Offener Brief an die Organisator*innen des Bachmannpreises

Meinung

Liebe Organisator*innen des Bachmannpreises,

Liebe Jury,

Liebe literarische Institutionen,

Liebe Schreibende,

ursprünglich wollte ich dieses Jahr einen Text einreichen, um bei der Veranstaltung in Klagenfurt teilzunehmen.

Ich bin jedoch 1. kein reibungsloser Autor und produziere 2. grundsätzlich KEINE vollimmunisierten Texte. Daher werden Sie dieses Jahr und wohl auch in Zukunft auf mich als lesender Teilnehmer verzichten müssen.

Zudem kann ich grundsätzlich nicht nachvollziehen, was der Impfstatus eines Menschen mit der Qualität literarischer Texte zu tun hat. Und ich denke, dass Sie mir das auch nicht erklären können.

In meinen Augen ist es eine wichtige Aufgabe von Kunst und Literatur, gesellschaftliche Regeln, Normalität und Etabliertes zu hinterfragen sowie Macht und Politik zu sezieren, zu analysieren und zu kritisieren.

Die Literatur und öffentliche Personen aus dem Literaturbetrieb hätten in den letzten zwei Jahren insbesondere die Aufgabe gehabt, die massive sprachliche Eskalation zu thematisieren, die vonseiten der Politik, vonseiten etablierter Medien forciert und schließlich von Teilen der Bevölkerung unkritisch übernommen wurde.

Wenn die Sprache der Öffentlichkeit zu einer Sprache des Autoritären, zu einer Sprache der Ausgrenzung, zu einer Sprache des Hasses wird, dann muss die Literatur einschreiten und darauf aufmerksam machen.

Insbesondere dann, wenn sich eben jene Literaturszene weitgehend darauf beruft, gegen Diskriminierung, Hate-Speech und Hass im Netz aufzutreten, ist es ihre Aufgabe, Theorie und Praxis im entscheidenden Moment einer Krise zu verbinden und auf das Entschiedenste gegen solche Entwicklungen zu intervenieren. Dies ist nicht geschehen.

Im Gegenteil: Ein primitives und verkürztes Sündenbock-Denken, -Sprechen und -Schreiben wurde ungebremst von schweigenden Intellektuellen und sich einigelnden Schreibenden zugelassen oder gar vorangetrieben; oftmals im selbstgerechten Glauben, die Guten zu sein, die das Richtige tun.

Ein Denken und Sprechen, das sich gegen „die Ungeimpften“ (Was für ein Begriff!) und gegen alle, die Kritik an Politik, Impfkampagnen und einem sich ausbreitenden biopolitisch-digitalen Verordnungsstaat äußerten, gerichtet hat. Ein Denken, Sprechen, Schreiben und Handeln, das die Begriffe Vernunft, Logik und Solidarität semantisch umdeutete. Alles im Sinne einer neuen Normalität, die eine neue Realität einleitete. Eine Realität der Umkehrung, des Populismus und des Autoritarismus.

Nach der sprachlich-diskursiven Ausgrenzung kommt die räumliche und schließlich auch die juristische, also die durch die „Staatsräson“ abgesegnete Ausgrenzung. All dies ist passiert: Diffamierung von Ungeimpften in den Medien, 2G-Regelungen im öffentlichen Raum und schließlich die Impfpflicht.

Was danach kommt, ist wiederum ungewiss. Das Aufatmen und sich zurücknehmen? Das Schweigen? Oder eine weitere Eskalation?

So oder so: Viele dieser Eskalations-Schritte wurden in den letzten zwei Jahren von Kunstschaffenden und Schreibenden nicht nur mitgetragen, sondern teilweise auch angestachelt; in übelster Anfachung menschlicher Bauchgefühlglutnester, die offenbar ebenso bei den sogenannten Gebildeten schwelen und ganz leicht entzündlich scheinen. Viel leichter, als ich das je gedacht hätte.

Und ist es nicht das Bauchgefühl, dem so hemmungslos nachgegangen und das fälschlicherweise immer nur den Rechten attestiert wird, so ist es zumindest oft auch ein vorauseilender Regel-Konformismus, eine unhinterfragte Staatstreue und eine ideologische Verbohrtheit, die in die Anpassung führt.

