NEOSLabTalk – Ist der liberale Rechtsstaat in Gefahr?
Das Ziel des Staates, Sicherheit und Ordnung zu garantieren, müsse der Freiheit des Individuums so weit wie möglich untergeordnet sein – so eröffnet Moderator Christian Bergler die Diskussion im NEOSLab. Leider sei in den letzten Jahren genau das Gegenteil wahrzunehmen: nämlich dass der Staat die Freiheit des Einzelnen beschneidet mit einem Versprechen, für mehr Sicherheit sorgen zu wollen. Allerdings zeigen Studien (und die eigene Wahrnehmung) ein konträres Bild: Trotz der Einschränkung vieler Freiheiten habe sich die Sicherheit keineswegs erhöht. Warum geht der Staat also diesen Weg weiter?
Die in Österreich wieder zur Diskussion stehende Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland nach achtzehnmonatiger Praxis von mehreren Höchstgerichten als rückwirkend nichtig erklärt, so Dr. Rupert Wolff, Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Das Sicherheitspolizeigesetz räumt der Exekutive schon im Ermittlungs- (und nicht erst im Tat-) Bereich erhebliche Handlungsspielräume ein.
Weitere Ankündigungen der Regierung, z.B. die Versammlungsfreiheit (und damit das Demonstrationsrecht) einzuschränken respektive Gefährdern Fußfesseln anzulegen, lassen bei Vielen in Österreich, zu Recht, die Alarmglocken läuten. Menschen prophylaktisch zu bestrafen, weil sie eine Tat begehen könnten, habe mit dem österreichischen Rechtsverständnis, das auf Strafe nach einer Verurteilung aufbaut, wenig gemein. In Österreich gebe es 25.000 Alkoholdelikte im Straßenverkehr pro Jahr – diese Personen könne man ebenso als Gefährder bezeichnen, denen man, nach dem Sinn des Gesetzes, eine Fußfessel anlegen müsste.
Die NEOS fordern seit Langem eine Überwachungsgesamtrechnung zur Feststellung, welche Maßnahmen gut und welche wenig gut wirken und wie viele Maßnahmen es gibt. Diese Forderung würde von der Regierung regelmäßig als unnötig abgewimmelt, so Nikolaus Scherak, stellvertretender Klubobmann der NEOS. Somit zieht er den Schluss, dass es die Regierung nicht interessiere, ob von ihr beschlossene Gesetze wirksam seien.
Das neue Gesetz zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit sei legistisch so schlecht ausgearbeitet, dass es kaum vor einem Höchstgericht standhalten würde, zumal es viel zu starke Eingriffe in die Freiheitsrechte gewährte. Dieses Gesetz sehe das Recht zum Verbot einer Veranstaltung seitens der Regierung oder – sofern kein ausländischer Politiker daran teilnehme – der österreichischen Polizei (!) vor, falls die außenpolitischen Interessen Österreichs (vom Auftritt eines ausländischen Politikers oder einer Demonstration z.B. zugunsten des saudischen Bloggers Raif Badawi) betroffen seien. Auf welche Art ein österreichischer Polizist entscheiden solle, dass es um die Vertretung dieser Interessen gehe, sei wohl der Fantasie der Gesetzesentwerfer vorbehalten. Anstelle eines gesetzlichen Verbotes hätte man jedenfalls auch eine Aufklärungskampagne starten können, wofür das Demonstrationsrecht historisch eigentlich gedacht „war und ist“.
Nach den Anschlägen von Paris forderten Sicherheitsbehörden die Einführung der Fluggastdatenspeicherung – und das, obwohl kein einziger Attentäter mit dem Flugzeug angereist sei. Frankreich befinde sich im Ausnahmezustand und führe seit Langem die Vorratsdatenspeicherung aus, doch trotzdem gebe es weiterhin Anschläge in großem Stil. In Großbritannien gebe es Studien des Innenministeriums, dass trotz der in London herrschenden totalen Videoüberwachung (inklusive Zugriff auf private Kameras) nur 3% der Straftaten mit dieser Methode geklärt worden seien.
Was überraschend sei: Kaum einen Bürger interessiere es, dass seine Daten mannigfach gespeichert würden, so Bergler. Vielmehr gingen Viele extrem freizügig mit ihren Daten um, v.a. in den Sozialen Medien. „Was ist mit dem Bewusstsein für den eigenen Datenschutz passiert?“ Diese und weitere Fragen, beispielsweise zu „gefühlter Sicherheit“, zum wiederum unverhältnismäßigen Gesetz gegen Staatsverweigerer, zu der von Vielen nicht realisierten Gefahr der Vernetzung einzelner Daten, zur Sinnlosigkeit einer Flüchtlingsobergrenze oder zu Möglichkeiten, das Bewusstsein der Bevölkerung für Datenschutz wieder zu stärken, wurden am Podium diskutiert.
Österreich sei laut einer internationalen, jährlich erhobenen Studie das drittsicherste Land der Welt – die Notwendigkeit, hier noch massiv auszurüsten, sei also nicht wirklich gegeben. Vielleicht sollte man diese Studie auch dem Innenminister zukommen lassen:
Credits
Image | Title | Autor | License |
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Bergler – Wolff | Idealism prevails | CC BY-SA 4.0 | |
Scherak – Bergler-Video | Idealism prevails | CC BY-SA 4.0 |
[…] für diese Probleme gibt es Gesetze (und nein: Wir brauchen keine Verschärfungen, zuerst müssen die bestehenden evaluiert werden), die es zu exekutieren […]