„On Death Row“

Werner Herzog ODR
Meinung

In Werner Herzogs TV-Dokumentarfilmserie „On Death Row“ haben amerikanische Gefängnisinsassen des sogenannten Todestraktes die einzigartige Möglichkeit, ihre Geschichte einem breiten Fernsehpublikum zu erzählen. Das Metro Kinokulturhaus zeigte im Rahmen der „Werner Herzog-Retrospektive“ die Folgen drei und vier aus der ersten Staffel. Ich habe mir diese Vorführung angeschaut und eine Zusammenfassung mit anschließender persönlicher Meinung erstellt.

Folge 3

Joseph Garcia und George Rivas

Polunsky Unit ist ein Staatsgefängnis im Polk County im US-amerikanischen Bundesstaat Texas. An die 300 ausschließlich männliche Gefangene warten in diesem Todestrakt auf ihre Exekution. Joseph Garcia und George Rivas sind ebenfalls in dieser Anstalt inhaftiert.

Sie sind beide Mitglieder der berühmt-berüchtigten „Texas Seven“, einer Gruppe von verurteilten Strafgefangenen, denen eine Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Texas gelang. Es war der größte Gefängnisausbruch und die anschließend größte Verbrecherjagd in der Geschichte des Staates Texas.

George Rivas wird von Werner Herzog zuerst zu seinem Werdegang bis zu diesem „legendären“ Ausbruch befragt. Rivas war nach eigenen Angaben ein Spezialist für „sanfte“ Raubüberfälle – „sanft“ deshalb, weil er mit allen Mitteln versuchte, keine Menschen zu verletzen, was ihm auch bis zu seiner Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis gelang.

Joseph Garcia landete im selben Hochsicherheitsgefängnis, weil er zuvor einen Mann mit einem „Butterfly“ (ein spezielles Klappmesser) erstochen hat. Er behauptet bis heute, aus Notwehr gehandelt zu haben. Personen, die in der Ermittlung seines Falles tätig waren, zeichnen aber ein ganz anderes Bild, eines, das Garcia als kaltblütigen Mörder ausweist. Auch Garcia erzählt Herzog in groben Zügen seinen Lebensweg und spricht anschließend über die bevorstehende Exekution durch tödliche Injektionen.

George Rivas schildert den Ausbruch und die anschließende Flucht bis ins letzte Detail. Die Art und Weise, wie er die Geschehnisse erzählt, lassen ihn unschwer als Kopf und Mastermind der Gruppe erkennen.

Durch eine Nichtbeachtung eines von ihm erteilten Befehls kam es im Verlauf der Flucht zu dem unglücklichen Umstand, dass ein Polizeibeamter in erster Linie durch den Gebrauch seiner Schusswaffe ums Leben kam. Das zuvor erwähnte Prinzip, welches er bis dahin konsequent gelebt hat, wurde über den Haufen geworfen, das Resultat war die Verhängung seines Todesurteils.

Die Gesetzeslage in Texas hat dazu geführt, dass über alle anderen Mitglieder der „Texas Seven“, egal ob sie ebenfalls zum Tod des Polizisten etwas beigetragen haben oder nicht, ebenfalls die Todesstrafe verhängt wurde – also auch über Garcia, obwohl er in diesem Fall glaubhaft veranschaulichen konnte, dass er zum Zeitpunkt der Ermordung des Polizisten nicht einmal in der Nähe des Tatortes gewesen ist.

George Rivas ist sich seiner Taten vollständig bewusst und hat keine Hoffnung auf Aufhebung der Todesstrafe, er sieht seiner bevorstehenden Hinrichtung gefasst entgegen. Ganz anders verhält es sich bei Joseph Garcia. Dieser hofft sehr wohl, dass seine regelmäßig wiederkehrende Vision, in der er 99-jährig eine Geburtstagstorte in Empfang nimmt, Realität wird.

Folge 4

Hank Skinner

Hank Skinner ist wegen dreifachen Mordes zum Tod durch tödliche Injektionen verurteilt. Auch er sitzt in der zuvor erwähnten Polunsky Unit ein. 17 Jahre hat Skinner zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen schon in diesem Todestrakt abgesessen und hätte eigentlich schon vor Jahren hingerichtet werden sollen, doch das Schicksal ist in seinem Fall gnädig.

Hank Skinners Geschichte gehört zu den kurioseren, denn er hat es geschafft, dass sein Fall neu aufgerollt wurde. Er wollte absichtlich in den Todestrakt, da er zum Zeitpunkt seines Prozesses einen Anwalt zu seiner Seite hatte, der ihn um jeden Preis verurteilt sehen wollte und deshalb wichtiges entlastendes Beweismaterial einfach nicht zuließ. Einmal im Todestrakt angekommen, nahm sich Skinner einen besseren Anwalt und sorgte dafür, dass sein Fall nochmals neu durchleuchtet wird. Mit Erfolg.

