders als im Strafrecht sei eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“, dass die Tat stattgefunden hat, ausreichend.
Chris Karl, Forensische Psychologin, thematisierte sexuelle Übergriffe im Sport, wie sie etwa durch die Vorwürfe der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg1 in die öffentliche Diskussion gekommen sind.
Potenzielle Täter suchten sich absichtlich den Bereich Sport aus, weil die spezifischen Gegebenheiten, wie etwa gemeinsame Trainingsaufenthalte, es ihnen hier besonders leicht machen, sich insbesondere Kindern sexuell zu nähern. Dabei ereignen sich die Übergriffe aber nicht plötzlich; vielmehr bauen die Täter zumeist über einen längeren Zeitraum ein Vertrauensverhältnis zu ihrem späteren Opfer, aber auch zu dessen Eltern auf. Dieser Prozess, „Grooming“ genannt, ziehe sich oft über Jahre hin und werde von den Tätern systematisch und planvoll durchgeführt. Wenn es dann, meistens erst sehr spät, zum eigentlichen sexuellen Übergriff komme, sei der Täter oft schon dabei, sein nächstes Opfer „vorzubereiten“.
Die rechtliche Problematik liege darin, dass erst der tatsächliche sexuelle Missbrauch strafbar sei, der vorangehende langfristige Annäherungsprozess strafrechtlich jedoch nicht geahndet werden könne. Das Strafrecht könne hier also erst eingreifen, wenn es im Grunde schon zu spät sei. Außerdem stünden die Opfer vor dem großen Problem, jemanden beschuldigen zu müssen, der als Trainer oft allgemein beliebt sei:
Niemand redet gerne über sexuelle Belästigung. Das fällt ja erwachsenen Frauen schon sehr schwer, und Kindern erst recht.
Auch Susanne Reindl-Krauskopf, Juristin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, wies darauf hin, dass das Strafrecht die Funktion einer „ultima ratio“ habe und daher nur bei schweren Verstößen eingesetzt werden könne. Sie kritisierte den erst 2016 in Kraft getretenen Paragraf 218 des Strafgesetzbuches, der ungewollte sexuell motivierte Berührungen unter Strafe stellt und daher als „Pograpschparagraf“ bekannt geworden ist: „Der Tatbestand ist hier viel zu vage formuliert.“ So sei beispielsweise nicht klar definiert, an welchen Körperbereichen eine Berührung noch zu tolerieren sei und an welchen nicht mehr. Die Hürden für eine Verurteilung seien viel zu hoch – und wenn es zwar zu einem Prozess, nicht aber zu einer Verurteilung komme, entstehe immer der Eindruck, dass der Täter nichts Illegales getan habe.
Nikolaus Forgó vom Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien sieht die #MeToo-Kampagne überwiegend positiv, weil sie auf ein Problem aufmerksam gemacht habe, das bis dahin kaum bekannt gewesen sei: „In den sozialen Medien liegt ein unglaubliches emanzipatorisches Potenzial.“
Im Internet seien Rechtsansprüche allerdings wegen der Internationalität und der verbreiteten Anonymität generell schwer durchzusetzen, der Opferschutz sei hier eine komplizierte Herausforderung. Das gelte allerdings auch für den umgekehrten Fall, also dann, wenn jemand unberechtigt eines Übergriffes beschuldigt werde: Die öffentliche Stigmatisierung als Sextäter sei für die Betroffenen ein sehr großes Problem, weil sie sich kaum abstellen lasse.
Angesprochen auf die Frage, ob die rechtlichen Mittel in der Praxis zu spät greifen würden, antwortet Ingrid Nikolay-Leitner von der Gleichbehandlungsanwaltschaft, dass bei Bekanntwerden sexueller Übergriffe in Unternehmen früher zumeist das Opfer aus der Abteilung oder dem Betrieb entfernt wurde. „Das gibt es heute nicht mehr, die Unternehmen setzen sich viel intensiver mit dem Problem auseinander.“
Die Psychologin Chris Karl sieht die Täter-Opfer-Umkehr auch im sportlichen Bereich als massives Problem an: „Die Sympathien sind immer beim Täter und nicht beim Opfer. Wenn man sich gegen einen Trainer auflehnt, gilt man als Nestbeschmutzer.“ Das führe dazu, dass Sportler Missbrauchsfälle fast immer erst dann öffentlich anprangern würden, wenn ihre aktive Karriere ohnehin bereits beendet sei. Immerhin habe sich das Problembewusstsein bei den Sportverbänden deutlich geändert. Diese versuchen heute, klare Regeln als Präventivmaßnahmen anzuwenden:
So gäbe es etwa ein Sechs-Augen-Prinzip, das heißt, Trainer und Sportler sollten nicht alleine miteinander sein. Alleine dies könne sehr viele Verdachtssituationen vermeiden und schütze so nicht nur potenzielle Opfer, sondern andererseits auch Trainer vor falschen Anschuldigungen.
Während der Diskussion wurde immer wieder betont, dass Gesetze gegen sexuelle Übergriffe zwar ein gutes Mittel seien, das Problem aber nicht alleine lösen könnten. Susanne Reindl-Krauskopf fasste es mit dem Satz zusammen: „Die Gesellschaft sollte erkennen, dass man nicht alle Probleme auf der rechtlichen Ebene lösen kann.“
Die aktuelle gesellschaftliche Diskussion wurde abschließend als positiv bewertet, etwa durch Michaela Windisch-Graetz: „‚#MeToo‘ kann Chancen bieten, die Machthierarchien, die letztlich der Grund für die Übergriffe sind, in Frage zu stellen.“ Ähnlich sieht es die Psychologin Chris Karl: „Jetzt besteht die Chance, Strukturen zu verändern.„
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1https://diepresse.com/home/sport/wintersport/5351798/Missbrauchsvorwuerfe_OeSV-setzt-auf-Expertenteams?from=suche.intern.portal
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00_VA-Sexuelle Übergriffe_Martin-Krake_CC-BY-SA4.0 | Martin Krake | CC BY-SA 4.0 |