Eine Ode auf das Land – meine Kindheitserinnerungen
Irgendwann kommst du mit Müh und Not in der Arbeit an. Der Deutschkurs beginnt. Die Sonne scheint. Das Fenster muss geschlossen bleiben, weil unten eine Hauptverkehrsstraße vorbeiführt. Bei offenem Fenster beträgt die akustische Umweltverschmutzung auf einer Skala von 1 bis 10 den Wert 10.
(Aus: „Was zum Henker mache ich hier?„, Teil 1)
Das Land
Ich verbrachte fast die Hälfte meiner Kindheit in Polen in der Ortschaft meiner Großmutter. Es war eine kleine Ortschaft, damals mit ca. 5.000 Einwohnern. Dort hat sich jede Familie selbst versorgt. Sogar in Wohnsiedlungen wurden Schweine im Keller gehalten, es gab Räucheröfen im Hof, Hendl und Kaninchen im Schrebergarten, eine Taubenzucht auf dem Dachboden, eine Kröte im Kanalschacht. Nicht zu vergessen: Fast jeder Haushalt hatte eine 50-Liter-Boutillie in der Wohnung stehen; meine Großmutter setzte Wein aus schwarzen Johannisbeeren an, denn beinahe über die Hälfte der Einwohner besaßen noch einen zweiten Schrebergarten, gedacht für Gemüse- und Obstanbau.
Meine Familie hatte sehr viele Johannisbeersträucher, Zwetschken-, Apfel- und Kirschbäume und auch einen sehr alten Walnussbaum. Es wurde auch Standard-Gemüse angebaut: Paradeiser, Gurken, Bohnen, Zwiebeln, Erdäpfel und Radieschen. Für eine Gemüsesuppe im Sommer hatten wir reichlich eigene Zutaten. Als die Gurken reiften, war der Herbst nicht mehr weit. Dies hieß: Es war Zeit für die Vorbereitung für den Winter. Im Durchschnitt produzierte ein Haushalt ca. 100 Salzgurkengläser. Die Kellerabteile wurden mit Wurzelgemüse befüllt, das in Sandkisten gehalten wurde, damit es den Winter übersteht.
Heute verfällt das Gut langsam. Die Eigentümer sind entweder umgezogen oder leben nicht mehr. Die Nachkommen zeigen wenig bis gar kein Interesse an Selbstversorgung. Wozu auch, wenn nebenan Supermarktketten das ehemalige Landschaftsbild modifiziert haben? Als Kind lernte ich von meinen Großeltern alles, was ein Kleingärtner zum Überleben braucht – und das noch vor der Volksschule.
Als naturverbundener Mensch ist mir das Leben auf dem Land sehr wichtig. Ich bevorzuge die qualitative Nahversorgung und deren Vorteile. Das ist besser als das in Plastik verpackte „Menschenfutter“ in den Supermärkten. Schließlich will ich wissen, woher mein Produkt kommt und wer es produziert.
Von der Atmosphäre her ist es tatsächlich ruhig, überall. Auch das Essen ist qualitativ hochwertig. Das Wohnen ist im Vergleich zu einer Großstadt um eine Spur günstiger. Diese Faktoren spielten eine entscheidende Rolle in meiner festen Entscheidung, aufs Land zu ziehen.
Was du aber beachten musst, wenn du deinen Wohnsitz verlegst, ist die örtliche Infrastruktur in Reichweite ohne Auto. Um am Land existieren zu können, brauchst du:
- Internet
- Amtshaus
- Arzt und
- einen Greißler für die Grundnahrungsmittel.
Ziehst du mit deinen Kindern aufs Land, beachte, ob es einen Kindergarten und eine Schule im Ort gibt. In meiner Ortschaft müssen die Kinder die ersten zwei Volksschulklassen in der Schule einer anderen Ortschaft verbringen. Das hat den Vorteil, dass Kinder durch das Reisen in eine andere Ortschaft viel selbstständiger werden. Wenn sie nämlich, so wie ich, bereits ab der 1. Klasse alleine mit dem Bus in die Schule geschickt werden.
Die Luft ist frisch. Man bekommt weniger Falten im Gesicht. Die Wälder sind der Nase nach sehr schwammerlreich. Mal kitzelt ein rustikales Lüftlein von der Kuhweide meine Nasenhärchen, mal der Duft von abends beheizten Holzöfen in Häusern.
Nachts rauscht der Bach und erinnert mich an das Rauschen eines Radios. Sonntags zu Mittag läutet die Glocke der Kirche, samstags heult die Sirene der Feuerwehr. Da braucht der Mensch keine Uhr. Das ist mir alles tausendmal lieber als ein Hupkonzert in einer Großstadt, Schimpfereien in den Öffis und abstruse Gerüche, die penetrant die Nase durchbohren. Du denkst dir ständig nur: Raus aus der „Sardinenbüchse„.
Wenn du von der Großstadt die Autobahn Richtung Westen nimmst, fährst du in der von Smog erfüllten Dunsthaube in die klare Helligkeit durch eine Art Wetterschleuse, in der es bis jetzt immer regnet und Nebelschwaden über die Bahn ziehen.
Es ist, als ob du mit dem Auto von einer Welt in eine andere Welt hinübergleitest.
Nachdem du die „Schleuse“ passiert hast, bemerkst du die Veränderung in der Umgebung. Berge, Bäche, Wälder. Du spürst die von Schmutz befreite Luft, die Temperatur wirkt belebend. Es ist in meiner Wahrnehmung einfach eine schönere und bessere Welt. Positive Kindheitserinnerungen werden in mir geweckt.
Meine jetzige Ortschaft zählt knapp 900 Einwohner. Es gibt ein paar Schritte entfernt: einen Greißler, ein Amtshaus, einen Hausarzt, eine Bushaltestelle, eine Bank, einen Sportplatz, eine Sporthalle, einen Kindergarten und eine Volksschule. Fünfundvierzig Minuten von den Großstädten mit dem Auto entfernt.
Die Ortschaft liegt im Bergland des Mostviertels, fast die Hälfte der Fläche ist bewaldet. Amtswege können vor Ort erledigt werden oder per Internet. Wenn du das Internet hier nutzen willst, bist du auf einen einzigen Internetprovider angewiesen, der scheinbar eine Monopolstellung in dieser Ortschaft inne hat.
Die Freizeitgestaltung kann durch den Besuch bei der Köhlerei oder im Bauern- und Handwerksmuseum verschönert werden. In der Nacht wird dir der Sternenhimmel in der Volkssternwarte näher gebracht, begleitet von Vorträgen und Führungen. Zur Weihnachtszeit ist der Perchtenlauf.
Ich liebe mein Leben auf dem Land. Alle fünf Sinne können sich vollstens entfalten. Der Geruch der bäuerlichen Umgebung, das Fühlen des Wetters, der Geschmack der Regionalprodukte, die Sicht auf die Berge, der nächtliche Sternenhimmel und die Geräuschekulisse der Wälder.