Machtmissbrauch
Ein kommentierender Wochenrückblick
Wenn man von Macht spricht, dann ist Gewalt nicht weit. Nun sind weder Gewalt noch Macht per se negativ zu bewerten. Das ergibt sich aus einer etymologischen Betrachtung der Begriffe; historisch gesehen aber kann man zu ganz anderen Schlüssen kommen.
Der Begriff Macht taucht schon im Althochdeutschen als „maht“ auf. Gemeint waren damit zuerst (nämlich im 8. Jahrhundert) Vermögen, Körperkraft, Anstrengung, Vollmacht, aber auch Menge und Fülle, im 9. und 10. Jahrhundert dann auch die männlichen Genitalien (vgl. Gemächt). Gewalt wiederum, das auch aus dem Althochdeutschen stammt ist mit dem Verb walten verbunden und bedeutet ursprünglich Vollmacht, Herrschaft und auch Macht.
Menschlich ist es, dass aus allem, was den Menschen und der Welt dient, auch das Negative, Schädliche, Destruktive gemacht werden kann. Apropos „gemacht“: Auch hier ist Macht enthalten; und so gibt es auch die psychologische Interpretation des Begriffes, der uns darin erinnert, dass es in unserer Macht steht, „zu machen“ und wir nicht der Ohnmacht ausgeliefert sind.
Historisch betrachtet zeigt sich allerdings ein Machtgefälle und die Welt ließ und lässt sich auch heute noch in Mächtige und Ohnmächtige einteilen. Nicht umsonst hat sich so etwas wie eine Staatsgewalt gebildet, die sich durchaus gewaltvoll ermächtigt, Gesetze zu vollziehen (Stichwort: Polizeigewalt bzw. Militär). Diese Staatsgewalt ist in unseren demokratischen Staaten durch das Volk legitimiert. Die von uns gewählten politischen Vertreter haben die Macht, dies zu entscheiden. Sie bestimmen auch die Exekutive, unter anderem die Minister, die dann das Volk regieren und viel zu oft vergessen, dass sie als Diener (das lateinische „minister“ bedeutet genau das) der Bevölkerung bestellt sind.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass der britische Historiker Lord Acton davon gesprochen haben soll, dass Macht korrumpiert und absolute Macht absolut korrumpiert. Auch Johann Wolfgang von Goethe spricht im zweiten Teil seines Fausts davon („Man hat Gewalt, so hat man Recht“) und Friedrich Schiller bringt es im Gedicht „Die Weltweisen“ wie folgt auf den Punkt: „Im Leben gilt der Stärke Recht.“
Eine besonders heikle Entscheidung, die mit 1.3.24 in Kraft getreten ist, haben jene von uns beauftragten Politiker getroffen: So soll „Rasern“ nicht nur der Führerschein sondern auch das Auto abgenommen und dieses im Anschluss versteigert werden, was einen krassen Eingriff ins Eigentumsrecht darstellt und möglicherweise die Lust auf mehr solcher Maßnahmen entstehen lässt. Wenn man ganz dystopisch weiterdenkt, scheint es auch vorstellbar, dass bei von den Mächtigen als schwerwiegendes Fehlverhalten deklariertem Auftreten ebenfalls an Enteignung gedacht werden könnte. Aber lassen wir das lieber, um es nicht tatsächlich zum Leben zu erwecken.
In eine ähnliche Kerbe schlägt die einem tragischen und unannehmbaren Ereignis geschuldete Überlegung, die Strafmündigkeit von Jugendlichen zu verschärfen und sie bereits vor der Vollendung des 14. Lebensjahres eintreten zu lassen. Die Regierung hat auf Initiative der ÖVP nach der mutmaßlichen über Wochen dauernden Vergewaltigung einer 12-jährigen durch eine Jugendbande, bei der auch zwei unter 14-jährige Buben dabei waren, eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die unter anderem auch diese Maßnahme unter Einbeziehung von Experten ermöglichen soll. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler äußerte sich dazu wie folgt: „Der Rechtsstaat darf nicht zahnlos sein. Der Rechtsstaat soll sich durchsetzen können … und zwar in einer Art und Weise, dass es nicht endet mit zwei Wochen Fernsehverbot, sondern dass hier tatsächlich Sanktionen gesetzt werden gegenüber den Jugendlichen …“. Psychologen halten diesen Schritt für nicht angemessen. Man wird sehen, wer sich in dieser Sache durchsetzen wird.
Die eigene Macht zu missbrauchen wird in erster Linie Männern zugeschrieben – und tatsächlich ist es auf den ersten Blick auch so, dass psychische, physische und vor allem sexuelle Übergriffe vom ob solchen armseligen und unmenschlichen Verhaltens eigentlich gar nicht so starken Geschlecht ausgehen. Das ist paradoxer Weise aber auch ein Zeichen der Ohnmacht, die sich in einem Sich-der-Situation- oder im schlimmsten Fall einem Sich-des-Anderen- bzw. des-Schwächeren-Bemächtigen entlädt.
