Praktizierter Hedonismus in der iranischen Hauptstadt
Da Ali Soozandehs kritisches „Teheran Tabu“ derzeit in den Kinos in Deutschland und Österreich läuft, verspürte ich den Drang, die lange Liste der Missstände im Film auszugleichen und zur Abwechslung mal über die hellen und lichten Seiten der iranischen Hauptstadt zu sprechen.
Zunächst ein Geständnis: Ich bin ein großer (nicht objektiver) Fan von Teheran geworden. Ich liebe seine überfüllten, überlasteten und schmutzigen Alleen. Ich liebe die phlegmatische Art und Weise, wie Teheranis mehrmals am Tag dem Tode trotzen, wenn sie die Straße überqueren oder wenn sie sich kletternd an einem fahrenden Stadtbus hinaufschwingen. Vor allem aber liebe ich die verschiedenen Arten, wie die Bewohner dieser riesigen Metropole die Kunst eines täglichen und subtilen Hedonismus praktizieren.
Vor einigen Wochen, als ich nach einem 15-tägigen Aufenthalt in Teheran nach Wien zurückkam, bin ich zur österreichischen Premiere von Ali Soozandehs Animationsfilms „Teheran Tabu“ gegangen. Ich war natürlich auf diesen Film äußerst neugierig, nicht nur wegen seiner Story (der Kampf dreier Frauen in Teheran um ihr Existenz, ihre Freiheit und ihre Zukunft), sondern auch weil der Film ausschließlich in Wien gedreht und produziert wurde (mit Hilfe der Rotoscopie-Technik) und weil der bekannte Martin Gschlacht (auf dessen Namen ich dank Shirin Neshats „Women without men“ aufmerksam worden war) auf den Film kollaboriert hat.
Als ich aber nach dem Film das Kino der Währiger Straße verließ, war ich verwirrt. Meine Gefühle hätten mit diesen beiden Worten zusammengefasst werden können: „Ja, aber …„.
Ja, Teherans psychotische Dualität und seine zweideutige „sogenannte“ sexuelle Moral kann einen auf lange Sicht wirklich verrückt machen, oder aber schizophren oder zumindest paranoid. Ja, die Stadt ist von Rekordzahlen an Verschmutzungsspitzen geplagt mit ungeheuerlichen und schockierenden Ungleichheiten zwischen den sozialen Schichten, zwischen den wohlhabenden Boulevards des Nordens und den Vororten des Südens.
Ja, aber …
Teheran bedeutet auch: der landschaftliche Blick auf die umliegenden Alborz-Berge, die einzigartige Atmosphäre in den Basaren, die Kunstgalerien, die Museen und eine ständig wachsende Zahl von Orten, an denen die Zeit stillsteht. Geschäfte, Cafés, Parks, Plätze … Orte der Schönheit und des hedonistischen Vergnügens. Hier zeige ich nun eine (zum Glück nicht erschöpfende und ständig wachsende) kleine Auswahl meiner Lieblingsorte in der iranischen Hauptstadt.
Eine letzte Sache noch vor Beginn der Tour: Alles, was du brauchst, um dich zurechtzufinden, sind Google Maps (und keine wirkliche Karte, die man ja sowieso nicht lesen kann), ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr (billig und so einfach zu benutzen) und dein verwirrtes kharedji-Aussehen (persisch für „Ausländer„), das oft vergnügte Blicke, ein Lächeln, Gelegenheiten für einen Smalltalk auf der Straße und Hilfe aus jeder kniffligen Reisesituation hervorruft.
Die Tabi’at Brücke
Denkst du, Teheran hat wenig zu bieten, wenn es um avantgardistische Stadtarchitektur geht? Dann schaue dir mal die Tabi’at Bridge an und bedaure den Mangel an Fantasie in deiner eigenen Heimatstadt (Habe ich erwähnt, dass ich Französin bin?). Mit Blick auf den großen Modarres Highway ist die Tabi’at Bridge nicht nur eine Brücke. In seinem unteren Teil beherbergt dieses moderne Bauwerk zwischen seinen Pfeilern eine Vielzahl von Restaurants und Cafés. Der obere Teil ist als Fußgängerpromenade konzipiert und verbindet zwei Grünflächen der Hauptstadt. Am besten besuchst du es bei Sonnenuntergang, um es von seiner besten Seite zu genießen.
Tajrish (Metro, Basar & Platz)
Wenn du nur ein paar Tage in Teheran bleibst, wirst du wahrscheinlich in Betracht ziehen, im südlichen Teil zu verbleiben, der nämlich näher an den meisten Touristenattraktionen liegt. Ein großer Fehler (nur meiner Meinung nach!): Es gibt in der Tat viele Gründe, die nördlichen Bezirke, insbesondere Tajrish, zu präferieren; auf dem Platz Tajrish, einem der belebtesten Plätze der Hauptstadt, findest du alles, was dein Herz, dein Magen und deine Augen begehren.
Ein erster und klassischer Grund, um nach Tajrish zu kommen: die typische safawidische Architektur der Moschee von Imamzadeh Saleh zu bewundern.
Dann natürlich: der Basar.
Bazaar-e Tajrish ist der zweitwichtigste Basar in Teheran, und seine Architektur ist definitiv ansprechender als die des Großen Bazaars. Gehe morgens dorthin, um gemeinsam mit den Einheimischen Früchte und Gemüse einzukaufen und um ein Gläschen Tee in einem der winzigen čaykhuneh zu trinken, die unter den Gewölben des Basars untergebracht sind.
An der nördlichen Ecke des Platzes kann man das langweilige Gebäude des Arg Centers nicht übersehen, ein luxuriöses Einkaufszentrum, dessen Brennpunkt die schattige Terrasse des Café Florian ist – und einer der ruhigsten und hedonistischsten Plätze in der Nachbarschaft ist, von dem aus man die Aussicht auf das Alborzgebirge genießen kann. Das ist die Art von Versteck, nach der man Ausschau halten sollte, wenn Teheran zu überwältigend wird (und das wird es auch mit Sicherheit).
Ein weiterer Vorteil des Meydan-e Tajrish ist, dass man von dort aus leicht mehrere wichtige Orte erreichen kann.
So kann man von Tajrish mit der U-Bahn die Reise fortsetzen oder sich in Richtung Süden bewegen und die Vali Asr Avenue hinunterwandern. Sie führt zum Bahnhof im Süden und ist die längste Straße in Teheran (vielleicht möchtest du nicht alle 19,3 Kilometer zu Fuß gehen). Lebendig, geschäftig und von Bäumen gesäumt ist der nördliche Teil der Vali Asr Avenue mit Cafés, Restaurants und Shops aller Art. Einer meiner Favoriten ist die Ladan Confiserie an der Ecke des Platzes Tajrish mit ihren köstlichen Safran-Backwaren und ihrem Teesortiment (meine Lieblingssorte ist und bleibt die mit Zimt, Rosenblättern und Safran…).
Wir steigen am Platz in den Expressbus Nr. 7 und fahren ca. 14 km Richtung Süden.
Nächste Haltestelle: Meydan-e Vali Asr.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen