Die erste Wanderung am Mount Everest
Am nächsten Tag müssen wir wirklich sehr früh aufstehen, um 5:30 Uhr, weil vor uns eine lange Wanderung liegt. Was das Wetter betrifft, ist es sehr kühl und man will gar nicht glauben, dass man mit Hitze im Laufe des Tages rechnen könnte – das ist das, was uns unser Guide prophezeite. Ich nehme mir als Frühstück eine Apfelpalatschinke mit einem „Chiya“, oder Milchtee (Schwarztee, der zusammen mit Milch und Zucker gekocht wird), und es schmeckt vorzüglich.
Bevor wir uns auf den Weg machen, spreche und scherze ich noch mit einem Einheimischen und meine, dass ich wie ein Christbaum aussehe, weil ich so viel um den Hals hängen habe. Und er: „Oh, Weihnachtsbäume, die habe ich in Südtirol gesehen.“ Das kann doch nicht wahr sein, was sagte er da? Südtirol?! Die kleine autonome Region in Norditalien, woher ich ursprünglich komme? War er denn jemals dort? Im Laufe unseres Gesprächs finde ich nun heraus, dass dieser Nepalese an einer Faschschule für Landwirtschaft in Südtirol studierte und auch Kontakt zu Reinhold Messner hatte: zu der Südtiroler Berglegende, die 1978 die erste Person – zusammen mit Peter Habeler – gewesen ist, die den Mt. Everest ohne zusätzliche Sauerstoffzufuhr bestieg, auch wenn die ganze Welt meinte, dass das etwas Unmögliches sei; 2 Jahre später wagte Messner den Aufstieg nochmals – diesmal von der tibetische Seite des Mt. Everests – und durfte sich als die erste Person der Welt nenne, die den Everest solo bestiegt. Da kann man nun wirklich sagen: Die Welt ist ein richtig kleiner Fleck!
Es ist schon 10 Uhr, als wir wirklich aufbrechen – und die Sonne zeigt bereits ihre volle Kraft. Wir passieren den Flughafen von Phablu und beobachten den Abflug eines örtlichen Hubschraubers. Das schaut mir eher nach einem Spielzeughelikopter aus, wie mein Bruder welche zum Spielen hatte, als wir noch Kinder waren. Real kommt er mir nicht vor. Irgendwie fürchte ich mich, auf der anderen Seite finde ich es auch aufregend.
Wir kommen an vielen Dörfern vorbei und sehen Kinder in ihren Schuluniformen, wie sie sich auf den Weg in Richtung Schule machen. Da Phablu das allerletzte Dorf ist, das mit dem Auto erreichbar ist, haben die Kinder keine andere Wahl als in die Schule zu pilgern – oft dauert ein Schulweg 3-4 Stunden – und das in eine Richtung. Ich fange an, mit ein paar Kindern zu reden, da ich unbedingt rausfinden möchte, wann die Schule beginnt. Die Kinder verraten mir, dass sie um 9 Uhr anfängt und um 15:00 Uhr aufhört und dass sie für die erste Wanderung zur Schule normalerweise sehr lange brauchen, ein paar Stunden, sie sind dann so richtig müde, aber am Ende laufen sie, um pünktlich in die Schule zu kommen.
Heute ist ein schöner und klarer Tag – kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen. Wir genießen die Flüsse, und der Pfad ist einfach wundervoll mit seiner prachtvollen Aussicht durch das gesamte Tal. Da ich so damit beschäftigt bin, die Aussicht zu genießen und einfach nur glücklich zu sein, dort zu sein, wo ich gerade bin, bemerke ich gar nicht, dass mir mein Rucksack schon so schwer geworden ist, dass sich auf meiner rechten Schulter sogar eine Zyste gebildet hat. Als wir eine Essenspause einlegen, kann ich endlich etwas Druck ablassen – und das fühlt sich großartig an.
Wir sind sehr hungrig, aber da sich die Köchin alleine in der Küche befindet und alles frisch zubereitet wird, wollen wir geduldig sein. Während ich warte, beobachte ich alles, was um mich geschieht, und es passiert so viel – es fühlt sich alles so irreal an, wie in einem Film: Es gibt viele Eselherden, manche auf dem Weg hinauf und manche auf dem Weg runter (Esel sind das Haupttransportmittel für Güter, die man in der Gegend so braucht). Weiters sehe ich vier Männer auf dem Weg ins Krankenhaus – sie tragen den Patienten auf einer Bambus- bzw. Holztrage: Das ist die sogenannte „Bergambulanz“; und ich sehe weitere Männer, sogenannte Träger, mit unglaublich schwerem Gepäck auf ihren Rücken. Sie haben alle Gurte um ihre Köpfe gebunden, um das Gewicht zu balancieren – und tragen dabei nur Pantoffeln.
Nach einiger Zeit fängt es plötzlich zu regnen an; schließlich befinden wir uns am Anfang der Monsunzeit, und das Wetter ist daher nicht vorherzusehen. Für mich ist es unbegreiflich, wie diese zwei Träger, die selber nicht mehr als 55 kg wiegen, so eine schwere Last überhaupt tragen können – und das auch noch einen so steilen, glatten Hang hinauf. Obwohl ich schon sehr müde bin und meine Schultern sehr schmerzen, und – als Highlight – es auch noch regnet, verwandeln sich diese Männer für mich in meine Inspiration. Ich sage zu mir: „Wenn die das können, dann kann ich das auch.“ Also sammle ich alle meine Kräfte und steige den Berg weiter rauf, Schritt für Schritt.
