Prof. Dr. Michael Meyen – Die Zukunft des Journalismus: Warum wir eine Medienrevolution brauchen
Erster Redner der Nachmittagssession am ersten Tag der Zukunftskonferenz 2021 ist der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Michael Meyen.
Die moderne Medienwissenschaft ist von den Geheimdiensten der USA im zweiten Weltkrieg entwickelt worden. Ziel war, Inhalte an die Menschen zu bringen, und diese Inhalte so zu positionieren, dass sie nicht falsch verstanden oder ihre Aussage manipuliert werden konnten. Kommunikative Gleichheit komme in diesem Denken nicht vor.
Herrschaft werde heute über die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu definieren, ausgeübt, meint der Soziologe Ulrich Beck. Leitmedien haben eine solche Definitionsmacht: an/in ihnen lässt sich erkennen, wer es schafft, seine Themen zu platzieren – und seine jeweiligen Perspektiven auf diese Themen. Laut Niklas Luhmann sei die Aufgabe der Leitmedien, das Gedächtnis der Gesellschaft zu füllen: jeder Mensch kann davon ausgehen, dass alle anderen Mitglieder der Gesellschaft wissen, was in dem gemeinsamen Gedächtnis gespeichert ist. Entsprechend verhalten wir uns im Zweifel konform zu diesen Inhalten, um kein Ansehen zu verlieren oder sich Kritik auszusetzen. Leitmedien sagen uns, was ist, und was sein darf. Sie werden dort wahrgenommen, wo Entscheidungen getroffen werden.
Journalismus hat den Auftrag, Öffentlichkeit für die brennenden Themen herzustellen, damit in der Gesellschaft darüber diskutiert werden kann. Dieses Journalismus-Ideal wird selten erreicht, denn zumeist werden Meinungen vermittelt, anstatt unterschiedliche Standpunkte, über die die Gesellschaft diskutieren könnte, um sich danach für eine Lösung zu entscheiden.
Der stetige Rückgang des Werbevolumens der Privatwirtschaft in diversen Medien wird vor allem durch staatliche Ausgaben ausgeglichen – verstärkt in der Corona-Pandemie.
Die zunehmende Profitorientierung der Medienunternehmen führt einerseits zu einem Verhalten, das Rainer Mausfeld als „Tamtam und Tabu“ bezeichnet; andererseits wird mit Angst und Sensationen Profit gemacht – inklusive des Bashings von Abweichlern. Meyen bringt diverse Beispiele aus Ost- wie Westdeutschland.
Nicht selten ist zu beobachten, dass Korrespondenten großer Medien, die Kosten einsparen müssen, von der Politik als Pressesprecher abgeworben werden. Zum Vergleich: Das Bundespresseinformationsamt in Berlin beschäftigt 450 Menschen, während die renommierte Süddeutsche Zeitung insgesamt nur noch knapp 500 Beschäftigte aufweist. Auch das führt zu einer immer engeren Verknüpfung von Politik- und Medieneliten: die sogenannte Verantwortungsverschwörung (Uwe Krüger) besagt, dass Journalisten, die viel mit Politikern verkehren, glauben zu wissen, was verantwortungsvoll und richtig ist; sie wissen auch, welchen Einfluss sie ausüben – und diesen Einfluss nutzen sie, um die Berichterstattung entsprechend ihren Einstellungen umzufärben.
Im Folgenden propagiert Prof. Meyen eine Medienrevolution: die Besitzverhältnisse müssen sich ändern, die Ausbildung der Journalisten darf nicht nur in jeweiligen Medienunternehmen erfolgen, der Berufszugang darf nicht nur Mittelschichtkindern offenstehen, wie es in der Realität der Fall ist. Arbeitsverträge müssen einen gewissen Kündigungsschutz enthalten; Transparenz und Vielfalt – und nicht die unerreichbare und unmessbare Objektivität – sollten als Qualitätskriterien festgelegt werden. Medienkritik sollte institutionalisiert werden; Publikumsräte sollten die öffentlich-rechtlichen Medien kontrollieren und Posten besetzen – und nicht die Politik.
Wie man so ein neues Mediensystem finanzieren könnte, wie man Gehaltsgerechtigkeit in den Medien erreichen könnte sind die abschließenden Punkte von Prof. Meyens Vortrag.
Das Motto der Zukunftskonferenz 2021: Für die Beendigung der Profit-Maximierung und eine radikale Grunderneuerung der Gesellschaft: ethisch, sozial, ökologisch, ökonomisch und politisch – Weil es anders geht!
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