Letzter Akklimatisierungstag

Aussichtspunkt in Dingboche
Lebenswelten

Ich wache auf im Morgenlicht, das in unser Zimmer fällt, und als ich aus dem Fenster sehe, bin ich absolut VERZAUBERT. Überall um uns herum sind riesige, schneebedeckte Berge zu sehen. Es fühlt sich an, als ob ich noch träumen würde! Nach dem Frühstück gehen wir noch einmal zum Kloster, um der Puja, dem buddhistischen Gebetsritual, beizuwohnen. Danach sind wir bereit, um zu unserem nächsten Ziel aufzubrechen: Dingboche, noch einen Schritt näher am Everest-Basislager.

(aus „Das Leben eines Trägers“ )

Als wir Tengboche verlassen, gehen wir zunächst bergab durch eine Allee, deren Bäume eine Art Korridor bilden. Zu unserer Linken passieren wir ein Nonnenkloster, und vor den Häusern, an denen wir vorübergehen, sehen wir spielende Kinder, während die Frauen auf den Feldern arbeiten.

Nach der Überquerung einer Brücke führt unser Pfad bergauf – das ist keine Überraschung, denn immerhin liegt unser Ziel Dingboche 4.440 Meter über dem Meeresspiegel, und wir müssen einen Höhenunterschied von 570 Metern überwinden.

Der Pfad ist eigentlich nicht wirklich steil, aber je höher wir steigen, umso weniger Sauerstoff ist in der Luft enthalten. Es wird langsam ziemlich anstrengend, und ich kann meinen eigenen Atem hören, der mehr und mehr an ein altes, rostiges Auto erinnert.

Gepäcktrager in entgegengesetzer Richtung unterwegs

Nachdem wir Tengboche verlassen haben, ändert sich die Landschaft. Noch vorgestern waren wir von Kiefern umgeben, aber schon gestern waren nur mehr ein paar trockene grüne „Büsche“ und hin und wieder einzelne größere Bäume zu sehen. Unser Tourguide sagt uns, dass wir den Anblick genießen sollen, denn die Landschaft werde sich bald noch stärker verändern, langsam nur, aber sehr deutlich.

Als wir unseren Weg fortsetzen, können wir die Schönheit dieser Umgebung genießen, die friedvolle Atmosphäre, die durch die Stille bestimmt wird, die Gebetsfahnen und die Stupas. Wir schauen zurück und blicken zum letzten Mal auf die schneebedeckten Bergspitzen, bevor sie von dichten Wolken eingehüllt werden.

Der Pfad, der am milchig-weißen Fluss entlangführt, ist wunderschön und bietet absolut atemberaubende Blicke in das Tal. Wir durchqueren einige Dörfer, in denen ein paar der Einheimischen ihre Gästehäuser putzen, weil die Saison zu Ende ist. Wir haben eine großartige Aussicht auf die Felder, die auf malerische Art voneinander abgeteilt sind. Und wir haben auch das Glück, ein paar Yaks zu sehen, die gerade eine Pause machen und ihr Mittagessen genießen.

Die Landschaft ändert sich nun dramatisch. Als wir gestern losgegangen sind, gab es noch ein paar grüne Büsche, doch seitdem wir eine bestimmte Höhe überschritten haben, sehe ich fast nur noch große graue Steine und Felsen um mich herum. Zusammen mit dem wolkigen Wetter ergibt das einen sehr düsteren, fast schon traurigen Eindruck.
Als wir uns Dingboche nähern, bin ich sehr froh darüber, dass wir morgen unseren zweiten Akklimatisierungstag haben. Das bedeutet, dass wir am Morgen ausschlafen und einfach den Tag genießen können, ohne unsere schweren Rücksäcke tragen zu müssen.

Nachdem wir unser Gepäck abgelegt haben, denken wir nicht einmal daran, uns frisch zu machen; stattdessen gehen wir ein wenig im Dorf umher und suchen nach einer Bäckerei. Wir finden gleich mehrere, und bald haben Francis, Fatima und ich in einer davon Platz genommen und erholen uns bei einem Kuchen. Aus der Ferne sehen wir unsere drei indischen Freunde (Sourabh, Dhruv und Toni) herankommen, und mit ihnen zusammen gehen wir zurück zu unserem Gästehaus. Am Abend sitzen wir alle um den Ofen herum, der direkt in der Mitte des Raumes aufgestellt ist.

Da sonst keine Gäste im Haus sind, freuen wir uns über die Gesellschaft; wir unterhalten uns lange und schlürfen dabei Tee mit Milch. Ich bin so erschöpft, dass ich die Hälfte der Unterhaltung versäume, weil ich auf einer Bank einschlafe. Nach einiger Zeit, als alle zu gähnen beginnen, sagen wir einander gute Nacht. Von unseren indischen Freunden verabschieden wir uns schon jetzt, weil sie bereits am frühen Morgen aufbrechen wollen, ohne einen Akklimatisierungstag einzulegen – sie wollen weiter zum Gokyo-See. Ich gehe in mein Zimmer und falle buchstäblich ins Bett.

