Resettlement – geordnete Hilfe für Menschen in Not
Man stelle sich vor: ein Politiker, der sich für das Kanzleramt bewirbt, geht mit dem Versprechen in die Wahl, daß er, sollte er gewählt werden, im Zuge eines Resettlement-Programms 25.000 Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen wird. Und – er gewinnt die Wahl. So geschehen im November 2015 in Kanada. Natürlich hat der Liberale Justin Trudeau auch andere Versprechen abgegeben, dennoch ist es gerade aus der Sicht eines Europäers erstaunlich, daß man mit so einem Slogan politisch reüssieren kann. Und Trudeau hat geliefert (mit ein bißchen Verzögerung) – und will die Zahl bis Ende 2016 sogar verdoppeln.
Definition und Anspruch
Der Begriff Resettlement bezeichnet die dauerhafte Neuansiedlung von Flüchtlingen in einem Drittstaat, der ihnen den Flüchtlingsstatus gewährt und ihnen Integrationsmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Voraussetzung für dieses Programm ist, daß der Flüchtling auf absehbare Zeit keine Chance auf Rückkehr in sein Heimatland hat und daß er im Ersatzzufluchtsort (zB Türkei) weiterhin bedroht ist oder keine Aussicht auf ein würdiges Leben hat.
Grundsätzlich obliegt die Organisation der Resettlement-Programme dem UNHCR, welches jährlich eine Konferenz (ATCR) der beteiligten Staaten zum Informationsaustausch abhält.
Resettlement in Österreich – vorhanden, aber kaum angewendet
Seit einigen Jahren verfügt auch Österreich über ein Resettlementprogramm. Die EU beschloß im März 2012 eine gemeinsame Initiative und unterstützt die Mitgliedsstaaten finanziell dabei. Dennoch wurde bisher davon wenig Gebrauch gemacht. 2013 beschloß Österreich, 500 syrische Flüchtlinge (in Anlehnung an die 5000, die Deutschland angekündigt hatte) über dieses Programm aufzunehmen. Die Zahl wurde ein Jahr danach auf 1500 erhöht. Bis Mitte 2015 (also vor der Flüchtlingskrise) waren davon aber in zwei Jahren nur 780 Plätze belegt worden, was an Verzögerungen durch türkische und österreichische Behörden lag. Angesichts der sich danach entwickelnden Flüchtlingskrise wurde davon Abstand genommen, das angestrebte Ziel zu erreichen.
Einwanderungsland Kanada
Kanada ist der Flächenstaat mit der höchsten Immigrationsrate weltweit. In Toronto sind mehr als die Hälfte der dort lebenden Bevölkerung Einwanderer, ebenso im Bundesstaat Ontario. Pro Jahr nimmt Kanada Immigraten iHv knapp unter einem Prozent der Gesamtbevölkerung auf (was umgelegt nicht weit unter dem Flüchtlingszustrom nach Österreich und Deutschland im Jahr 2015 liegt). Das Land hat sich immer schon als Einwanderungsland verstanden und deshalb auch Erfahrungen im Umgang mit Integration und deren Problemen gesammelt. Bereits nach drei Jahren kann man, wenn man die Voraussetzungen erfüllt, die kanadische Staatsbürgerschaft erlangen. Der Bürgermeister von Calgary war der erste muslimische Amtsinhaber einer größeren Stadt auf dem nordamerikanischen Kontinent. Über 80 Prozent der Kanadier befürworten Einwanderung. Es gibt transparente und damit für jeden nachvollziehbare Regeln. In Deutschland fehlt dank der langjährigen Weigerung der CDU/CSU bisher ein solches Einwanderungsgesetz, doch soll es nun 2017 kommen. Dann werden Fälle, wie die einer marokkanischen Biologin mit Doktortitel, vielleicht der Vergangenheit angehören.
Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, nach Kanada „einzuwandern“:
Am Schnellsten geht es über den Weg der Familienzusammenführung mit bereits im Land lebenden Angehörigen, solange diese für den Neuankömmling bürgen und über ein regelmäßiges Einkommen verfügen.