Er erzählt Herzog detailreich den Ablauf des Hinrichtungstages, denn er ist einer von ganz wenigen, die eine „Fast-Hinrichtung“ erlebt haben und über die einzelnen Schritte demnach bestens Bescheid wissen. Er spricht über die Spezialeinheit, die ihn in einem Spezialauto von der Polunsky Unit nach Huntsville in den Exekutionsraum transportierten (die Polunsky Unit verfügt nämlich über keinen Exekutionsraum) und über die fünf Stunden, die vom Abholungszeitpunkt bis zur tatsächlichen Exekution vergehen wie fünf Minuten.

Und natürlich über den wunderbaren Moment, als ca. eine Stunde vor der Hinrichtung sein Anwalt die frohe Botschaft einer Aufschiebung verkündete, gefolgt von den weiteren unerträglichen 20 Minuten, die vergingen, bis endlich auch der Gouverneur den Abbruch der Hinrichtung per Telefon bestätigte – denn nur der Gouverneur und der Justizminister haben die Befugnis, einen Abbruch anzuordnen.

Szenenwechsel. Werner Herzog trifft einen Zeitungsredakteur, der die Mordgeschichte damals in der Zeitung veröffentlichte. Sie fahren gemeinsam zum Tatort, und der Redakteur berichtet die tragischen Geschehnisse jener Tage in chronologischer Reihenfolge. Hank Skinner soll laut Anklage seine damalige Freundin mit einem stumpfen Gegenstand bis zur Unkenntlichkeit totgeschlagen und ihre beiden behinderten Kinder mit einem Filetiermesser erstochen haben. So lautet zumindest das Urteil bis zum heutigen Tage.

Skinner selbst kann sich beim besten Willen nicht daran erinnern, diese Tat begangen zu haben. Laut Gerichtsmediziner war er an diesem Tag so betrunken und gleichzeitig unter Einfluss von Medikamenten und Drogen, dass er nicht einmal aufrecht stehen konnte. Jedoch schaffte er es in diesem Zustand sehr wohl, irgendwie zu einer anderen Freundin zu gelangen, um sich dort eine Verletzung an der linken Hand verbinden zu lassen.

Bis heute wartet Hank Skinner auf die Testergebnisse der Beweisstücke, welche bei der Neuaufnahme des Falles endlich hinzugezogen und untersucht werden konnten. Angeblich sollen ihn diese Beweisstücke entlasten und zu einem anderen Täter führen. Es handelt sich hierbei um DNA-Spuren auf der Mordwaffe, die nicht von ihm stammen.

Fazit

Herzogs Serie „On Death Row“ ist eine einzigartige Reise an einen Ort purer Verzweiflung – also nichts für schwache Nerven.

Die trostlose Beengtheit der Besucherzelle, die abgeblätterte, vergilbte Farbe an den Wänden und der Wahnsinn (gepaart mit Hoffnungslosigkeit), der einen aus den Augen der Interviewten anstarrt, sind alles andere als leicht verdaulich, zumindest für mich. Dennoch wohnt diesen Bildern auch eine gewisse Faszination inne, die mich hypnotisch in ihren Bann zieht.

Die musikalische Untermalung passt wunderbar zu den Bildern, unterstreicht das Wechselbad der Gefühle zwischen Ekel und Faszination. Es gibt sogar Momente, da hat man tatsächlich Mitleid mit der Person hinter der Glasscheibe. Vor allem im Fall Skinner. Ich habe ein wenig recherchiert im Internet, da zum Zeitpunkt des Drehs Hank Skinner auf seine Untersuchungsergebnisse wartete – das war 2012 – und es mich brennend interessierte, wie diese Ergebnisse aussehen und welchen Einfluss sie auf Skinners Status quo haben könnten.

Ich fand heraus, dass diese Beweisgegenstände auf mysteriöse Art und Weise vor Kurzem verschwanden, noch bevor sie untersucht werden konnten. Hank Skinner hat im Interview angegeben, dass sein erster Anwalt eine Absprache mit dem Staatsanwalt hatte, ihn auf jeden Fall, koste es, was es wolle, für diese Morde zu verurteilen.

Dies ist keine fiktive Geschichte, dies ist das wahre Leben, und nichts ist spektakulärer als das wahre Leben.

Ich habe mir seither fünf weitere Folgen dieser Serie angesehen. Es werden gewiss weitere folgen, und mittlerweile verstehe ich auch, warum Herzog Kultstatus genießt.

Prädikat: sehr sehenswert!

Credits

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Werner Herzog ODR Werner Herzog ODR Alchetron CC BY-SA 3.0