Gemeinsames Beisammensitzen in der Unterkunft in Dingboche

Es ist jetzt Morgen, und am heutigen Tag werden wir uns akklimatisieren, um unsere Körper an die Höhe zu gewöhnen. Ich entschließe mich, es heute mal ganz ruhig angehen zu lassen. Ich nehme mir Zeit fürs Frühstück und genieße es, mich einfach ein bisschen entspannen zu können. Unser Guide schlägt vor, dass wir einen kleinen Spaziergang zu einem Aussichtspunkt unternehmen könnten, wenn uns danach ist; das würde die Akklimatisierung unterstützen, denn unser nächstes Ziel ist höher gelegen als Dingboche.

Mir ist eigentlich überhaupt nicht nach Bewegung; aber gleichzeitig möchte ich auf keinen Fall etwas versäumen, also ziehe ich meine Schuhe an und mache mich bereit. Ohne Rucksack zu gehen fühlt sich echt seltsam an, so sehr habe ich mich daran gewöhnt – der Rucksack wird fast zu einem Teil von dir, wenn du darin alle wichtigen Dinge mit dir herumträgst.

Als wir oben ankommen, ist aber schon alles vom Nebel eingehüllt, und der Wind macht es zusätzlich sehr unangenehm, länger hier zu bleiben. Es ist fast unmöglich, die wunderbare Aussicht zu genießen – morgen wird es hoffentlich besser werden. Wir machen ein paar Fotos und beginnen mit dem Abstieg.

Wir sind schon recht nahe an unserem Gästehaus, als wir eine grasende Yakherde sehen. Es sind sogar zwei Kälber dabei, die herumtollen, eines davon ganz schwarz und das andere mit weißen Flecken in seinem schwarzen Pelz. Sie sind unglaublich süß, und ich sehe ihnen eine Weile zu – halte dabei jedoch Abstand, weil ich weiß, dass Yakmütter sehr gut auf ihre Kleinen aufpassen und dabei möglicherweise auch gefährlich werden können. Als wir schließlich weiter zum Gästehaus gehen, nutzen wir die Gelegenheit, um einen näheren Blick auf das lokale Leben zu werfen. Zu unserer Linken arbeiten einige Einheimische mit getrocknetem Yakdung, den sie als Brennmaterial verwenden.

Nachdem wir beim Gästehaus angekommen sind, entscheide ich, mir den Rest des Tages freizunehmen, um ein bisschen zu dösen und ein Buch zu lesen. Ich esse abgelaufene und überteuerte Snickers, weil ich unbedingt Schokolade haben muss!

Es fühlt sich wirklich gut an, einfach zu entspannen und einen Tag lang nichts zu tun – das brauche ich wirklich mal.

Da morgen ein großer Tag ist, bereite ich noch ein paar Dinge vor und gehe früh schlafen. Morgen werden wir noch weiter hinaufsteigen, und dann ist das Everest-Basislager fast um die Ecke …

Hoffen wir auf gutes Wetter!

Von Tengboche (3.870 m) nach Lobuche (4.940 m) über Dingboche (4.440 m)

Gute Nacht

Übersetzung Englisch-Deutsch: Martin Krake

Credits

Image Title Autor License
Die Ausscheidungen der Yaks dienen als Brennmaterial Die Ausscheidungen der Yaks dienen als Brennmaterial Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Baby-Yak Baby-Yak Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Yak-Familie Yak-Familie Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Aussicht auf Dingboche 3 Aussicht auf Dingboche 3 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
View of Aussicht auf Dingboche 22 Aussicht auf Dingboche 2 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Aussicht auf Dingboche 1 Aussicht auf Dingboche 1 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Gemeinsames Beisammensitzen in der Unterkunft in Dingboche Gemeinsames Beisammensitzen in der Unterkunft in Dingboche Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Träger beim Transport von Baumaterial nach Dingboche Träger beim Transport von Baumaterial nach Dingboche Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Unterwegs nach Dingboche 2 Unterwegs nach Dingboche 2 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Unterwegs nach Dingboche 1 Unterwegs nach Dingboche 1 Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Yak beim überqueren des "milchigen" Flusses Yak beim überqueren des „milchigen“ Flusses Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Felder entlang des Weges Felder entlang des Weges Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Yaks genießen ihr Mittagessen Yaks genießen ihr Mittagessen Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Faszinierende Aussicht aufs Tal Faszinierende Aussicht aufs Tal Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Die Unterkunft wird geputzt Die Unterkunft wird geputzt Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Stupa entlang des Weges Stupa entlang des Weges Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Gebetsfahnen entlang des Weges Gebetsfahnen entlang des Weges Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Träger unterweges in entgegengesetzer Richtung Träger unterweges in entgegengesetzer Richtung Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Abreise aus Tengboche, Träger beim Gepäcktransport Abreise aus Tengboche, Träger beim Gepäcktransport Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Wir verlassen Tengboches Allee der Bäume Wir verlassen Tengboches Allee der Bäume Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0
Aussichtspunkt in Dingboche Aussichtspunkt in Dingboche Isabel Scharrer CC BY-SA 4.0