Der Weisheit letzter Schluss – Krieg und Mensch
Ein kommentierender Wochenrückblick KW 17/23
Neben den seit Jahren bzw. Jahrzehnten bestehenden Konflikt- und Kriegsherden in dieser Welt, richtet sich der Fokus im Moment einerseits auf die schon seit einiger Zeit erwartete Frühjahrsoffensive der Ukraine gegen die russischen Besatzer; andererseits nehmen die Spannungen zwischen China und den USA durch gegenseitige Drohgebärden von Mal zu Mal zu. Das Krieg keinen Sinn hat, sollte der vernunftbegabten Menschheit eigentlich einleuchten. Dennoch gibt es Menschen, die sich gerade durch diese sinnlose, verlustträchtige und nur Verlierer produzierende Konfliktlösungsstrategie, Erfolg erhoffen bzw. sogar Gewinn(e) erzielen.
Gewalttätige Konfliktaustragung existiert möglicherweise schon seit Menschengedenken, zumindest aber schon viele Jahrtausende lang, im Kleinen wie im Großen. Die Geschichte ist voll davon, ebenso das literarische Schaffen, aus dem ich zwei Beispiele herausgreifen möchte.
William Shakespeare leitet seine Tragödie von Romeo und Julia mit folgenden Worten ein:
Two households, both alike in dignity
(In fair Verona, where we lay our scene),
From ancient grudge break to new mutiny,
Where civil blood makes civil hands unclean.
From forth the fatal loins of these two foes
A pair of star-crossed lovers take their life;
Whose misadventured piteous overthrows
Doth with their death bury their parents’ strife.
Erich Fried überträgt die Stelle so ins Deutsche:
Zwei Häuser, gleich an Rang, seht, die inmitten
Der guten Stadt Verona, unserm Ort,
In altem Groll zu neuem Aufruhr schritten,
Daß Bürgerhand rot wird vom Bürgermord.
Den Lenden der zwei Todfeinde entsprang
Ein Paar von Liebenden, die Unglück haben.
Ihr Unstern wird, ihr bittrer Untergang,
Mit ihnen auch der Eltern Streit begraben.
Was auf dem Weg zum tragischen Ende passiert, ist Krieg im Kleinen, anschaulich und abschreckend erzählt. Die klassische Tragödie hat ja zum Ziel, dem Zuschauer einen Spiegel vorzuhalten, um ihn zur Katharsis, einer Läuterung, zu bewegen.
Die Tragödien, die solchen kriegerischen Auseinandersetzungen geschuldet sind und uns tag- und leider auch schon alltäglich in den Medien vor Augen geführt werden, sollten uns auch zum Wandel, ja zur Umkehr bringen. Doch sie tun es nicht, versetzen uns vielmehr in Angst und Schrecken und führen dazu, dass wir unser Hirn ausschalten, anstatt es für kreativere und konstruktivere Lösungen einzusetzen. Auch das ist eine Strategie der Mächtigen, um ihren Willen durchzusetzen, koste es was es wolle. Und es kostet viel, aber nicht die an der Macht Befindlichen, sondern bloß all jene, die hier mitmachen (müssen).
Das andere Werk ist Leo Tolstois Historiengemälde über die Napoleonischen Kriege von 1805-1812. Anhand persönlicher Verstrickungen der Protagonisten erzählt er die historischen Ereignisse im Russland jener Zeit. Der Titel „Krieg und Frieden“ ist ein wenig verwirrend wie ich finde, der Autor hat sich aber bewusst dafür entschieden, nachdem er zuerst aber das Wort „ мир“ (Friede) in der alten russischen Rechtschreibung mit „ миръ“ geschrieben hat, was eigentlich Welt, Gesellschaft, Gemeinschaft oder Nation bedeutet. Das entspricht dem Inhalt deutlich besser. Seit der Rechtschreibreform 1918 existiert nur noch die erste Schreibweise, die beide Bedeutungen umfasst, was uns die Möglichkeit gibt, es auch im zweiteren Sinne zu verstehen. Auch Tolstois Ausführungen regen zu ausführlichem und kritischem Nachdenken an, kommt uns der Krieg durch die Erfahrungen der Hauptpersonen doch ganz nahe.
Auch andere aktuelle Ereignisse sind ja voll von „Krieg“ – oder zumindest vom durchaus synonym zu verstehenden „Kampf“. Wir kämpfen gegen eine Virusinfektion oder eine andere, möglicherweise todbringende Krankheit, gegen die Natur und die ihr innewohnenden „Katastrophen“, gegen den Klimawandel, gegen das Aus im Viertelfinale, gegen das herrschende Narrativ, gegen den grillenden Nachbarn und gegen so manch anderes. Auch der Kampf für etwas kann durchaus von Gewalt getragen werden, die immer auch zu Gegengewalt führen kann und viel zu oft sogar wird.
