„Politische Korrektheit“ – sprachpolitische Einflussnahme

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Meinung

Jede Gesellschaft und jede Zeit hat ihre Art der sprachlichen Mitteilung, und wechselseitig beeinflussen einander gesellschaftliches Bewusstsein, gesellschaftliche Realität und die dominanten Sprachstrukturen und -bestände. Das sind Phänomenzusammenhänge, die besonders deutlich in Zeiten bewusster sprachpolitischer Beeinflussung der Gesellschaft zutage treten.

Hier kann man, um auf Extremfälle zu referieren, auf die bekannte Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reichs verweisen, die Victor Klemperer analysierte; ebenso auch, auf literarischer Ebene, auf das sogenannte Neusprech, das den Bürgern des totalitären Staates in George Orwells dystopischem Roman 1984 zu sprechen auferlegt wird – mit dem Hintergrund, durch eine Reduktion des Sprachvermögens auch das Denkvermögen zu beschränken.

Auch eine intentional eher positiv gemeinte Einflussnahme kann, wenn sie ideologisch und dogmatisch wird, zu großen Missständen führen, wie wir am Ende unseres zweiten Artikels über „Politische Korrektheit“ bereits ansatzweise sehen konnten – im fünften Artikel werden wir dies weiterführen.

Zunächst aber wollen wir in Anschluss an unseren ersten Artikel („Politische Korrektheit“ – Sprache und Gesellschaft), in dem wir erläuterten, wie Sprache entsteht und wie Sprache und Gesellschaft miteinander in wechselwirksamer Verbindung stehen, Problemzusammenhänge aufzeigen der direkten sprachpolitischen Einflussnahme auf die Art und Weisen des Ausdrucks einer Sprachgemeinschaft. Denn es ist im Grunde durchaus verständlich, wenn ein Zusammenhang erkannt wird zwischen gesellschaftlichen Problemen und gesellschaftlichen Ausdrucksweisen, dass auch von möglichst beiden Seiten daran gebessert werden will. Das ist der Hintergrund der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die eine nunmehr gerechtere gesellschaftliche Realität auch abbilden oder sogar erst noch befördern wollen, beispielsweise die wechselnden Vorschläge für eine geschlechtergerechte Sprache.

Alleine dass eine allgemein befriedigende Lösung hierfür so schwer zu finden scheint, ist uns bereits ein Zeichen für die immanente (d.h. in der Sache selbst liegende) Schwierigkeit bewusster rationaler Einflussnahme auf die natürlich gewachsenen Sprach- und Ausdrucksbestände der Sprachgemeinschaften.

Der entscheidende Punkt nämlich ist ganz einfach der: die Annahme und Akzeptanz des jeweils neuen Ausdrucksvorschlags bei der breiten Masse der entsprechenden Sprachgemeinschaft.

Damit steht und fällt alle seine Wirksamkeit. Und zumeist, darf ich behaupten, wird bei den entsprechenden Vorschlägen ein entscheidendes Kriterium nicht hinreichend miteinbezogen. Nämlich der Fakt, dass eine Sprache ein über Jahrhunderte natürlich, d.h. gleichsam organisch gewachsenes Ganzes ist mit ihren je eigenen immanenten Gesetzlichkeiten, z.B. der Semantik, also der Bedeutung von Wörtern, oder der Syntax, d.h. der sinnvollen grammatischen Verbindungen dieser Wörter zu Sätzen.

Wenn nun ein Änderungsvorschlag für eine bestimmte Ausdrucksweise diesen inneren und vom Volk verinnerlichten Normen des Sprachsystems zu sehr widerstrebt, wird er automatisch Befremdung auslösen und Ablehnung, und das selbst, wenn der theoretische Hintergrund rational von den Ablehnenden verstanden wird.

Man wird einer Sprache etwas ihr innerlich Fremdes nicht einfach überstülpen können, und eine Nichtbeachtung dieser emotionalen als auch rationalen sprachinternen Beziehungen ist eine rationalistische, d.h. rational verkürzte Einseitigkeit, die im Grunde wieder selbst irrational ist: Denn sie bezieht nicht die ganze Wirklichkeit, sondern nur einen Teil der Wirklichkeit, den sie absolut setzt, in ihr Urteil und Handeln mit ein und erleidet so augenfällig eine Wirklichkeitsverzerrung.

