König, Kaiser, Kardinal – eine Wiener Legende

KARDINAL
Gesellschaft

Thomas J. Nagy verfasst zum 110. Geburtstag eine Biographie über Franz König (1905-2004), dem bedeutendsten Kirchenmann der II. Republik

Ein großes Leben verdient eine große Würdigung. Dies gelingt Thomas J. Nagy.

Der frühere Wiener Domministrant Nagy trägt eine überzeugende Fülle verschiedener Stimmen zusammen. Auch dazu, dass Franz König „ein begeisterter, leidenschaftlicher Seelsorger [wurde], dem die Jugend besonders am Herzen lag“ (49). Ebenso zeichnet „König, Kaiser, Kardinal“ aus, dass der Biograph am Beginn vieler Abschnitte die Zeitläufte komprimiert und dennoch Wesentliches benennend zu beschreiben weiß. Davon ausgehend bricht er die Geschehnisse hinsichtlich des Wirkens der Hauptfigur herunter.

Franz König, geboren in Warth bei Rabenstein in Niederösterreich, verlor seinen Vater bereits als Sechsjähriger. Der Stiefvater, Johann Kaiser, späterer ÖVP-Landtagsabgeordneter, interessierte sich kaum für ihn. Ständig trieb er ihn zur Arbeit an und behandelte die sechs Kinder aus der ersten Ehe seiner Frau, Franz‘ Mutter, deren Ältester er ist, schlechter als die vier eigenen mit ihr. Dabei sind Franz‘ Schulleistungen exzellent und seine Arbeitsleistungen enorm. Darunter litt König bis ins höchste Alter. Oft wirkte er in sich gekehrt und hatte erhebliche Schwierigkeiten, Gefühle preiszugeben oder Andere zu loben. Der niederösterreichische Stift Melk in Trägerschaft des Benediktinerordens prägte ihn als Teenager in seinem Welt- und Menschenbild, auch für den geistlichen Weg. Schon bald folgten Studienjahre in Rom in der Zwischenkriegszeit. Nagy beschreibt, wie die Studenten angehalten wurden, diszipliniert zu leben und die Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen: „Das Zerbrechliche und Vergängliche der Welt und ihrer Menschen prägte ihn zeit seines Lebens“. Der Biograph will überdies den in bedrückender, gefahrenvoller Zeit handelnden Akteuren gerecht werden, ohne „Persilscheine“ auszustellen: „Die katholische Kirche erlebte ein mehrfaches Dilemma, denn durch die [im Jahr 1929 mit dem italienischen Machthaber Mussolini geschlossenen] Lateranverträge hatte der Vatikan seine Souveränität zwar wiedererlangt, doch Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes (…) können dem Heiligen Stuhl nicht verborgen geblieben sein.“ Unmissverständlich erklärt Nagy: „Die Vertreter der katholischen Kirche hatten jahrelang mit den Austrofaschisten sympathisiert und kollaboriert, hofften sie doch, durch die (…) Neuordnung verlorengegangenes Ansehen und Machtzurückzuerhalten.“ Über Jahre hinweg wurde der  talentierte, leidenschaftliche Lehrer und respektierte Kaplan von der Gestapo observiert. Insbesondere die Jugendlichen und die Frauen, deren Männer an der Front standen, wollte er unterstützen. Erst vehementes Insistieren des Papst Pius‘ XII. Ende 1955 ließ ihn einwilligen, aus St. Pölten nach Wien zu wechseln. Österreichs bei weitem wichtigste Diözese, mit dem Stephansdom (Steffl) als Herz, leitete König von 1956 bis 1985. Erst mit 80 legte er das Amt zurück – ohne auf die Erlaubnis aus Rom zu warten.

Franz König waren die intellektuelle wie die emotionale Ebene seiner christlich-geistlichen Existenz gleichermaßen wichtig. Mit Thomas von Aquin, der Aristoteles christlich wendete, meinte er: „Es steckt ein Strukturprinzip im Weltall, eine große Ordnung (…)“

Im Jahr 1960 verunglückte er im Auto schwer. Sein Kiefer zertrümmerte mit Langzeitfolgen, der Chauffeur starb. Fragwürdig ist, wie Nagy den schweren Unfall Königs im Jahr 1960 beschreibt. Die Witwe des toten Chauffeurs warf König vor, ihren Mann zur Raserei gedrängt zu haben. Dies wurde von Kirchenleuten stets entschieden zurückgewiesen, obwohl (mit einer Ausnahme) niemand dabei war. Der Biograph prüft keine andere Version, außer die gängige, wonach der Fahrer abgelenkt gewesen sei, weil er einen Apfel aß.

