Neu-Delhi: Meine ersten Eindrücke

Namaste
Lebenswelten

Ich bin schon immer an der buddhistischen Kultur und ihrem Lebensstil interessiert gewesen. Und es war mein Traum, eines Tages nach Indien zu reisen. Aber ich hatte Bedenken, so eine Reise als Frau alleine zu unternehmen, zumal ich so viele Horrorgeschichten aus den Nachrichten kenne.

Ich sprach also mit unterschiedlichen Menschen über meine Reisepläne für Indien, und die Meinungen gingen auseinander: von „das ist großartig, du musst dort hin – du wirst es lieben“ bis hin zu „geh bloß nie alleine als Mädchen!!!

Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich früher oder später in dieses riesige Land reisen würde; in dieses Land voller Gegensätze, unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Landschaften, die zwischen einem der höchsten Bergzüge der Erde im Norden und wunderschönen, sandigen Stränden und weiten Wüsten im Westen variieren.

Ich hatte das Glück, drei jungen Indern auf meinem Weg zum Everest zu begegnen, mit denen ich mich anfreundete. Sie kommen aus Delhi, Indiens Hauptstadt; eines führte zum anderen, und folglich beschloss ich, nach Nepal Indien zu bereisen. Als ich in Delhi eintraf, kam mich Sourabh – das ist einer der Inder – am Flughafen abholen.

Wir stiegen in ein Taxi und das erste, was wir unternahmen, war, das Qutb Minar besichtigen – das ist eines der wichtigsten Bauwerke in Delhi. Es lag auch gut auf dem Weg.

Während wir im Taxi saßen, fühlte ich mich überwältigt von allem um mich herum – es brachen wirklich eine Menge an unterschiedlichen Sinneseindrücken über mich herein. Die Stadt ist nämlich sehr chaotisch, hektisch, laut, heiß und schmutzig …

Wo auch immer ich hinblickte, sah ich Menschen, die etwas zu verkaufen suchten, nach etwas riefen oder einfach nur irgendwo schliefen – seitlich an der Straße platziert und auf dem Boden. Bei jeder roten Ampel, an der wir hielten, näherten sich Bettler und Straßenkinder unserem Auto und fragten nach Geld. Manchmal führten sie eine Art Mini-Straßenshow auf wie z.B. Jonglieren oder Akrobatik.

Es passierte so viel um mich herum, dass meine Sinne nicht Schritt halten konnten mit alledem, mit den unterschiedlichen Gerüchen, Geräuschen und Bildern.

Ich konnte mindestens zehn unterschiedliche Hupen identifizieren: Da gab es Autos, Motorräder, Autorikschas, Fahrräder und Lastwagen als hupende Geräuschkulisse. Außerdem war es fast unmöglich, mit dem Auto vorwärtszukommen, weil der Verkehr stockte und Kühe überall herumstanden und dabei die Straßen blockierten.

Kühe werden in Indien als heilige Tiere verehrt: Sie laufen einfach frei herum, wo immer und wann immer sie wollen. Man muss um sie also Slalom fahren, weil sie sich einfach nicht von der Stelle bewegen.

Bevor ich Europa verließ, hatte ich viele Geschichten von Menschen gehört, die nach Neu Delhi kamen und einen Kulturschock erlitten, als sie das Flughafengebäude verließen und direkt den nächsten Flug zurück nahmen. Ich habe dieses Verhalten nie verstanden; ich dachte immer: „Was kann bloß so schockierend sein?“ – Heute erst verstehe ich das.

Obwohl ich direkt aus Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, nach Indien kam und somit bereits an den Lärm und alles weitere gewöhnt war, muss ich sagen, dass Delhi dem Ganzen noch eines drauf setzte. Ich kann diese Stadt somit mit keinem Ort vergleichen, an dem ich schon einmal gewesen bin.

Schließlich kamen wir am Qutb Minar an, und Sourabh zeigte mir alles. Es war extrem heiß im Freien, 40°C, aber zum Glück begann es nach einiger Zeit zu regnen; es handelte sich dabei nicht um einen Nieselregen, sondern um einen starken Regen, der aber nur für kurze Zeit anhielt.