In Finnland geht momentan sogar die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg um, der das Land vor rund 100 Jahren schon einmal massiv erschüttert hat und dessen Auswirkungen sogar bis heute noch zu spüren sind. Im Kampf der Roten (Linke und Kommunisten) gegen die Weißen (Bürgerliche) setzten sich damals die Konservativen durch. Die etwas mehr als vier Monate dauernde bewaffnete Auseinandersetzung forderte mehr als 36 Tausend Tote, davon 10 Tausend allein durch gegenseitige Hinrichtungen. Aktuell geht es ja in Finnland um eine neue Regierung, der mit deren Bildung beauftragte Vorsitzende der siegreichen Kokoomus möchte dabei – erstmals in der Geschichte des Landes – die nationalistischen Perussuomalaiset (PS), die bei der Parlamentswahl Rang zwei erreichten, einbinden. Das veranlasste den linken Vizebürgermeister Helsinkis – wie die Tageszeitung Turun Sanomat (TS) berichtet – die Menschen des Landes aufzufordern, gegen diese Möglichkeit auf die Straße zu gehen. Im Gegenzug warnte ein Mitglied der PS vor Zuständen wie beim Sturm auf das Kapitol in Washington und rief die Sicherheitskräfte des Landes auf, die demokratischen Einrichtungen vor den Protestierenden zu schützen. In einem Kommentar in TS vom vergangenen Wochenende wird in diesem Zusammenhang auf die kriegerischen Ereignisse vor 105 Jahren hingewiesen, die die Bevölkerung massiv spalteten.
Auch im „Kampf gegen den Klimawandel“ wird politisch und medial leider sehr einseitig berichtet, in dem alles auf CO2 und die Lösung Elektroenergie reduziert wird. Vernachlässigt und vergessen wird dabei, dass der Mensch – möglicherweise schon seit Menschengedenken, zumindest aber schon viele Jahrzehnte – einen Krieg gegen die Natur führt. Als schon in der Bibel beschworenes Wesen, dass sich in Gottes Auftrag und von Gottes Gnaden die Erde untertan machen soll, hat er vergessen, dass er ein Teil der Natur ist – und nicht deren Widerpart. Der Biologe Andreas Weber, den ich schon in meinem Kommentar der letzten Woche zitiert habe, erinnert uns in all seinen Werken an diese Tatsache. Er führt auch „Corona-Pandemie“ und Klimawandel auf dieses widersinnige Eingreifen der selbst ernannten „Krone der Schöpfung“ ins Ökosystem zurück und plädiert dafür, unser gesamtes Verhalten der Um- und Mitwelt gegenüber zu verändern und den „Krieg“ gegen die Natur ein für alle Mal zu beenden.
Tatsächlich scheint es so, dass wir Menschen lieber Symptome mit zum Teil unnützen Mitteln bekämpfen wollen, als dass wir Grundsätzliches in Frage stellen und daraufhin ändern. Mit beteiligt an dieser Sicht ist auch das unsägliche Bildungswesen, dass uns verkauft, dass es auf alle Fragen eine richtige und viele falsche Antworten gibt. Das verhindert nicht nur die für die Bewältigung von Herausforderungen und die Entwicklung von Problemlösungen dringend nötige Kreativität, es bringt den Menschen als ursprünglich kooperatives Wesen schnell in Konkurrenzsituationen, die auch als Kriege im Kleinen erlebt werden können, auch wenn sie meist nicht mit körperlicher, sehr wohl aber oft mit psychischer Gewalt einher gehen. Bei all dem, wo ein Für und Wider besteht, setzt sich dieses uns anerzogene kriegerische Bewusstsein fort und führt zu Lösungen, die von denen vorgegeben werden, die als die „Stärkeren“ erlebt werden. Doch diese Stärke ist nicht gleichzusetzen mit der dafür nötigen Weisheit.
Die Kriege, zu denen Menschen sich verschworen haben, werden erst dann aus der Geschichte verschwinden, wenn sich die Sicht der Weisen durchsetzt, was durchaus langen Atem erfordert, da sie sich friedlicher Mittel bedient. Nur diese Perspektive aber wird es uns ermöglichen, uns für etwas einzusetzen, anstatt für oder gegen etwas zu kämpfen.
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