Während der Kardinal lange allein im Krankenbett in einem jugoslawischen Spital verbrachte, sah er an der Wand ständig ein Bild Titos. Sein weiteres Schaffen prägte über Jahrzehnte der Gedanke: „Der Wiener Erzbischof muss sich um das kümmern, was jenseits des Eisernen Vorhangs im Bereich der katholischen Kirche vor sich geht.“ Bei seinen Ausführungen zum Zweiten Vatikanischen Konzil gelingt es Nagy, auch die mentale bzw. emotionale Situation zu verdeutlichen. Ebenso, zahlreiche Facetten zu übermitteln, ohne sich in Details zu verheddern.

Die theologische Restauration, die Erzbischof König schon bei seinen Reisen zu seinem Warschauer Kollegen aufstieß, bekam weltkirchliche Ausmaße, als Erzbischof Karol Wojtyła aus Krakau im Oktober 1978 Papst wurde. DIe Auseinandersetzungen zwischen einem der wichtigsten Konzilsväter und dem polnischen Papst beeinflussten die Spätphase der Amtszeit Königs sowie die Zeit danach erheblich. Statt der erhofften Öffnung durch die vom Wiener Würdenträger maßgeblich beförderte Wahl eines Slawen zum Pontifex gab es Streit mit Rom:

Der Papst warf König vor, in wesentlichen ethischen Fragen vorzupreschen sowie nicht abgesprochene Standpunkte öffentlich zu vertreten und in Erklärungen zu manifestieren. Dies galt insbesondere für die Haltung zur Empfängnisverhütung sowie zum Schwangerschaftsabbruch. Weit davon entfernt, Pille und Abtreibung zu legitimieren, maß Kardinal König der Gewissensentscheidung von Paaren sowie der Existenz kirchlicher Beratungsangebote große Bedeutung zu. Das Kirchenoberhaupt hingegen erkannte bei diesen wesentlichen Fragen der Sexualmoral keinen Verhandlungs- oder Gestaltungsspielraum. Hinzu trat, dass Johannes Paul II. den Wiener Kardinal für die (auch) in Österreich sinkenden Mitgliederzahlen der katholischen Kirche verantwortlich machte. Ebenso dafür, dass sich die Bindungskraft ihrer Institutionen insgesamt rasch erheblich verringerte. Trotz der schmerzlichen Kritik tat der ausgleichende, von großem Respekt vor dem Heiligen Stuhl beseelte und zu unbedingtem Gehorsam bereite Franz König seinen Verdruss nie öffentlich und direkt kund: „Enttäuschungen hat Franz König nicht gezeigt, sondern lieber geduldig (…) diskutiert.“

Was an dem vorliegenden Buch stört, sind die oft falschen Altersangaben mehrerer Personen:
Der Abstand von 1985 bis 2003 beträgt 18 Jahre, nicht 13. Im Jahr 1985 wurde König 80, nicht 85. Papst Johannes XXIII. war am Beginn seines Pontifikats nicht erst 71, sondern schon 77, König 1978 73, nicht erst 68 Jahre alt.

Überdies widmet sich der Biograph dem Umgang Königs mit der Sozialdemokratie. Der Erzbischof sprach sogar beim Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) vor, was ihm den Beinamen „roter Kardinal“ einbrachte. Dies war wenig schmeichelhaft gemeint, half König jedoch dabei, Brücken zu bauen. Angesichts seiner eigenen kärglichen Herkunft, zahlreichen Besuchen in Fabriken seiner Diözese und aus unzähligen Gesprächen kannte er die Lebensbedingungen, Sorgen, Ängste und Nöte der „kleinen Leute“. In den Medien sprach er sogar zugunsten sozialdemokratischer Politikziele. Kardinal König wollte die Lage der Arbeiter verbessern, gerade diejenige junger Menschen. Dazu bringt Thomas J. Nagy ein anschauliches Beispiel: Das seines Vaters, der mit 21, kürzlich aus Ungarn geflohen, bei der Trümmerbeseitigung am Erzbischöflichen Palais von König angehalten wurde, seine Chancen zu nutzen. Der Oberhirte kannte alle(s) in Wien.

