Radikalisierter Konservatismus
In dieser BSA-Onlinediskussionsrunde vom 18. Januar 2022 stellen sich der Journalist und Sozialwissenschafter Sebastian Friedrich, die Autorin und Sozialwissenschafterin Natascha Strobl und der Jurist und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde sowie ehemaliger Generalsekretär der CDU Ruprecht Polenz unter der Leitung von Maximilian Eberl vom BSA Döbling der Frage „Warum befinden sich traditionsreiche Mitte-Rechts-Parteien im Niedergang bzw. zumindest in einer Zwickmühle?“.
Natascha Strobl betrachtet Konservatismus aus der Sicht der Parteipolitik. Die staatstragende Komponente der konservativen Parteien habe sich in gewisser Weise in Richtung Übernahme der Kulturkampfagende radikalisiert.
Für Rupert Polenz ist Konservatismus ein Denkstil, der als Gegenentwurf zur französischen Revolution entstanden ist und dafür Sorge trägt, dass Veränderungen nicht radikal bzw. terroristisch passieren. Der Mensch ist in seiner Ambivalenz zu betrachten, dem Menschen ist alles zuzutrauen, politisch ist zu gewährleisten, dass seine guten Eigenschaften gestärkt und die schlechten zurückgedrängt werden. Ebenso ist die Besonnenheit ein wichtiger Bestandteil konservativen Denkens. Zum Rechtspopulisten grenzen sich Konservative durch ihre Sprache ab, es gebe kein dort verankertes Freund-Feind-Schema.
Für Sebastian Friedrich ist ein Abbremsen des gesellschaftlichen Fortschritts und der Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität Teil des Konservatismus. Im Zweifel positioniert man sich auf der Seite des Kapitals und nicht auf der Seite der Arbeit. Ein Teil der Konservativen verabschiedet sich von der Aufgabe, im Zweifel den Staat zu schützen. Reaktionäres und Konservatives überschneiden sich zum Teil.
Für Polenz ist die Globalisierung ein wichtiger Bestandteil der Unterscheidung zwischen Konservativen und Rechten, die bei Letzteren auf Zuwanderung reduziert ist. Auch im „linken Lager“ gebe es keine gelungene Antwort auf dieses Phänomen.
Natascha Strobl ergänzt diese Ausführungen um den Unterschied beim Umgang mit Krisen insgesamt wie etwa Wirtschaft, Klima, Pandemie, oder soziale und demokratische Krisen. Parlament und Regierungen hätten weniger Zustimmung als Polizei und Militär, aus diesem Potential schöpfe die Rechte. Das Angebot für eine Zukunft ist ein hierarchisches, völkisches und autoritäres. Auch der Kulturkampf werde als Lösungsangebot verstanden. Und hier docken eben zunehmend Konservative an.
Sebastian Friedrich sieht vor allem eine Krise des Kapitalismus, die sich schon seit den 80er-Jahren abzeichnet. Hier seien das stagnierende Wachstum einerseits und die Abstiegsangst andererseits Phänomene dieser Situation. Daraus kam es zur Erosion der Einstellungen und der Zustimmung zur Demokratie. Aber auch die gesellschaftliche und politische Linke seien in einer Krise, das Alte stirbt, das Neue ist noch nicht zur Welt gekommen.
In der weiteren Diskussion wird über die zunehmende Wichtigkeit von Führungspersönlichkeiten gesprochen, die dem radikalen Konservatismus zu eigen sind. Dazu geben die Teilnehmenden auch eine Einschätzung zum österreichischen Phänomen Sebastian Kurz, der für sich das Recht in Anspruch genommen hat, die Strukturen, aber auch die Kandidaten quasi von oben herab zu bestimmen. Damit entstand aus Sicht von Strobl eine Wendung der Loyalität von der Partei hin zur Person des Parteiobmanns. Vergleichbar sei auch die Vorgangsweise von Donald Trump und Boris Johnson. Der engste Kreis, etwa Freunde und Familie, bestimmt, ist aber nicht demokratisch legitimiert. Für Friedrich bestehe die Gefahr, wenn man sich ausschließlich mit Persönlichkeiten beschäftige, dass man die gesellschaftlichen Probleme und die rechtsradikalen Phänomene übersehe. In der deutschen CDU wäre eine derartige Vorgangsweise wie die von Kurz nicht denkbar, meint Polenz. Auch die Geringschätzung von wichtigen gesellschaftstragenden Institutionen sei so in Deutschland aus seiner Sicht nicht möglich.
Ebenso thematisiert wird die „Medien-Krise“, insbesondere ein möglicher Vorschub des radikalen Konservatismus durch die sozialen Medien, wie es Donald Trump vorexerziert hat.
Einig ist man sich, dass man qualifizierten Journalismus brauche. Natascha Strobl betont, dass es auch eine negative Aufmerksamkeit gebe, die von den klassischen Medien befördert werde. Es gelte den Journalisten gute Arbeitsbedingungen zu bieten, ebenso finanzielle Abhängigkeiten und die „Verhaberung“ zwischen Journalisten und Politikern zu beseitigen.
Die Lösung liegt für Friedrich darin, die soziale Frage zu lösen, das sieht auch Strobl so. Und hier seien die linken Parteien gefordert, ihre Rolle zu reflektieren und dann Grundsätzliches zu entwerfen und sich nicht vom Alltäglichen vor sich her treiben zu lassen. Polenz sieht die Konservativen in der Verantwortung für eine klare Abgrenzung zu den Rechten, den diese seien historisch gesehen immer durch die Unterstützung von Konservativen an die Macht gekommen. Zudem sollten die politischen Mitbewerber die Konservativen nicht in die rechte Ecke drängen.
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