Kurznachrichten oder die Buberlprotokolle

Politik

Am 19. April 2021 nahm der BSA die aus den Ermittlungsakten bekannt gewordenen Kurznachrichten der ÖVP-Führungsriege rund um Kanzler Kurz unter die Lupe. Moderator Mag. Maximilian Eberl rekapituliert zu Beginn die Situation und den aktuellen Wissensstand.

Die stellvertretende Bundessprecherin der Grünen, Nina Tomaselli, sieht die Hauptaufgabe für Politiker und Journalisten darin, in der ständig steigenden Fülle an belastendem Material den Überblick zu bewahren. Die Chatprotokolle sind Beleg dafür, was unter der türkisblauen Regierung an Postenschacher und Korruption abgelaufen ist. Und dies still und heimlich, an der Kontrolle des Parlaments vorbei.

Am erschreckendsten war für Petra Stuiber, stellvertretende Chefredakteurin des Standard, die Nonchalance, mit der die handelnden Personen den Postenschacher betrieben haben. Parteipolitische Postenbesetzungen gab es schon immer; aber sich schriftlich darüber auszutauschen, obwohl man weiß, wie unsicher Chatplattformen sind, zeugt von einem Gefühl der Unangreifbarkeit, das seinesgleichen sucht. Es sei auch nie darum gegangen, bestimmte Argumentationslinien für eine Besetzung abzustimmen, sondern schlicht darum, den Posten einer favorisierten Person zuzuteilen. Die Relativierungsstrategie der Türkisen, ihre Besetzungen wichtiger Posten im Staate Österreich mit jenen der Grünen zu vergleichen, sei leicht als poltische Finte zu durchschauen.

Die ganze Angelegenheit sei nur mit bestimmten Persönlichkeiten möglich gewesen – und durch das von Sebastian Kurz in der ÖVP implementierte System, das er schon während der Zeit von Parteichef Mitterlehner aufgebaut hat, meint der Nationalratsabgeordnete der NEOS, Dr. Helmut Brandstätter. Dieses System habe Kurz nach seiner Machtergreifung in die Republik getragen. Beispielsweise lässt sich aus den Protokollen belegen, dass nicht der auf die Verfassung vereidigte Minister Hartwig Löger das Finanzministerium geführt hat, sondern dessen Mitarbeiter Thomas Schmid, der jetzige ÖBAG-Chef. Alle wichtigen Entscheidungen wurden und werden zentralistisch vom Kanzler und einer kleinen Gruppe an Vertrauten getroffen. Während die Protokolle zeigen, dass es der FPÖ „nur“ um Postenbesetzungen ging, habe die ÖVP versucht, unsere Demokratie in ein Präsidialsystem umzuwandeln, das nicht mehr demokratisch geführt und das Parlament entmachtet wird.

Der Wirtschaftsprüfer und Nationalratsabgeordnete der SPÖ, Dr. Christoph Matznetter, weist darauf hin, dass der Ausschuss zwar auf Grund des Ibiza-Videos und der möglichen Machenschaften der FPÖ installiert wurde, sich aber im Zuge der Ermittlungen ein wesentlich größerer Fall von Korruption in den Reihen der ÖVP offenbarte. Beispielsweise lässt sich aus den Protokollen nachweisen, dass, bevor es noch eine Ausschreibung für den Posten des ÖBAG-Chefs gab, in ÖVP-Kreisen schon fixiert war, dass Thomas Schmid diesen Job übernehmen wird („Schmid AG“). Die rigorose Einteilung von Personen in Feinde und Familie – dazwischen gibt es nichts – zeigt die eindimensionale Geisteshaltung der Verfasser und birgt die Gefahr der Orbanisierung in sich: Komplette Kontrolle bei gleichzeitiger Bekämpfung jeglicher Opposition. Das Sittenbild, welches sich aus den Chats und den sonstigen sichergestellten Dateien ablesen lässt, zeigt, dass es auf Grund der Allmachtsfantasien offensichtlich auch keine moralischen Schranken mehr für die handelnden Personen in dieser Causa gab.

Die Ablenkungs- und Framing-Versuche der türkisen ÖVP, die Grenzen zwischen Moral und strafbarem Handeln, die wirksame Bekämpfung korrupter Strukturen mittels Transparenz und der Meinungskauf durch politische Inserate sind weitere Themen dieser sehr informativen Diskussion.

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Kurznachrichten oder die Buberlprotokolle Wolfgang Müller CC BY SA 4.0