ORF DialogForum Alpbach: Die Rückkehr des Feudalismus
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 3. 3. 2017
- Veranstalter
- ORF DialogForum Alpbach
- Ort
- ORF Radiokulturhaus Wien
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Caspar Einem, Vizepräsident des Europäischen Forums Alpbach
- Evegny Morozov, Buchautor, Netz-Experte
- Verena Metze-Mangold, Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission
- Ingrid Brodnig, Journalistin (Profil), Buchautorin
- Patrick Swanson, Journalist (ZIB social media)
- Anna Svec, Bloggerin (Mosaik - Politik neu denken)
Am 3. März 2017 lud das ORF DialogForum Alpbach in das altehrwürdige ORF-Radiokulturhaus Wien zu einer spannenden Podiumsdiskussion mit dem Titel „Die Rückkehr des Feudalismus„. Unter der moderatorischen Leitung von Klaus Unterberger diskutierten der Buchautor und Netzexperte Evgeny Morozov, die Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission Verena Metze-Mangold, die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig, der Social Media-Beauftragte des ORF, Patrick Swanson, und die Bloggerin Anna Svec über den wachsenden Einfluss weniger Technologiekonzerne und die daraus resultierende neue digitale Weltordnung.
Die rasant voranschreitende Digitalisierung löst gleichzeitig Jubelstimmung und Beklemmung aus. Die vier Internetkonzerne Alphabet (vormals Google), Apple, Facebook und Amazon sind von vielversprechenden Start-ups zu globalen Wirtschaftsmächten herangewachsen. Sie sind – gemessen an ihrem Börsenwert – aktuell unter den zehn größten und einflussreichsten Unternehmen zu finden. Ihre Algorithmen, Codes und Werbedienste prägen die Kommunikation und das Medienverhalten zahlloser Menschen.
Wir leben in aufregenden und herausfordernden Zeiten. Es gilt die drei großen Krisen unserer Zeit zu bewältigen: die Demokratiekrise, die Kapitalismuskrise und die Sozialstaatkrise. Eine vierte bahnt sich gerade an, nämlich die spirituelle Krise. Ich spreche vom sorglosen Umgang mit dem wohl wertvollsten Rohstoff dieser Tage: Daten.
Nur auf den ersten Blick sehe es so aus, als ob all diese nützlichen Dienstleistungen wie z.B. Google Mail, das soziale Netzwerk Facebook oder die Google-Suchmaschine gratis zur Verfügung gestellt würden. Bei genauerer Betrachtung erkenne man ziemlich schnell die wahren Nutznießer hinter diesem Geschäftsmodell und die daraus resultierende unermessliche Machtfülle. Die Rede sei hier von der Werbeindustrie. Sie subventioniere diese Technologieriesen und deren Dienstleistungen mit enormen Geldsummen.
Privatsphäre ist ein Menschenrecht
Verena Metze-Mangold unterstreicht Morozovs Ausführungen und hebt speziell die augenscheinliche Hilf- und Tatenlosigkeit von vielen Regierungen weltweit hervor. Auch sie sieht in den genannten Technologieriesen eine ernstzunehmende Gefahr, die von den wenigsten wahrgenommen werde.
Wir werden aufgefordert umzudenken, unsere Privatsphäre – ein Menschenrecht – aufzugeben, um dann den ökonomischen Bedürfnissen der Big Data-Ökonomie zu folgen. Das sind für mich nicht durchdachte und sozial nicht zu verantwortende Vorstellungen von unserer Zukunft.
Ingrid Brodnig ihrerseits weist darauf hin, dass es neben der vorherrschenden privaten Digitalisierung auch die Möglichkeit einer viel wünschenswerteren, nämlich öffentlichen Digitalisierung gäbe. Sie wünscht sich z.B., dass neben einem Straßennetz, welches ein fixer Bestandteil einer Infrastruktur eines Landes sei, auch der dazu passende Dienst wie z.B. Googles „Maps“ Teil dieser öffentlichen Infrastuktur werden solle.