Qutb Minar und die historischen Denkmale drumherum sind UNESCO Weltkulturerbestätten. Es ist 73 Meter hoch, was es zum größten aus Ziegelsteinen gebauten Minarett der Welt macht. Die Bauarbeiten begannen 1200 n. Chr. und wurden von einem Mann namens Qutb al-Din Aibak geleitet, der in weiterer Folge das Sultanat von Delhi gegründet hat – nämlich ein muslimisches Königreich, welches sich 1206-1526 über weite Teile Indiens erstreckte.

Qutb Minar, UNESCO Weltkulturerbestätte

Nach einer Weile hörte es auf zu regnen. Wir nahmen eine Autorikscha und luden mein Gepäck ab.

In der Autorikscha zu sitzen, fühlte sich intensiver an als die Taxifahrt davor, weil man nicht überdacht ist und ich somit der Umwelt um mich herum viel direkter ausgesetzt war.

Es waren echt verdammt viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Die meisten von ihnen waren Männer, und viele von ihnen starren – sie sagen nicht einmal etwas, sie starren einfach, sodass man sich gleich einmal unwohl fühlt. Ich war wirklich dankbar, dass ich Sourabh bei mir hatte und er mir versicherte, dass ich mich an diese Verrücktheiten mit der Zeit gewöhnen würde. Ich hoffte inständig, dass das auch allmählich der Fall werden würde.

Nachdem wir meine Taschen abgeladen hatten, gingen wir einen Tempel in der Nähe besichtigen, den Gurudwara Bangla Sahib Sikh Tempel. Bevor ich den Tempel betrat, bat man mich, die Schuhe auszuziehen, die Hände und Füße zu waschen und meinen Kopf zu bedecken.

Bevor wir eintraten, spazierten wir noch um den See, der vor dem Tempel lag und sahen Menschen, die darin ein Bad nahmen. Das Wasser wird nämlich als heilig bewertet. Wir trafen einen jungen Studenten, der uns unbedingt von seiner Religion erzählen wollte. Da ich noch nie zuvor von dieser Religion gehört hatte, war ich sehr neugierig, mehr darüber herauszufinden; also gingen wir ein Stück mit ihm mit.

Sikhismus ist eine monotheistische Religion, die im fünfzehnten Jahrhundert in Punjab (Nordindien) unter den Kriegern entstanden ist. Übrigens sind Menschen aller Glaubensrichtungen und sogar die, die keinen Glauben haben, in Sikh Tempeln herzlich willkommen.

Sie verehren die Heiligen Schriften von Guru Granth Sahib und verbinden sich durch Meditation mit Gott, durch selbstloses Handeln und durch das Anstreben von sozialer Gerechtigkeit zum Wohle aller.

Sikhs tragen immer die vorgeschriebenen Glaubensartikel oder sogenannte fünf kakars:

  1. Kachhera, lose Unterwäsche
  2. Kanga, hölzerner Kamm
  3. Kara, eiserner Armreif
  4. Kes, ungeschnittene Haare
  5. Kirpan, kurzes Schwert

Nach indischem Gesetz dürfen sie das Schwert bei Inlandsflügen sogar im Flugzeug bei sich tragen, da es als etwas Heiliges betrachtet wird.

Später blieben wir stehen, und der junge Student bat uns zu warten, denn in Kürze würden wir ein Langar (kostenloses vegetarisches Essen) bekommen können. Die Türen wurden geöffnet, um die nächste große Gruppe Menschen für das Mittagessen hereinzulassen.

Der Gurudwara Bangla Sahib Tempel ist täglich rund um die Uhr offen und bietet kostenloses vegetarisches Essen und (falls benötigt) kostenfreie Unterkunft für jeden. Der Tempel ist bekannt dafür, jeden Tag 10.000 Menschen mit Essen zu versorgen. Wie großartig ist das?

Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür, und wir traten ein – zusammen mit etwa 200-300 anderen Menschen. Wir setzten uns im Schneidersitz auf den Marmorboden und warteten. Viele Menschen bewegten sich durch die Menge. Jeder trug etwas bei sich: Teller, Gläser, Löffel, Wasser, Dal (Linsen), Reis, Chapatti (flaches Indisches Brot), Gemüse und zu guter Letzt: Chai (Milchtee). Nun wurden wir bedient.

Wir konnten soviel Nachschlag haben, wie wir wollten; nur eine wichtige Regel galt es, zu befolgen: Gib einen leeren Teller zurück.

Das Essen war sehr lecker, und es fühlte sich großartig an, mit so vielen anderen Menschen seine Mahlzeit unter einem Dach zu teilen: mit Menschen unterschiedlicher Kasten, Hautfarben, Religionen etc. Die positiven Schwingungen und Liebe werden in diesen Hallen ganz klar wahrgenommen, selbst wenn es nur für eine kurze Zeit passiert; es fühlt sich so an, als bildete man gemeinsam eine Einheit.

Als wir mit dem dem Essen fertig waren, gaben wir unsere Teller in einen großen Korb mit Wasser.

Viele der Menschen, die in der Küche arbeiten oder das Essen servieren, sind Freiwillige die regelmäßig oder einfach für einen Tag aushelfen. Da ich so begeistert war von dem Konzept des kostenlosen Essens, beschloss ich, mich freiwillig zu melden. Als ich die Küche betrat, sah ich die größten Kochtöpfe meines Lebens – sie waren einfach riesig.

Ich sah verschiedene Menschen, die Teige rollten, um Chapatti zu machen und es grillten. Als ich Platz nahm, um ihnen zu helfen, zeigte mir eine Frau, wir es richtig zu machen war. Doch es schien mir unmöglich, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Als ich nämlich erst mit einem fertig war, hatte sie bereits drei fertig. Das verblüffte mich zutiefst.

Der junge Student erzählte uns, dass die Essensverteilung auf Spenden beruht und von jedem Sikh erwartet wird, 10% seines Einkommens (wenn möglich) der Gemeinschaft zu spenden.

Später gingen wir alle zusammen zum Tempel, um einer Zeremonie beizuwohnen, in der sie das Heilige Buch von Guru Sahib zur Hand nahmen.

Nachdem ich all das erlebt habe, war ich zugegebenermaßen erstaunt darüber, wie man sich hier um die Mitmenschen sorgt. Und das Konzept des kostenfreien Essens begeisterte mich so sehr.

Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel

Nun verließen wir den Tempel und nahmen eine Autorikscha. Es ging nun an eine andere Ecke der Stadt: zu einem der vielen Hindu Tempel. Da es üblich ist, bei Eintritt des Tempels Essensspenden für Hindu Götter mitzubringen, die hauptsächlich aus Blumen und Früchten bestehen, machten wir das eben auch. Wir zogen die Schuhe aus, zahlten ein paar Rupien und kehrten ein.

Als wir die Treppen hoch gingen, konnte ich eine große Metallglocke sehen, die jeder anschlug. Also tat ich es auch. Die Vibrationen, die durch den Glockenschlag entstehen, sollen übrigens positive Energien bringen.

Im Tempel selbst gab es Statuen und Bilder von vielen verschiedenen Göttern. In der Religion der Hindus unterscheidet man drei Hauptgottheiten – und diese werden in 330 Millionen verschiedenen Formen repräsentiert. Hindus beten, je nach Interessenfeld und Lebenssituation, in der sie sich gerade befinden, zu einem ganz spezifischen Gott.

Es gibt viele Tempel wie etwa den Ganesha Tempel (Elefantengott), der für Glück und Intelligenz steht, den Hanuman Tempel (Affengott), der mit Stärke, Schutz und Hingabe in Verbindung gebracht wird, den Krishna Tempel, der für Liebe steht, die Göttin Saraswati, sie steht für Musik, Kunst und Weisheit und viele, viele weitere Götter …

Als wir um den Tempel im Uhrzeigersinn (das muss so sein), sah ich viele Menschen, die orangefarbene und weiße Kleidung trugen.