Als Wirtschaftsmigranten – hier entweder über das 1967 eingeführte und erst kürzlich reformierte Punktesystem (siehe Grafik), oder über die Skilled worker-Regelung (die für 29 ausgesuchte Berufsgruppen gilt) oder als zeitlich (meist auf nur drei bis sechs Monate) begrenzte Gastarbeiter. Letztere sind nach dem Abflauen des letzten Wirtschaftsbooms allerdings nicht mehr allzu gerne gesehen. Die Konzentration auf besser gebildete Zuwanderer führt mittlerweile zu dem Problem, daß Arbeitsplätze für Akademiker äußerst rar geworden sind. Das Punktesystem ist flexibel genug, um es über die Jahre immer wieder den gegebenen Notwendigkeiten anzupassen.
Flüchtlinge machen zwischen zehn und zwanzig Prozent der jährlichen Zuwanderung aus. Seit 1945 hat das Land mehr als 800.000 Flüchtlinge aufgenommen. Der Großteil wird heutzutage über das Resettlement-Programm des UNHCR abgearbeitet. Bei illegaler Einwanderung greifen die Kanadier hart durch. Für die Menschen, die sie meist auf Staatskosten direkt aus Ländern wie der Türkei oder Jordanien ins Land holen, bieten sie eine langfristige Lebensgrundlage. Dabei sind sie wählerisch und nehmen aktuell bevorzugt Familien, Frauen, Kinder und ob ihrer sexuellen Ausrichtung verfolgte Menschen auf, was bereits zu Kritik geführt hat: die jungen Männer bleiben zurück und sind dann für Radikalsierungsideologien anfällig.
Der kanadische Resettlement-Plan
Von der Auswahl bis zur Niederlassung durchlaufen die Flüchtlinge einen Prozeß mit fünf Phasen:
*) Gemeinsam mit dem UNHCR werden gefährdete Personen mit geringem Sicherheitsrisiko ausgewählt, per SMS verständigt und – sofern sie dem Resettlement zustimmen – ihre Daten aufgenommen. Flüchtlinge im Libanon und Jordanien stehen im Mittelpunkt.
*) Etwa 500 Beamte werden zur Bearbeitung der Visa-Anträge und zu persönlichen Interviews in den Nahen Osten geschickt. Die Gesundheitsuntersuchung und die Sicherheitsüberprüfung (inkl. biometrischer Daten) werden in Übersee durchgeführt.
*) Nach Ausstellung des permanenten Aufenthaltstitels werden die Immigranten mittels gecharterter Flugzeuge nach Kanada gebracht, und zwar nach Montreal und Toronto.
*) Bei Ankunft wird nochmals die Identität sowie der Gesundheitsstatus überprüft. Diejenigen, die von privaten Trägern untergebracht werden, werden sofort weitergeleitet. Bei den staatlich versorgten Personen wird abgeklärt, ob sie schon Verwandte in Kanada haben und wo es aktuell Kapazitäten im Schul- und Wohnbereich gibt.
*) Im letzten Schritt geht es um die Integration der Neuankömmlinge. Unterstützung, die von Anfang an gewährt wird, enthält: „orientation to life in Canada, access to healthcare, permanent housing, counselling, language services, schooling and other federal, provincial, territorial and municipal support services.” Ein enges Netz an Organisationen hilft vor allem die schwierige Eingewöhnungsphase zu meistern und die Flüchtlinge mit ihrer neuen Umgebung vertraut zu machen.
Die Zivilgesellschaft ist von Anfang an in diesen Prozeß eingebunden, jeder Kanadier kann sich an verschiedensten Stellen beteiligen. Sowohl staatliche, wie auch private Organisationen managen die Verteilung der Flüchtlinge über das Land. Es gibt einen detaillierten Plan, wieviele Flüchtlinge welcher Gemeinde zugeteilt werden. Gemeinden konnten sich freiwillig melden, es gab ein Überangebot an Plätzen, auch wenn in einem Zwischenschritt Militärbasen als Übergangslösung herhalten mußten.
Ähnlichkeiten zu Europa
Wie in Europa so ist auch die Bevölkerung Kanadas beim Thema Flüchtlinge geteilter Meinung (siehe podcast), vor allem deshalb, weil der Zeitplan der Regierung ziemlich knapp bemessen ist (die Hälfte der Kritiker sieht hier das Hauptprobleme). Da und dort kommt es auch zu Problemen, allerdings nicht vergleichbar zum Ausmaß zB in Deutschland (brennende Asylantenheime, Vorfälle der kölner Silvesternacht). Die nachvollziehbaren Sorgen der einheimischen Bevölkerung bezüglich Jobs und Wohnraum werden (mit mehr Gelassenheit als in der europäischen Diskussion) adressiert, Falschinformationen korrigiert.