Das Problematische daran ist, dass hier nicht nur viel Macht im Spiel ist, sondern auch viel Intransparenz.
Patrick Swanson veranschaulicht die enormen Herausforderungen, denen sich der ORF diesbezüglich zu stellen hat. Als öffentlich-rechtlicher Informationsdienstleister stehe man nicht selten vor einem gewissen Interessenskonflikt. Kritische Berichterstattung über Technologiekonzerne, insbesondere Facebook, sei nicht wirklich einfach. Natürlich finde diese auf den Plattformen des ORF – Internet, Fernsehen und Rundfunk – statt, dennoch gelte es auch die ca. 3 Millionen aktiven Facebook-User zu informieren, und da sei verständlicherweise viel Fingerspitzengefühl gefragt.
Für Anna Svec stellt sich die Frage, ob einem gewinnorientierten Unternehmen ernsthaft die Verantwortung übergeben werden solle, die Welt ohne Rechenschaftspflicht und Kontrolle maßgeblich zu gestalten. Grundsätzlich stehe sie dem Technologiefortschritt positiv gegenüber, es müsse aber genau analysiert werden, wie und wofür neue Technologien eingesetzt werden sollten. Die Debatte über das Internet sei für sie ganz klar eine politische Debatte.
Zukünftige soziale Infrastruktur
Herr Morozov, wie stehen Sie zum kürzlich veröffentlichten Manifest von Mark Zuckerberg, in dem er bekannt gibt, dass Facebook in Zukunft die soziale Infrastruktur der Gesellschaft entwickeln will?
Es offenbart in erster Linie einen unglaublichen Mix an Selbstüberschätzung, Arroganz und Ablehnung. Dass Menschen einen Konzern wie Facebook als Hoffnungsträger für die zukünftige soziale Infrastruktur ansehen, der jederzeit die absolute Macht darüber hat, welche Information gesehen werden darf und welche nicht, finde ich höchst problematisch.
Ingrid Brodnig zufolge stellt sich Facebook gerne als reiner Dienstleister dar, der lediglich seine technologischen Möglichkeiten zur Verfügung stellt, wo in Wahrheit gerade dieser Konzern sich viel Mühe gibt, mittels ausgefeilten Algorithmen das Surf- und Konsumverhalten seiner Nutzer genauestens zu studieren, auszuwerten und in letzter Konsequenz auch zu steuern – je länger ein User im Facebook-Universum verweilt, desto mehr Werbung kann Facebook einblenden.
Europas Chancen
Auf die Frage, welche Chancen Europa habe, um Amerika, respektive deren global dominierenden Technologiefirmen, die Stirn bieten zu können, antwortet Evgeny Morozov, dass Europa zwar ein unglaublich starker Wirtschaftsraum sei, der es locker mit Amerika oder China aufnehmen könne, jedoch gegenüber Amerika einen entscheidenden Nachteil habe: Es besitze nicht die gleiche national- bzw. regierungsgesteuerte Innovationspolitik. Die National Science Foundation, die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), das Pentagon und zahlreiche Universitäten seien nur einige von vielen technologischen Einrichtungen, die Amerika zum Mekka des technologischen Fortschritts gemacht hätten.
Besonders kritisch äußert sich Ingrid Brodnig zur Monopolstellung von Alphabet Inc. (Google).
Abschließend kann man sagen, dass sich alle anwesenden Gäste darüber einig sind, dass der technologische Fortschritt zwar begrüßenswert sei, dass es jedoch großer Anstrengungen bedarf, nicht zum Spielball einiger weniger bestimmender Akteure zu werden. Höchste Wachsamkeit sei gefordert, denn in einer Welt, in der möglicherweise bald nur noch „Services“ angeboten werden, ist für demokratische Grundrechte kaum Platz.