„Populismus“ – ein Überblick
Veranstaltungsdaten
- Datum
- 2. 4. 2017
- Veranstalter
- Europa im Diskurs
- Ort
- Burgtheater
- Veranstaltungsart
- Podiumsdiskussion
- Teilnehmer
- Heinz Bude, Professor für Soziologie, Uni Kassel
- Jan-Werner Müller, Professor für Politikwissenschaft, Princeton, IWM Fellow
- Karin Priester, Politikwissenschaftlerin, WWU Münster
- Roger Köppel, SVP
- Christian Kern, Bundeskanzler von Österreich
- Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des Standard, Moderation
Zur Veranstaltung „Europa im Diskurs – Leben wir im Zeitalter des Populismus?“ begrüßt Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des Standard, Karin Priester, Politikwissenschaftlerin aus Münster, Heinz Bude, Professor für Soziologie aus Kassel, Jan-Werner Müller, Professor für Politikwissenschaft in Princeton und IWM Fellow, Roger Köppel, Schweizerische Volkspartei (SVP), und Christian Kern, Bundeskanzler von Österreich.
Es wird die Frage behandelt, ob wir uns im Zeitalter des Populismus befinden. In vielen europäischen Staaten, aber auch weltweit, scheint der Populismus auf dem Vormarsch zu sein. Das wirft auch grundlegende Fragen für unsere liberale Demokratie und Gesellschaft auf.
Frau Priester, Sie haben sich intensiv mit der Historie beschäftigt, wie ist Ihre Begriffsklärung?
Karin Priester:
Als ich begann, mich mit dem Populismus zu beschäftigen, galt er gar nicht als europäisches, sondern vielmehr als ein außereuropäisches Phänomen, das man als Bewegung in Ländern, in denen die sozialen Unterschiede enorm sind, erklärte. Man glaubte, das könne in Europa nicht passieren, denn erstens sind wir industriell viel weiter entwickelt und zweitens haben wir hier starke Arbeiterbewegungen, die die Interessen der Unterschicht vertreten.
In Europa spricht man erst seit den 70er-Jahren von populistischen Bewegungen – der eigentliche Aufschwung des Begriffs kam nach 1989.
Der Populismus ist ein flexibles und chamäleonartiges Phänomen, das man nur von Land zu Land definieren kann. Es gibt aber einen roten Faden, nämlich die Polarisierung zwischen ‚wir‘ und ‚den Anderen‘. Wer ‚wir‘ sind, ist relativ klar: das Volk – und zwar mittlere und untere soziale Schichten.
Populismus sehe ich abschließend als Protestbewegung von Menschen, die sich von der Politik ausgeschlossen fühlen, weil sich, so ihre These, die vorherrschenden Parteien zu einem Kartell zusammengeschlossen hätten.
Herr Müller, wie sieht Ihre Definition von Populismus aus? In einem „Standard“-Interview haben Sie gesagt: „Populismus ist der Schatten der Demokratie, er ist ein spezifisch modernes Phänomen“…
Jan-Werner Müller:
Wenn die Redenschreiber von Donald Trump die Ambition gehabt hätten, einen Beitrag zu leisten zu einem Lehrbuch über Populismus, so müsse man diese dazu beglückwünschen. Man erinnere sich vielleicht noch an die Rede zur Amtseinführung im Januar, in der Trump sagte: „Heute ist die Macht ans Volk zurückgegeben worden.“ Also wenn Trump regiert, regiert das Volk.
Nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist dadurch automatisch ein Populist. Populisten sind jene, die sagen: ‚Wir und nur wir repräsentieren das wahre Volk!‘ Oder wie die Populisten es auch gerne sagen: ‚die schweigende Mehrheit‘.
Das hat zwei für die Demokratie aus meiner Sicht schädliche Konsequenzen: Erstens sagen Populisten, dass alle anderen Mitwettbewerber um die Macht grundsätzlich illegitim seien; wobei Populisten aber nicht einfach kritisieren – wie das in einer Demokratie ja durchaus sein darf -, sondern sie moralisieren und personalisieren. Denken Sie an die extremen Dinge, die Donald Trump seiner Kontrahentin im Wahlkampf vorwarf. Für Populisten ist das aber keine Ausnahme.
Die zweite Konsequenz ist die, dass Populisten jene Menschen, die anderer Ansicht sind und sie deswegen nicht unterstützen, in Frage stellen und als zum Volk nicht zugehörig betrachten. Man denke an die Triumphrede von Nigel Farage während der Nacht des Brexit-Votums: „A victory for real people.“ Das impliziert ja nichts anderes, als dass die 48%, die in der EU bleiben wollten, irgendwie nicht „real“ seien, also nicht wirklich dazugehören.
Beim Populismus geht es nicht so sehr um das Anti-Elitäre, sondern vielmehr um den Anti-Pluralismus.