Kanada war bisher an der Seite der USA an den Luftschlägen gegen den IS beteiligt, will sich in Zukunft aber davon zurückziehen und den Fokus auf die Ausbildung von Kämpfern vor Ort legen – ein umstrittener Schritt der neuen Regierung. Ob dieser Beteiligung stand das Land vereinzelt im Fadenkreuz der Islamisten, es kam zu Anschlägen radikalisierter Muslime und Stimmen warnen vor der potenziellen Gefahr durch Flüchtlinge und den wahabitischen Einfluß auf die muslimische Gemeinde Kanadas.
Der Unterschied liegt in Einstellung und Erfahrung
Also doch alles so wie bei uns ? Nicht ganz.
Im Großen und Ganzen funktioniert der Multikulturalismus in Kanada. Und zwar deshalb, weil sich die Nation immer als multikulturelles Sammelbecken verstanden hat. In Europa wollen viele Deutsche Deutsche bleiben, viele Franzosen Franzosen, es soll keine größeren kulturellen Veränderungen geben. Da ist die Gefahr natürlich hoch, daß man Neuankömmlinge schnell ausgrenzt. Was passiert, wenn man Einwanderer sich selbst überläßt und sich über die Jahrzehnte Parallelgesellschaften und Ghettos bilden (sowas passiert ja nicht von heute auf morgen), kann man in vielen Ländern Europas ablesen. Ohne Brücken funktioniert keine Integration. Diese können – ja müssen – gerne mit Forderungen an Immigranten und Flüchtlinge verknüpft sein. Das Angebot zur Integration muß aber auch ehrlich gemeint und transparent nachvollziehbar sein. Und das ist es in den meisten europäischen Ländern nicht, wie die letzten Jahrzehnte zeigen.
Der offensichtlichste Vorteil Kanadas gegenüber Europa ist, daß es auf Grund der Entfernung zu allen Krisenherden der Welt kaum ungewollte Einwanderung erlebt. Das macht das Management der Zuwanderer um Vieles einfacher. Dennoch hatte man in der Vergangenheit schon sehr große Flüchtlingsströme zu bewältigen (Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert) und daraus seine Lehren gezogen. Man hat sich klare Regeln gegeben, dabei aber nie auf den humanitären Aspekt vergessen. Europa war auf den Flüchtlingsstrom 2015 nicht vorbereitet – lange hat man erfolgreich ignoriert, was sich in den Jahren davor in Italien und Griechenland abgespielt hat. Trotz zahlreicher Warnungen hat man die Ausmaße des Flüchtlingsstroms massiv unterschätzt und die dafür notwendigen gesetzlichen und organisatorischen Maßnahmen verschlafen. Einwanderung und ihr Management wird wahrscheinlich (neben dem Klimawandel) das bestimmende Thema der nächsten Jahrzehnte für einen demographisch schrumpfenden Kontinent. Es wird Zeit, diese Tatsache zu akzeptieren und Vorbereitungen dafür zu treffen, und zwar auf europäischer Ebene und darüber hinaus. Mauern und Kriegsschiffe alleine werden nicht die Lösung sein, ebenso wenig wie der Traum von der Insel der Seligen. Nationalstaatliche Lösungen mögen kurzfristig erfolgversprechend erscheinen, langfristig werden sie ebenso scheitern wie bei anderen großen Themen unserer Zeit.
Kanada zeigt, wie man mit klar kommunizierten Regeln Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik betreibt. In der EU war es bislang nicht einmal möglich, um Asyl anzusuchen, ohne zuvor illegal in ein EU-Land eingereist zu sein. Dieser Mißstand wird wohl in den nächsten Monaten behoben. Wenn man es dann auf europäischer Ebene auch noch schafft, ein strukturiertes Resettlement-Programm zu verfassen, das man den Flüchtlingen gegenüber auch kommuniziert – inklusive aller Rechte, aber auch aller Pflichten – wird man zukünftige Flüchtlingsbewegungen vielleicht besser in den Griff bekommen, als es 2015 der Fall war.
Credits
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immigration-stats-by-visa-category | Michael Hössinger | CC BY-ND 4.0 | |
canada resettlement | Dominic Santiago | CC BY-SA 2.0 |