Auch der Bachmannpreis hat sich – mit dem Proklamieren der 2G+-Regel bei seiner Veranstaltung – offenkundig gegenüber wirklicher Gesellschaftskritik und Reflexion längst vollimmunisiert und macht alles brav mit, was eine kafkaesk-schildbürgerhafte, quasitotalitäre Wurschtel-Regierung vorschreibt. Damit reiht sich der Bachmannpreis leider in das Verhalten eines Großteils unseres Kunst- und Kulturbetriebs ein.

Kunst und Kultur sind mittlerweile in weiten Teilen derart von den drängenden Fragen unserer Zeit entkoppelt, dass diesem Bereich das Schmoren im eigenen Saft oft gar nicht mehr auffällt. Sie schmoren ohne Bezugnahme auf die eigentlichen, auf die wirklichen Probleme, ohne Verständnis für die Sorgen der meisten anderen Menschen vor sich hin. Sie glauben vielfach an eine Realität, die in dieser Form überhaupt nicht existiert, die aber von regierungsnahen Haus- und Hofmedien herbeigeschrieben wird.

Ständig wird mit hohlen Phrasen und unter Zuhilfenahme dröger Worthülsen von Hate-Speech und Sprachsensibilität gesprochen; wenn die Diffamierungen jedoch von der „richtigen“ Seite kommen, so findet man die sprachlichen Entgleisungen legitim und in Ordnung und sieht überall Nazis und Rechtsextreme. Damit wird man den tatsächlichen Rechtsextremen nur weiter Futter geben und ihnen letztlich Menschen in die Arme treiben, weil Kunst und Kultur sich eben nicht für Menschen eingesetzt haben, die nun seit einiger Zeit wütend, enttäuscht, verzweifelt und perspektivenlos auf die Straßen gehen, um ihr Recht einzufordern.

Und ich bin mir sicher: Auf den Winter der Eskalation wird vermutlich ein Sommer des Vergessens folgen; angeblich sollen ja im März 2022 die meisten Corona-Maßnahmen fallen. Wird dies dann auch für die Teilnahme am Bachmannpreis gelten?

Langsam dürfen ja die ungeimpften Menschen wieder in die Öffentlichkeit, ins Kino, ins Museum, Bier im Restaurant trinken und die Melange im Kaffeehaus schlürfen. Die Öffentlichkeit wird wohl so tun, als wäre nichts gewesen, Medien werden vermutlich zurückrudern und auch viele der Schreibenden und Kunstschaffenden werden sagen, dass sie ja ohnehin gewusst haben, dass das alles ein Irrsinn war und dass sie ja eigentlich immer gegen Ausgrenzung und dergleichen gewesen sind.

Wenn der Wind sich dreht, drehen sich auch die Wendehälse.

Ich und viele andere Menschen, Betroffene, Beschimpfte, Diffamierte, Geängstigte, Gezwungene oder einfach nur Kritische werden diese Zeit jedoch niemals vergessen und diesem unerträglichen Schweigen jetzt und in Zukunft mit ihren Stimmen entschieden und gut hörbar entgegentreten.

Denn wie hat schon Ingeborg Bachmann in einer berühmten Ansprache gesagt:

„So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn – im Gegenteil – wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden. Und jener geheime Schmerz macht uns erst für die Erfahrung empfindlich und insbesondere für die der Wahrheit.“ [2]

Dieser Brief wurde hier erstveröffentlicht.
 
 

[1]https://bachmannpreis.orf.at/stories/3134900/, abgerufen am 17.02.2021. [2] Ingeborg Bachmann, „Über die Kunst.“ Rede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden 1959. Vgl. https://www.br.de/mediathek/podcast/artmix-galerie/die-wahrheit-ist-dem-menschen-zumutbar-ingeborg-bachmanns-beruehmte-dankesrede-zum-hoerspielpreis-der-kriegsblinden/1831302 , abgerufen am 09.02.2022 (Ab Minute 1:43).

Credits

Image Title Autor License
Blog – 2G Verleihung Ingeborg Bachmann Preis-YOUTUBE Wolfgang Müller CC BY SA 4.0