Mikrokredite: Kann Armut durch Unternehmertum überwunden werden?
Mikrokredite scheinen ein interessantes Mittel zur Überwindung der Armut in Entwicklungsländern zu sein. Doch hält das Konzept, was es verspricht?
Unter „Mikrokrediten“ versteht man Kredite mit sehr niedrigen Kreditsummen, die an Einzelpersonen oder kleine Gemeinschaften in Entwicklungsländern vergeben werden, um diesen Menschen die Gründung eines kleinen, selbstständigen Unternehmens zu ermöglichen. Durch diese spezielle Form des „Empowerments“ (was genau genommen „Ermächtigung“ bedeutet, im Deutschen aber besser mit dem Slogan „Hilfe zur Selbsthilfe“ verständlich wird) sollen die Bewohner benachteiligter Länder die Chance bekommen, selbst für eine wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen und ein ausreichendes Einkommen für sich und ihre Familien zu erwirtschaften.
In den ländlichen Gegenden der Entwicklungsländer bildet üblicherweise eine kärgliche Subsistenzlandwirtschaft die – zumeist unzureichende – Lebensgrundlage. Gelegenheit zu bezahlter Lohnarbeit gibt es kaum, und wenn doch, handelt es sich meistens um Tagelöhner-Tätigkeiten ohne zuverlässiges und regelmäßiges Einkommen.
In Industrieländern wird dieses Problem üblicherweise durch einen Bankkredit gelöst. Die meisten Menschen in Entwicklungsländern sind jedoch im herkömmlichen Sinn nicht „bankfähig“, weil sie weitestgehend besitzlos sind und keinerlei Sicherheiten bieten können: Ein regelmäßiges Arbeitseinkommen existiert nicht, Grundbesitz ist entweder nicht vorhanden oder nicht ausreichend belegbar. Von normalen Banken ist daher keine Hilfe zu erwarten. Informelle Geldverleiher nutzen diese Lücke aus und treiben ihre Klienten mit maßlosen Zinsen oft in eine langfristige Schuldknechtschaft. Handwerker sind in vielen Fällen abhängig von Rohstofflieferanten, die sie zu überhöhten Preisen beliefern, und Zwischenhändlern, die kaum einen Gewinn übriglassen.
Hier setzen spezielle, gemeinnützig orientierte Mikrokreditinstitute an. Das bekannteste davon ist die Grameen Bank, die 1976 in Bangladesch durch den Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus gegründet wurde. Yunus erlangte weltweite Aufmerksamkeit, als ihm und seinem Institut 2006 der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Die Grameen Bank, deren Konzept von zahlreichen weiteren Institutionen aufgegriffen und auch in anderen Ländern umgesetzt wurde, gewährt Kredite ohne die banküblichen materiellen Sicherheiten und setzt stattdessen vor allem auf die soziale Komponente, um die Rückzahlung zu gewährleisten:
Die dadurch entstehende soziale Kontrolle und gleichzeitige Unterstützung wird als einer der Erfolgsfaktoren des Modells genannt: Die Kreditnehmerinnen – es sind fast ausschließlich Frauen – seien bestrebt, ihre Kredite in jedem Fall zurückzuzahlen, um innerhalb ihrer Gesellschaft nicht das Gesicht zu verlieren.
Die Kreditnehmerinnen, die kaum unternehmerische Erfahrung und zumeist einen sehr niedrigen Bildungsstand haben, sollen aber auch langfristig beraten und unterstützt werden, um ein realistisches Konzept entwickeln und erfolgreich umsetzen zu können – so zumindest ist es vorgesehen. Bei seriösen Programmen sind auch Schulungen über Grundlagen der Unternehmensführung enthalten („finanzielle Alphabetisierung“).
In den noch immer offenkundig patriarchalisch geprägten Gesellschaften dieser Länder sind Frauen normalerweise stark benachteiligt. Durch eine erfolgreiche Unternehmensgründung können sie zu mehr Selbstbewusstsein innerhalb und außerhalb ihrer Familien finden und in dieser Hinsicht auch zum Vorbild für andere Frauen werden, so eines der Argumente für diese Bevorzugung.