Das ist der Hintergrund, wieso sich Deutschlehrer mithin gerne über die kursierenden „Leitfäden für gendergerechte Sprache“ lustig machen.1 Um es zu verdeutlichen, nehmen wir einige Beispiele: In den wenigsten Sprachen entsprechen das natürliche und grammatische Geschlecht einander auf substanzielle Weise, was beispielsweise im Wort „das Mädchen“ (grammatikalisch neutrum, natürlich feminin) augenfällig ist.

Wenn nun unsere Sprachkonventionen dazu geführt haben – und das sicher auch durch jahrtausendelanges Patriarchat -, dass die grammatikalisch maskuline Form gemeinhin als die allgemeine geschlechtsübergreifende Bezeichnung verwendet wird, dann klingt für den Muttersprachler die Formulierung von „Muttersprachlern und Muttersprachlerinnen“ oder mündlich gar von „Muttersprachler*innen“ dennoch gewöhnlich befremdlich, weil die geläufigen und gleichsam mit der Muttermilch angelernten Konventionen der Syntax, die hier die Bedeutung transportieren, und der nun gebrauchte sprachliche Ausdruck einander widerstreben.

Anstelle inkludierend zu wirken, verheißt die erste Variante dann tendenziell eine ausdrückliche und d.h. vermeintlich in diesem Fall sinnvolle geschlechtliche Trennung der gemeinten Personen (die Schmunzeln hervorruft oder Befremdung, weil sie an dieser Stelle eben gerade nicht sinnvoll ist); die zweite Variante dagegen, besonders im mündlichen Sprachgebrauch, mag, wenn sie gehört wird, zu einer Überbetonung des Weiblichen tendieren, als wären nur Frauen gemeint.

Das sind, einfach weil die Sprach- und in dem Fall die Syntaxkonvention dergleichen vorgibt, gleichsam natürlich und spontan hervorgerufene und wahrgenommene Mitteilungsnuancen (und dadurch eben Befremdungen), die man sich schon bewusst abtrainieren muss (sofern man es denn will). Und je komplexer die Sätze werden, desto augenfälliger die Probleme, besonders im mündlichen Sprachgebrauch, der sich nicht so leicht „formalisieren“ lässt wie der schriftliche.

Auch der nun genormte Gebrauch des Partizip Präsens („Studierende„) mag dem sprachsensiblen Sprecher solch Befremdung auslösen, wo dieses Partizip gewöhnlich eine je aktuelle Tätigkeit beschreibt und gerade keinen Zustand: sodass die „biertrinkenden Studierenden“ oder die „sterbenden Studierenden2 ein komisches Bild abgeben, da man ja gewöhnlich gerade nicht in dem Moment studiert, in dem man sich betrinkt oder gar stirbt.

Ich möchte keineswegs penibel und pedantisch nur polemisieren, und freilich sind alle Sprachen lebendig immer im Wandel – alleine, es ist wichtig, auch auf diese Dynamiken hinzuweisen, die entstehen, wenn der neue Ausdrucksvorschlag dem Sprachsystem mit seinen eigenen etablierten Regeln widerstrebt. Wenn man das nicht hinreichend beachtet, erliegt man einer rationalistischen Verkürzung. Denn die Wahrscheinlichkeit einer breiten Akzeptanz von einem neuen – gutgemeinten – Ausdrucksvorschlag ist entscheidend davon abhängig, wie anschlussfähig dieser ist: an das jahrhundertelang gewachsene innere Regelwerk des je lebendigen Sprachsystems und die ihm innewohnenden Konventionen.

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1 Vgl. beispielsweise Tomas Kubelik: Genug gegendert. Eine Kritik der feministischen Sprache.
2 Beispiele (nach Wikipedia) von Max Goldt aus „Was man nicht sagt. In: Max Goldt: Wenn man einen weißen Anzug anhat.“

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Diskussion (Ein Kommentar)

  1. […] letzten Artikel unserer Reihe über “Politische Korrektheit” haben wir über die Bedeutung der […]