Selbstheilung und Selbstzerstörung – Teil 2
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 4. 4. 2017
- Veranstalter
- Mini-Med Studium
- Ort
- Van-Swieten-Saal der Medizinischen Universität Wien
- Veranstaltungsart
- Vortrag
- Teilnehmer
- Univ.-Prof. Mag. Dr. Wilfried Ellmeier, Institut für Immunologie, MedUni Wien
- Ao. Univ.-Prof. Dr. Clemens Scheinecker, Universitätsklinik für Innere Medizin III, MedUni Wien/AKH Wien
- Univ.-Prof. DI Dr. Hannes Stockinger, Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie, MedUni Wien
Weiter geht es mit dem zweiten Teil des Vortrags über das Immunsystem. Professor Stockinger sprach gerade über die Möglichkeit von B- und T-Zellen, eine viel größere Antigenrezeptorvariabilität herzustellen, als es durch Keimbahndeterminierung möglich wäre.
Rekombination („Neuanordnung“) von Genstücken
Das Geheimnis diesbezüglich sei schließlich von Susumu Tonegawa (der 1987 den Nobelpreis für Medizin dafür erhielt) gelüftet worden. Er habe als Erster herausgefunden, dass Gene aus Genstücken neu zusammengesetzt („rekombiniert“) werden könnten. So sei es beispielsweise möglich, dass die T-Zelle 1 sich V-Segment 70 (Gensegment – von den V hätten wir 70) und J-Segment 2 (davon hätten wir 61) nehme, und daraus bekämen wir einen entsprechenden Antigenrezeptor (der z.B. gegen Polio wirksam ist). Analog nehme sich B-Zelle 2 wie in einem Zufallsgenerator ein Segment von V und J und bekomme dadurch einen völlig anderen Antigenrezeptor. Durch die Kombination verschiedener Genstücke sei es unseren B- und T-Zellen möglich, in der Größenordnung von 10.000 unterschiedlichen Antigenrezeptoren herzustellen. Die Gensegmente müssten jedoch auch vernäht werden, und diese Vernähung (sog. Verbindungsvielfalt) erfolge durch eine zufällige Selektion von Basen. Dadurch käme es zu einer praktisch unendlichen Möglichkeit, Erkennungsstrukturen (die Antigenrezeptoren) herzustellen. Für B-Zelle 3 sei es beispielsweise möglich, sich analog Zelle 1 V-Segment 70 und J-Segment 2 zu nehmen, aber durch eine andere Vernähung als Zelle 1 einen völlig anderen Antigenrezeptor zu bekommen.
Wenn nun eine Erkrankung naht…
Einzugreifen wäre dann therapeutisch z.B. durch ein Antibiotikum (dies führe zur Einbremsung des bakteriellen Wachstums), und evtl. bilde sich eine T-Zelle oder B-Zelle mit entsprechendem Antigenrezeptor für dieses Bakterium.
Bei bestehendem Antigenrezeptor gegen ein Bakterium führe die Induktion per dendritischer Zelle zum Wachstum einer T-Zelle/B-Zelle. Nun beginne ein Wettlauf zwischen dem Wachstum der eigenen Immunzelle und dem Bakterium. Daher sei der Verlauf auch abhängig von der Befallsmenge der Bakterien (in diesem Sinne: Bedeutung des Händewaschens bitte nicht vergessen!).
Dies sei auf die Generationszeit der B- und T-Zellen zurückzuführen (diese liege bei sechs Stunden; d.h. nach sechs Stunden teilten sie sich nach Induktion). Bei dieser Rate bestünden am Tag fünf somit bereits eine Mio. Immunzellen, am Tag acht um die vier Milliarden Zellen.
Gedächtniszellen
Während der Vermehrung würden auch Gedächtniszellen herangezüchtet. Nach Abtötung des Bakteriums müssten auch die meisten der Immunzellen wieder verschwinden, es müsse ja wieder Platz geschaffen werden.
Dies sei die „voraussehende Immunität“ – im Laufe des Lebens adaptierten wir an die Krankheitserreger, sodass wir geschützt seien. Dies könne im Rahmen des Antikörpertiters (-spiegels) abgelesen werden. Dieses Wissen sei notwendig in der Medizin für das Prinzip des Impfens. Dabei würden abgeschwächte oder Teile von Erregern zum Heranzüchten von Gedächtniszellen im Körper genutzt.