Außerdem würde eine gezielte Förderung von Frauen das Armutsrisiko für deren Kinder entscheidend reduzieren, weil Frauen ihr Überschusskapital zumeist gezielt in die Schulbildung ihrer Kinder investieren würden. Und schließlich habe die Erfahrung gezeigt, dass Frauen sorgfältiger mit dem geliehenen Geld umgehen würden als Männer.
Erfahrungen aus der Praxis scheinen zumindest zu bestätigen, dass sich eher Frauen als Männer um die Versorgung der eigenen Familie kümmern, mehr Verantwortungsgefühl für andere Menschen zeigen und sehr verlässlich sind,
schreibt das „Mikrofinanz-Wiki“.
Die Vorteile des Konzeptes scheinen überzeugend: Mikrokredite seien eine Art „Entwicklungshilfe von unten“ und würden unternehmerische Energie freisetzen, anstatt ganze Gesellschaften zu passiven Almosenempfängern zu machen. Die Tatsache, dass das Kapital nur geliehen und nicht geschenkt sei, setze die Kreditnehmerinnen einem sanften Druck aus, tatsächlich unternehmerisch zu denken und sich eine nachhaltig funktionierende Existenz aufzubauen.
Bisher ist das Konzept der Mikrokredite insbesondere in Bangladesch und Indien, aber auch in Afrika und Südamerika zum Einsatz gekommen. Auch wenn Mikrokredite keineswegs als „Wundermittel“ gegen Armut in Entwicklungsländern angesehen werden können (dafür sind die Ursachen der Armut zu vielschichtig und zu komplex), berichten die Mikrokredit-Institute von zahlreichen positiven Fallbeispielen: In so gut wie allen Studien konnte eine Erhöhung des Einkommens durch Investitionen in ein eigenes Kleinunternehmen festgestellt werden“, heißt es im Mikrofinanz-Wiki (Bericht: Ökonomische Effekte durch Mikrofinanz). Die private Lebenssituation der Kreditnehmerinnen und ihrer Familien würde sich oft schnell und entscheidend verbessern, wird berichtet. Da die Kreditnehmerinnen ihr erwirtschaftetes Geld zumeist in der nahen Umgebung ausgeben, können lokale Wirtschaftskreisläufe in Gang kommen, die auch den Nachbarn etwas bringen.
Die Mikrokreditbanken berichten zudem von sehr niedrigen Ausfallraten: Üblich seien Rückzahlungsraten über 90%, die Grameen Bank hat nach eigener Aussage um die 95% (Bericht: Credit Delivery System). Das heißt, dass weniger als zehn Prozent der Kredite nicht zurückgezahlt werden können und von der Bank als uneinbringlich abgeschrieben werden müssten – ein im internationalen Vergleich sehr niedriger Wert. Die Befürworter des Modells sehen vor allem diese Quote als Beweis dafür, dass auch sehr arme Menschen grundsätzlich kreditwürdig seien und in funktionierende Wirtschaftskreisläufe eingebunden werden können.
Kann das Mikrokreditmodell also tatsächlich ein wirksames Mittel gegen Armut in Entwicklungsländern sein und vor allem Frauen durch gezieltes „Empowerment“ aus der Armutsfalle befreien? Nicht alle sehen das so – vor allem in den letzten Jahren gab es Kritik, die teilweise vernichtend ausfiel. Mehr dazu im zweiten Teil dieser Serie!
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2DU_Kenya4_(5367330322) | CIAT | CC BY-SA 2.0 |
[…] aus: In der Praxis habe nur ein sehr geringer Prozentsatz der Kreditnehmerinnen (wie in Teil 1 dargestellt, werden Mikrokredite fast ausschließlich an Frauen vergeben) es wirklich geschafft, […]
[…] Mittel gegen die Armut in Entwicklungsländern galt (wie im ersten Teil dieser Serie berichtet: Mikrokredite: Kann Armut durch Unternehmertum überwunden werden?), zog bald darauf scharfe Kritik nach sich – Teil 2 (Mikrokredite: Ein völlig falscher […]