Diese Menschen nennen sich Babajis und kann man mit Mönchen in der christlichen Welt vergleichen. Die weiße Farbe repräsentiert den Frieden, den sie auf der Welt verbreiten, während die orange Farbe dafür steht, dass sie sich selbst „verbrennen“, da sie alle Vergnügungen und Beziehungen in dieser materialistischen Welt aufgegeben haben. Ich konnte den Frieden, die Ruhe und die selbstlose Liebe deutlich spüren, die die Babajis in den Hallen verbreiteten.

Bevor wir den Tempel wieder verließen, legte uns ein Priester eine Blumenkette um den Hals, malte eine Tilaka auf unsere Stirn und reichte uns etwas zuckerüberzogenen Puffreis (prasada); dies ist gleichbedeutend mit einer Segnung. Tilaka ist eine farbige Paste aus gemahlenem Sandelholz und Kurkuma; es wird daran geglaubt, dass es einem dazu verhilft, ruhig zu bleiben und es auch medizinischen Wert hat.

Wir nahmen die Treppe runter, schlugen die Glocke erneut an, schnappten unsere Schuhe und verließen den Tempel.

Nicht weit vom Tempel entfernt gibt es einen sehr netten Ort, an dem man das beste Paranthe Wali Gali essen kann – das ist ein berühmtes in der Pfanne gebratenes indisches Essen in Delhi; also aßen wir gleich dort zu Abend.

Das kann man heute einen intensiven Tag nennen – und doch habe ich jede Sekunde genossen. Ich lernte so viele Dinge kennen, die mir total neu waren. Auch wenn mir Bilder von Elend bewusst wurden, bekam ich doch das Gute im Menschen als Bild mit – wie z.B. die kostenlose Essensverteilung.

Am Anfang dachte ich, dass ich diese Stadt hassen würde, aber dank Sourabh, der mir all die erstaunlichen Orte in der Stadt zeigte, die Delhi zu bieten hat, habe ich mich nun tatsächlich in die Stadt verliebt.

In meinem nächsten Artikel werdet Ihr noch viel mehr über Delhi erfahren.

Gute Nacht

Übersetzung Englisch-Deutsch: Hannah Kohn

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Restaurant im Herzen Delhis, in dem sie Paranthe Wali Gali verkaufen Restaurant im Herzen Delhis, in dem sie Paranthe Wali Gali verkaufen Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Blumengirlande und tilaka auf meiner Stirn, während wir das traditionelle indische paranthe essen. Blumengirlande und tilaka auf meiner Stirn, während wir das traditionelle indische paranthe essen. Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Babajis, sogenannte Mönche, im Hindu Tempel 2 Babajis, sogenannte Mönche, im Hindu Tempel 2 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Sammeln von Spenden für Hindu-Götter nach dem Puja (Gebet), Shiva Tempel Sammeln von Spenden für Hindu-Götter nach dem Puja (Gebet), Shiva Tempel Isabell Scharrer CC BY-SA 4.0
Sammeln von Spenden für Hindu-Götter nach dem Puja (Gebet), Shiva Tempel Sammeln von Spenden für Hindu-Götter nach dem Puja (Gebet), Shiva Tempel Isabell Scharrer CC BY-SA 4.0
Göttliche Essensgaben an Hindu-Götter Göttliche Essensgaben an Hindu-Götter Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Göttin Saraswati, die Göttin der Musik, Kunst und Weisheit Göttin Saraswati, die Göttin der Musik, Kunst und Weisheit Jean-Pierre Dalbéra CC BY 2.0
Krishna (links und unten) zusammen mit einer seiner Freundinnen (rechts) Krishna (links und unten) zusammen mit einer seiner Freundinnen (rechts) Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Ganesha, der Elefantengott Ganesha, der Elefantengott Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Kostenlose Essensverteilung im Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel Kostenlose Essensverteilung im Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
See am Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel See am Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Qutb Minar, UNESCO World Heritage Site Qutb Minar, UNESCO World Heritage Site Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Namaste Namaste Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel Gurudwara Bangla Sahib, Sikh Tempel Sourabh Sharma CC BY-SA 4.0