Kontrolle des Systems
Für die T-Zellen geschehe dies in der Thymusdrüse. Die Vorläuferzelle käme aus dem Knochenmark, wandere zur Thymusdrüse, wachse hier und beginne, ihren eigenen Antigenrezeptor zu zeigen (exprimieren). Diejenigen Zellen, deren Rezeptoren gegen körpereigene oder ungefährliche Bestandteile gerichtet seien, gingen in den Tod („Aptoptose“). Nur 2-3 % aller T-Zellen seien schließlich fähig, aus dem Thymus ins Blut zu wandern – diese seien dann aber nicht gegen das Selbst gerichtet. Fehlfunktionen beinhalteten z.B. Autoimmunkrankheiten (hier würde körpereigenes Gewebe als Nicht-Selbst attackiert) oder Krebs (verändertes Gewebe werde als Selbst toleriert).
Wie könne nun der Körper zwischen Gefährlich und Ungefährlich von außen unterscheiden? Es wird vermutet, dass dies im Magen-Darm-Trakt geschehe.
Das Personal an der Medizinischen Universität Wien sei diesbezüglich Weltspitze.
Wenn nun bekannt sei, welche Allergenantigene es gebe, so sei es auch möglich, bestimmte Zellen mit speziellem Antigenrezeptor zu erkennen und therapeutisch zu eliminieren. Die Selbstantigene würden noch in geringerem Maße verstanden, es gäbe jedoch bereits vorzügliche Therapieschemata, die in weiterer Folge von Prof. Scheinecker vorgestellt werden sollten.
Therapeutische Möglichkeiten bei Autoimmunkrankheiten
Prof. Clemens Scheinecker referierte als letzter Vortragender des Abends über die therapeutischen Möglichkeiten bei krankmachendem Immunsystem. Wie bereits erwähnt käme es – wenn sich der Körper gegen sich selbst richte – zu Autoimmunkrankheiten. Paul Ehrlich sei einer der Ersten gewesen, der erkannt habe, dass das Immunsystem auch krank machen könne, und habe diese Erkrankungen als „Horror autotoxicus“ bezeichnet.
Ein in diesem Zusammenhang bereits sehr lange verwendetes und bekanntes Medikament sei Cortison. Dabei handele es sich um ein körpereigenes Hormon der Nebennieren, das 1935 entdeckt und 1948 erstmals mit durchschlagendem Erfolg eingesetzt worden sei. Nach wie vor handele es sich um einen Meilenstein der pharmakologischen Geschichte. Dennoch könnten die Nebenwirkungen insbesondere bei längerer Einnahme sehr unangenehm sein.
Das stärkste derzeit bekannte Immunsuppressivum sei Cyclophosphamid, welches auch als Chemotherapeutikum eingesetzt werde. Auch durch dieses Medikament könne es zu starken unerwünschten Nebenwirkungen kommen.
Diese Medikamente sein vor ca. 20 Jahren entwickelt worden – die sogenannten „Biologika“. Diese könnten die Entzündungsbotenstoffe („Zytokine“; siehe Artikel 1) ausschalten, die Aktivierung von Immunzellen blockieren, ganze Zellpopulationen (z.B. die B-Zellpopulation) aus dem System eliminieren oder aber Signalwege innerhalb der Zellen blockieren.
Wichtig sei zudem zu sagen, dass diese Medikamente aus der Grundlagenforschung über Tierversuche erforscht worden seien, um schließlich therapeutisch am Menschen angewendet zu werden („from bench to bedside“). Natürlich gebe es innerhalb der Biologika auch Nebenwirkungen, die jedoch typischerweise nicht so intensiv seien wie bei den älteren Medikamenten (Probleme gäbe es jedoch insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Unter den zehn weltweit meistverkauften Medikamenten lägen mittlerweile vier Biologika (insbesondere aus dem Rheumatologie-/Hämatologie-Bereich). Nicht zu vergessen seien jedoch die hohen Therapiekosten.
Der sehr spannende Vortrag zog an diesem Abend ein großes Publikum an, das anschließend noch einige Fragen an die Professoren hatte. Dies unterstreicht – trotz des streckenweise nicht ganz unkomplizierten Themas – die große Bedeutung und das Interesse an der Immunologie im Alltag.