Der Weg ist sehr rutschig, und wir müssen besonders vorsichtig sein. Auf dem Weg treffen wir andere Wanderer: drei Inder, die sich ebenso abquälen; es ist gut, sich nicht allein zu fühlen. Als wir den Gipfel erreichen, hoffen wir, die Aussicht genießen zu können. Aber da es regnet und auch noch anfängt, nebelig zu werden, ist dies leider unmöglich. Die gute Nachricht: Ab da geht es nur noch bergab. Als Antwort auf die Frage „Wie lange noch?“, antwortet unser Guide, dass es noch ungefähr eine Stunde dauern würde. Später müssen wir leider feststellen, dass diese Stunde in Wirklichkeit 5 Stunden bedeutet …
Wir steigen den Berg „Taka Sindu“ hinab, und der Regen verwandelt sich in einen heftigen Sturm. Es blitzt und donnert – das ist angsteinflößend. Eine beträchtliche Zeit lang passieren wir keine Dörfer oder Menschen; jeder Schritt ist wie auf Glatteis, und das Gepäck auf dem Rücken drückt immer härter und stärker auf die Schultern, sodass es recht schwierig ist, Balance zu halten. Ich rutschte ein paar Mal aus, unzählige Male, aber wirklich umgekippt bin ich nur einmal. Als ich da so am Boden liege, will ich einfach nicht mehr aufstehen – ich habe keine Kraft mehr. Der Bergführer hilft mir aber auf und gibt mir seinen Stock, und das macht die ganze Sache etwas leichter. Zu diesem Zeitpunkt ist mir klar, dass, egal wie schwierig diese Situation auch sein mag, ich mich nicht alleine in dieser Situation befinde: Es ist für keinen der Beteiligten leicht. Weiters ist mir bewusst, dass ich mich selbst in diese Lage brachte und dass es einfach kein Aufgeben gibt: Niemand kommt und trägt mir mein Gepäck, niemand wird den Regen stoppen und niemand wird mich den Hang hinuntertragen. Jetzt hier im Regen aufzugeben, dient niemanden, es ist auch kein Schutz in Sicht und bald ist es dunkel. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Und das tue ich.
Nach geraumer Zeit kommen wir an Häusern vorbei und sehen Träger eine Tür auf ihren Schultern schleppen und kleine Kinder Bambus auf ihren Rücken. Sie wissen nicht Bescheid und werden es wohl auch nie wissen: Aber als ich sie sehe, geben sie mir die nötige Kraft, die ich brauche, um weiterzumachen – und ich danke ihnen dafür.
Als wir endlich Nunthala erreichen, das Dorf, in dem wir über Nacht verweilen, zittern meine Beine. Das ist mir noch nie in meinem ganzen Leben passiert, nicht einmal nach einem 8-stündigen-Bergmarathon. Ich bin erschöpft, völlig durchnässt und überall voller Schlamm.
Im Gästehaus schleppen wir uns die Stufen zu unseren Zimmern hinauf. Das Erste, woran ich bei der Ankunft denke: „Ich kann das alles nicht ohne Träger schaffen (mit einem Träger, der mir den Rucksack bis zum nächsten Ziel trägt) – das ist einfach unmöglich.“ Als ich wieder einigermaßen zu Kräften komme, ist mir bewusst, dass ich diejenige bin, die sich dafür entschieden hat, so viel zu tragen und dass ich das Problem dahingehend lösen werde, indem ich unnötigen Ballast einfach loswerde. Also bewerkstellige ich es, 3-4 kg im Gästehaus zu verstauen und hoffe inständig, dass der nächste Tag nicht noch so eine Tortur werden wird.
Nun gehen wir runter zum Abendessen und hängen unsere Kleider um die Heizung. Der Gästehaus-Inhaber sieht, wie wir mit unseren Kräften kämpfen und bietet uns einen hiesigen Reiswein an, einen sogenannten „Chaang“, um uns willkommen zu heißen. Er schmeckt vergleichbar mit nichts, was ich jemals zuvor probiert hatte, und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ihn mag oder nicht. Aber er ist heiß, und in jenem Moment fühlt es sich herrlich an!
Nach dem Abendessen versuche ich, meine Familie zu kontaktieren, aber wieder habe ich dasselbe Problem: kein Netzwerk und keine Elektrizität. Jetzt gönne ich mir eine feine „Pocket Shower“, die aus heißem Wasser in einem Topf zum Duschen besteht und gehe danach zu Bett. Ich bin sogar zu müde, mir Gedanken über die größte Spinne, die ich jemals sah und die gerade über meinen Polster spaziert, zu machen …
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen
Komplimente,mache weiter so….. Grüsse Papi
Komplimente,mache so weiter,dein Durst an Abenteuer und Nächstenliebe ist unersättlich,bravo,Grüsse von Papi
Danke lieber Papa 🙂