Ortwin Rosner und Jan David Zimmermann – Auf der Suche nach der Meinungs- und Pressefreiheit
In der neuesten Ausgabe der Kamingespräche begrüßt Moderator Michael Karjalainen-Dräger den Philosophen Ortwin Rosner und den Germanisten und Blogger Jan David Zimmermann in unserem Wiener Studio.
Zimmermann, der sich mit Wissenschaftsforschung beschäftigt, stellt fest, viele wissenschaftliche Begriffe Einzug in die Alltagssprache gefunden haben. Auch beruft man sich gerne auf angeblich unumstößliche Fakten, die bei genauerer Untersuchung oft gar nicht so eindeutig sind. Leider kam es auch – wie in einer Krise üblich – zu einer Eskalation der Sprache: beginnend bei den Politikern und übernommen von den Medien, aber auch von Kunstschaffenden, die sich sonst gerne damit brüsten, auf die Korrektheit der Sprache zu achten, wurden zahlreiche abwertende und menschenfeindliche Begriffe geprägt – vor allem gegenüber Ungeimpften.
Dieses Kampfvokabular bekam auch Ortwin Rosner zu spüren: sein vom Standard zuerst veröffentlichter und dann (offenbar auf öffentlichen Druck) zurückgezogener Meinungsartikel löste im Forum einen wahren Shitstorm aus. Im Folgenden schildert er diesen aus seiner Sicht einmaligen Fall von Zensur. Es sei bezeichnend, dass man im öffentlichen Diskurs immer der Gegenseite aggressives Verhalten vorwirft, aber selbst nie die eigene Ausdrucksweise hinterfragt.
In den letzten zwei Jahren haben sich viele Medien an die Macht und die Mächtigen angelehnt, anstatt sie zu kritisieren, meint Zimmermann. Die Zensur von Rosners Artikel ist eine logische Folge dieser Entwicklung. Weiters ist festzustellen, dass Wissenschaft als Herrschaftsmittel missbraucht wird; Vernunft wurde durch den autoritären Begriff „Neue Normalität“ abgelöst. Die Aufforderung, gefälligst vernünftig und rational zu agieren, wurde mit steigender verbaler Härte verbreitet. Wer es wagt, die aufgestellten Thesen zu hinterfragen, sei automatisch unwissenschaftlich und ein Schwurbler. Selbst Unirektoren ließen sich in diese Propaganda einspannen.
Rosner zitiert im Folgenden aus Immanuel Kants Aufsatz Was ist Aufklärung, der heute mehr denn je aktuell ist. Jedem Menschen stehe grundsätzlich seine Würde zu, egal ob er Experte, Politiker, Priester oder ein ganz normaler Bürger sei; und jedem stehe zu, sich seine eigene Meinung zu bilden und diese auch zu kommunizieren. Zimmermann stimmt ihm zu: die gegenwärtige Expertokratie ist ein autoritätshöriges System. Dies ist historisch gesehen leider nichts neues: schon oft haben Gebildete mit den Mächtigen gemeinsame Sache gemacht. Deshalb könne man auch von Seiten der Kritiker nicht nur auf Autoritäten hören, sonst gerät man in die gleiche Falle. Denn auch die Experten und Wissenschaftler unterliegen einer gewissen Sozialisation, die ihre Meinungen und Entscheidungen beeinflusst.
Das sich beschleunigende Verschwinden der Meinungsfreiheit liegt laut Rosner vor allem daran, dass sich die ehemals kritische Linke zu einer auf Pseudokorrektheit reduzierten Bewegung verwandelt hat, beginnend mit dem Fall der Berliner Mauer. Bis etwa 1999 (Kosovo-Konflikt) war Medienkritik ein linkes Anliegen, während die Konservativen die Medien verteidigt haben – auch das habe sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt.
Die Selbstzensur der Presse, der gemeinsame Habitus der Mächtigen, die Doppelmoral in öffentlichen Diskussionen, das zunehmende Problem des vorauseilenden Gehorsams und die Tatsache, dass im Gegensatz zu früher vor allem ältere Personen demonstrieren gehen, sind weitere Themen dieser Diskussion.
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Ortwin Rosner und Jan David Zimmermann | Wolfgang Müller | CC BY SA 4.0 |