Herr Bude, wie sieht der Populismus aus Sicht eines Soziologen aus?
Heinz Bude:
Ich unterscheide populäre Politik von populistischer Politik. Jede Politik, die erfolgreich sein will, muss populär sein. Populär bedeutet Zuspitzung, eine „Wir-Ihr“-Konfrontation, man muss die Dinge auf den Punkt bringen.
Was mir bei Populisten auffällt, sind die Ressentiments – es ist eine Re-Inszenierung einer affektiven Grundkonstellation des Gekränktseins, der Absetzung und der Minderschätzung.
Der ressentimentbesetzte Populist evoziert diese Situation immer wieder, und die Leute wollen sie immer wieder erleben. Und diese Kränkung muss einen Ausdruck gewinnen. Das ist Trumps Formel: „Ich kenne eure Kränkung, und wenn eure Stimme bei mir ist, dann wisst ihr, dass ich mir dieser Kränkung bewusst bin.“ Donald Trump hat ein Gespür für diese Gekränktheit, und das ist der Erfolg der populistischen Politiker.
Fakt ist: Es werden viele Menschen gekränkt und viele herabgesetzt; andere haben auch den Eindruck in unserer Gesellschaft, dass ihre Lebensleistung, ihre Vorstellung, wie die Welt zu sein hat, mindergeschätzt wird.
Roger Köppel, Sie gehören der SVP an, die auch als rechtspopulistisch gilt – riechen Sie die Kränkung?
Roger Köppel:
Ich bin Schweizer und lebe in einer direkten Demokratie, die gerne als populistisch bezeichnet wird, v.a. dann, wenn die Schweizer so abstimmen, wie es allgemein als nicht angemessen angesehen wird. Wenn Sie in einer direkten Demokratie aufwachsen, lernen Sie von Anfang an, dass die Bürger/innen bestimmen, nicht die Politiker. Daraus folgt, dass die Politiker die Bürger/innen in ihren Anliegen, ihren Meinungen, ihren Vorurteilen und manchmal auch absurden Vorstellungen ernst nehmen müssen.
Wenn die Schweizer jetzt z.B. kein Mitglied der EU werden wollen, kann man sie als Hinterwäldler bezeichnen und meinen, sie hätten Ressentiments, aber so lassen sich Menschen nicht überzeugen.
Sie müssen sich auseinandersetzen, Sie müssen sie widerlegen. Und hier habe ich mein Problem mit dem Begriff des Populismus: Das ist ein Kampfbegriff, gegen die anderen, gegen die Opposition, gegen die, die eine Meinung haben, die nicht passt. Ich bin für die Diskussion, auch mit den sogenannten Populisten.
Ich freue mich darüber, dass die Bereitschaft, mit Populisten zu sprechen, zunimmt, die Ausgrenzung mit diesen Kampfbegriffen funktioniert immer weniger. Und es gibt vernünftige Anliegen, derer man sich als Politiker annehmen muss. Und Unvernünftiges sollte widerlegt werden und die Kommunikation mit den Leuten fortgeführt werden.
Herr Kern, ist Populismus ein Kampfbegriff?
Christian Kern:
Zwei Punkte halte ich für ganz entscheidend, und da knüpfe ich an Herrn Budes Rede an: die Ressentiments, die den Kurs ganz entscheidend bestimmen. Da muss zwischen der wissenschaftlichen Definition von Populismus und der politisch-praktischen unterschieden werden.
Diese Ressentiments sind die uralte harte Rechte; ich sehe da keine moderne Entwicklung, sondern diese Ausgrenzung, dieses Gegeneinander, das hat immer schon rechte Ideologien ausgezeichnet.
Am besten definierte Frau Gertrude den Populismus, in dem sie sagte, das Beleidigen, das Schlechtmachen, keine Achtung vor dem anderen, keinen Respekt zu haben, das haben wir alles schon mal erlebt, und es ginge darum, das Schlechteste, das Niedrigste aus den Menschen hervorzuholen und nicht das Anständige.
Deshalb finde ich die Bezeichnung ‚populistisch‘ schon fast zu harmlos, denn man muss es beim Namen nennen und aufklären, dass das ein demagogischer Diskurs ist, der darin besteht, im anderen Feindbilder zu produzieren.
Und dann komme ich zu dem Punkt, der mich vom Herrn Köppel trennt: Permanent ist die Rede von Migration, Flüchtlingen, Identität und kulturellen Irritationen. Der Dialog in Österreich sieht so aus, dass die Probleme der Gesellschaft grundsätzlich und ausschließlich auf die Migranten zurückgeführt werden. Genau davon müssen wir wegkommen, denn dieser Kurs verstellt die Sicht auf die wahren Probleme.
Im zweiten Teil der Diskussion wird der Frage nach dem Linkspopulismus nachgegangen und die Entwicklung in der nächsten Zeit eingeschätzt.