Schade ist, dass der auch von mir schon oft kritisierte Staatsfunk nun in einer Sache in die Kritik geraten ist, die ich ihm gerne hoch anrechnen möchte. In der Sendung „Kulturmontag“ von dieser Woche, wurde Paulus Manker „eine Bühne gegeben“, um zu den gegen die in einer Dokumentation geäußerten Missbrauchsvorwürfen Stellung zu nehmen. Tatsächlich hat er sich da aber bloß als der geoutet, der er ist – und sich selbst damit in dieser Causa wohl eher einen Bärendienst erwiesen. Die besagte Doku hat ordentlich Staub aufgewirbelt und ein ohnehin offenes Geheimnis ins Licht der Öffentlichkeit gerückt – mit hoffentlich entscheidenden Folgen, die die gesamte Branche in ein besseres Fahrwasser bringen.
Grauenhaft auch der Beitrag über ein in Deutschland bundesweit aktives Netzwerk aus Sozialpädagogen, Behörden und Wissenschaftlern, das offenbar bis in die 2000er Jahre sexualisierte Gewalt in der Kinder- und Jugendhilfe gedeckt hat. Gemäß einer Studie der Universität Hildesheim „erstreckte sich das Netzwerk um den 2008 gestorbenen Sexualwissenschaftler Helmut Kentler von Göttingen aus über Berlin, Hannover, Tübingen, Lüneburg und die Odenwaldschule in Hessen“, so die Worte auf der Website des ZDF. Jene, die Kinder und Jugendliche schützen sollen, sollen ihre Macht massiv missbraucht und sich an ihren Schutzbefohlenen vergangen haben.
Nach solchen Berichten werden international zelebrierte Welttage für Kinder oder auch Frauen (dieser wird alljährlich am 8. März begangen) zur Farce. Wenn es darüber hinaus nicht gelingt, den Jüngsten gegenüber die ihnen zustehende Achtung und Wertschätzung zu zeigen, in dem man weltweit Rahmenbedingungen schafft, die genau das zum Ziel haben, dann ist Hopfen und Malz wirklich verloren. Das gleiche gilt für den Respekt vor dem jeweils anderen Geschlecht. Die von der UNO bzw. vom Europarat proklamierten Menschen- und Kinderrechte, wonach alle Menschen gleich an Rechten und Würde geboren sind, sind so betrachtet das Papier nicht wert, auf dem sie vor Jahrzehnten geschrieben wurden. Das ist nicht nur traurig, es macht wütend und ist furchterregend. Was ist bloß aus der vielzitierten Weiterentwicklung der Menschheit zum so genannten Homo sapiens sapiens geworden; hat sie jemals stattgefunden?
Ähnlich verhält es sich auch mit der Meinungs- und Pressefreiheit. Nicht oft genug kann man aktuell seine Stimme für den Investigativjournalisten und WikiLeaks-Gründer Julian Assange erheben, wie das zuletzt etwa Ortwin Rosner im Online-Magazin fürs FreiSein „Unsere ZeitenWende“ oder ich selbst mit einem E-Mail Appell für dessen Freilassung an Bundespräsident, Außenminister und die Klubobleute im österreichischen Parlament gemacht haben. Nehmen wir uns die Macht, das scheinbar Unmögliche zu ermöglichen und jenen, die ihre Macht missbrauchen, in ihre Schranken zu weisen.
Solche Initiativen braucht es dringend auch in den unsäglichen Kriegen auf dieser Welt, unter anderem im Ukraine-Russland-Konflikt, in dem immer noch lieber daran gebastelt wird, die jeweils andere Seite militärisch zu besiegen, als sich um ernsthafte Friedensgespräche zu bemühen, mögen sie auch noch so mühsam sein. Auch die militärische Intervention Israels im Gazastreifen bringt wöchentlich neue Greueltaten ans Licht, die dem Vergeltungswahn der Führung des Landes für den vollkommen jenseitigen Terrorangriff der Hamas geschuldet sind.
Es liegt durchaus in unserer Macht, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. An diesem Sonntag finden in Salzburg Gemeinderatswahlen statt und es scheint so, dass in einer als reich geltenden Stadt tatsächlich die Kommunisten mitbestimmen könnten; auch die Wahl ihres Spitzenkandidaten zum Bürgermeister ist nicht ausgeschlossen. Allein diese Möglichkeit zeigt, dass die, die an der Macht sind, diese nicht zum Nutzen der Bevölkerung eingesetzt haben. Mit Unterstützung von „Mehr Demokratie“ und der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung wurde ein Ersatz für die derzeit aufgrund fehlender Finanzierung ruhend gestellte Website von „wahlkabine.at“ auf die Beine gestellt. Auf der Website von „voto“ kann man durch Beantwortung von Fragen, die eigenen politischen Präferenzen herausfinden, die die eigene Wahlentscheidung unterstützen können.
Und auch was die EU-Wahl betrifft, kommt Bewegung in die politische Landschaft. Die Ärztin Maria Hubmer-Mogg, die sich in den Corona-Jahren als Vorkämpferin für die Menschen- und Freiheitsrechte einen Namen gemacht hat, gab diese Woche die Gründung einer Wahlbewegung mit dem Namen DNA bekannt, mit der sie bei der Wahl zum Europäischen Parlament antreten wird.
Es gab und es gibt also jede Menge Möglichkeiten, die Macht zu nutzen, die einem zusteht und die man nicht an andere abgeben sollte. Die Herausforderung besteht einzig und allein darin, sich dieser Tatsache bewusst zu sein und aktiv entsprechende Schritte zu setzen. Auf andere zu bauen und zu vertrauen ist nur der zweitbeste Weg – und der will gut überlegt sein; denn nicht jeder weiß, wie er mit der ihm übertragenen Macht gut und im Sinne der Menschen umgehen kann.
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