Krisendemokratie: Hat der Staat versagt und braucht es einen Wandel im Politikstil?

Politik

An dem Tag, an dem Sebastian Kurz seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern erklärt, sprechen die beiden Journalisten Hans Rauscher und Anneliese Rohrer in einer Diskussionsrunde des BSA Döbling über die politische Entwicklung während der Pandemiebekämpfung, das populistische System und das Krisenmanagement des Staates. Braucht es Politiker, die ihr Verhalten am Gemeinwohl orientieren, nicht an einer Umfrage? Ist die Politik zu einem Umdenken auf allen Ebenen überhaupt imstande?

Buchautorin Rohrer nennt die Diskrepanz zwischen Popularität und Wissenschaft in der Politik als Grund für die Spaltung der Gesellschaft. Auch Moderator und Generalsekretär des BSA Richard Sattler bezeichnet diese Entwicklung als strukturelles Problem der Politik. Expertenmeinungen das Maß aller Entscheidungen sein zu lassen, erfordert laut der Journalistin und Kolumnistin der Tageszeitung „Die Presse“ Anneliese Rohrer großen politischen Mut. Vielmehr wurde in der Pandemiebekämpfung, die sie als Staatsversagen betitelt, auf illiberale Demokratie und Zuschauerdemokratie gesetzt, um uneingeschränkt Macht ausüben zu können. Beflügelt wurde dieses System von der gesamtgesellschaftlichen Umgebung und den Medien. Durch die Krise und die damit verbundenen Umstände wurden sämtliche Vorgänge offen gelegt und für die Zivilbevölkerung sichtbar.

Entscheidend beim Vertrauensverlust in die Regierung war für den Kolumnisten der Tageszeitung „Der Standard“ Hans Rauscher vor allem die fehlende Stabilität in den letzten Jahren. Auch er spricht von einer gelenkten Demokratie. Autoritäre Tendenzen lassen sich bei einer Umfrage des Österreichischen Demokratie Monitors beobachten: 20 % der Menschen, die die Demokratie als bevorzugte Regierungsform betrachten, sprechen sich für einen „starken Führer“ aus, der einer Diktatur gleicht. Der populistischer Ansatz hat jedoch zum Verlust der Autorität und Entfremdung großer Wählerschichten beigetragen. Die Zivilgesellschaft hat sich in den letzten Wochen immer stärker engagiert, obwohl oder gerade weswegen laut Rauscher die Politik und ein Großteil der Institutionen in der Pandemie versagt haben.

Inwiefern die Bevölkerung bereit ist, wegen eines Krisenmanagements ihre Freiheit aufzugeben, löst eine neuerliche Debatte aus, so Rohrer. Ein kleines Land lebt vom gesellschaftlichen Austausch und Konsens, der laut Rauscher zu verloren gehen droht. Auf die Einbindung der Zivilgesellschaft darf in einer Demokratie keinesfalls verzichtet werden. Kritisch betrachtet Hans Rauscher die Rolle der Medien bei der Einführung von Mindeststandards für die Politik. Anneliese Rohrer fordert Zivilcourage und Politikwissenschaft ein. Mit dem Bruch des österreichischen Systems der Konsensdemokratie wird für Rauscher deutlich, dass die gemeinsame Erfahrungswelt der älteren Generationen wie die Bedrohung des Kommunismus und die Nachkriegszeit in vielen Teilen der heutigen Gesellschaft fehlt.

Die Regierung wäre laut dem Journalisten Hans Rauscher handlungsfähig, wenn sie die Gesellschaft, die Institutionen und die zurechnungsfähige Opposition miteinbeziehen würde. Es bedarf eines demonstrativen Signals. Notwendige Schritte und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie würden anerkannt werden, wenn sie plausibel erscheinen und durch die Wissenschaft gestützt wären. Anneliese Rohrer ist sich sicher, dass politisch nur mehr gewonnen werden kann, wenn sachbezogen gehandelt wird. Laut ihr hat keiner der Akteure etwas zu verlieren. So rufen beide Experten zu neuem Mut und Handlung in der politischen Landschaft Österreichs auf.

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Krisendemokratie – Hat der Staat versagt Wolfgang Müller CC BY SA 4.0