Schon am Anfang schreibt Nagy, er habe als Ministrant 1977/8 den Handabdruck Königs am Bischofsstab berühren wollen. Ob man dies als zu anhimmelnd wertet, ist eine Geschmacksfrage. Die Bilder, an zwei mittleren Stellen im Buch komprimiert eingefügt, enttäuschen etwas: Es gibt relativ wenige, die Erklärungen sind kurz und es werden kaum Zuordnungen hinsichtlich Zeit und Ort vorgenommen bzw. wo Franz König zu sehen ist. Bei einigen Zitaten fehlt manchmal ein grammatikalisch notwendiges Wort, das redaktionell hätte eingefügt werden müssen.

Auch innerkirchliche Differenzen in Wien spart Nagy nicht aus: Der linke Theologe und Priester Adolf Holl war ein brillanter Wissenschafter, der in den 1960er Jahren rasch Zugang zu Kardinal König erhielt. Sie schätzten sich wechselseitig und arbeiteten zusammen. Ab Mitte der 1960erJahre kritisierte Holl immer offener und grundsätzlicher die Amtskirche sowie die Ausübung des Glaubens in den kirchlichen Institutionen. König persönlich hegte Sympathien für Holl. Daher bot er ihm später bspw. finanzielle Unterstützung an. Dennoch blieb ihm nach „Anschwärzungen“ in Rom nichts Anderes übrig, als Mitte der 1970er restriktive Schritte gegen den journalistisch agierenden Provokateur einzuleiten. Dieser war inzwischen zum Bestsellerautor von „Jesus in schlechter Gesellschaft“ avanciert. Besonders traf König das Desaster um seine Nachfolge Mitte der 1980er: Ohne ihn um Rat zu fragen und trotz vieler weiterer Vorschläge, entschied sich Papst Johannes Paul II. für den erzkonservativen Benediktinerpater Hans Hermann Groer. Dieser war in Wien von Beginn an äußerst unbeliebt. 1995 wurde öffentlich, dass er als Lehrer im Knabenseminar Hollabrunn wiederholt sexuell übergriffig geworden sein soll – Schützlinge und Mitbrüder berichteten bspw. im „profil“. Groer schwieg dazu bis zu seinem Tod 2003.

Fesselnd ist nicht zuletzt das Schlusskapitel zum Menschen Franz König: Weggefährten beschreiben den Kardinal durchwegs sehr positiv, seinen Lebensstil bis hin zu Ernährung, Bewegung und seine körperliche wie geistige Fitness bis an die 100; auch auf seine „Kinder“ wird eingegangen: Er kümmerte sich um junge Einwanderer aus Ostasien. Ebenso äußert sich König zum Wert von Heimat. Dass er keine leiblichen Kinder oder Geliebte hatte, vermittelt Nagy glaubwürdig. Der mannhaft-stattliche, belesen-eloquente König hatte ein Doppelleben schlicht nicht nötig. Er hätte auch als „Weltlicher“ jede Menge Lebenschancen gehabt. Die lange Liste jener Personen, die ihm Referenzen erweisen, ist geradezu sensationell: International, weltanschauungs- und generationsübergreifend besteht nach wie vor hohe Anerkennung für König. Der Biograph nimmt sich dabei zurück. Viele kontaktierte Zeitzeugen sind in Personalunion Experten für bestimmte Teilbereiche, meist aufgrund des eigenen Lebensweges.

Thomas J. Nagy gelingt eine Biographie, die das Zeug zu einem Standardwerk hat. Dies gilt auch in Bezug auf ein langes Stück Zeitgeschichte des Katholizismus Österreichs. Ebenso hinsichtlich der II. Republik mit ihren enormen Wandlungen. Der Wiener Unternehmensberater verbindet Respekt vor dem Kardinal und persönliche Erfahrungen im Umgang mit einem multiperspektivischen Blick auf ihn. Getragen wird sein gut lesbares Werk vom Bemühen, den handelnden Akteuren epochenübergreifend Respekt und Fairness zuteilwerden zu lassen. Franz Königs langes Leben enthält weiterhin Schreibstoff.

Nagy, Thomas J.; Kaiser, König, Kardinal: Auf den Spuren von Kardinal Franz König.
Styria Verlag. Wien/Graz/Klagenfurt, 2015. 324 Seiten, 24,90 Euro.

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Kaiser, König, Kardinal: Auf den Spuren von Kardinal Franz König. Styria ©
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