Journalisten unter Lebensgefahr

journalisten unter lebensgefahr
Gesellschaft

Veranstaltungsdaten

Datum
2. 5. 2016
Veranstalter
Friedrich Funder Institut
Ort
APA-Forum, Laimgrubengasse 10, Raum Innsbruck
Veranstaltungsart
Podiumsdiskussion

In der Einleitung bezieht sich Claus Reitan (freier Journalist) auf die zum Tag der Pressefreiheit veröffentlichten jährlichen Statistiken von Reporter ohne Grenzen: 57 Journalisten wurden weltweit getötet, über 500 verhaftet, 51 entführt.

Eine zentrale Veränderung der Situation für Journalisten in Krisenregionen, so Petra Ramsauer (freie Journalistin), hat durch den islamischen Staat Einzug gehalten. Konnte man bei Terrororganisationen wie der PLO oder der Hisbollah davon ausgehen, dass sie die Journalisten benötigten, um eine weltweite Resonanz zu erzeugen, so übernehmen das die Propagandaabteilungen des IS selbst. Ausländische Journalisten werden entweder zu Erpressungszwecken entführt oder für martialische Propagandavideos enthauptet. Für den Journalisten bedeutet das einerseits eine konkrete Lebensgefahr, die über das übliche Maß des Risikos, aus einer Krisenregion zu berichten (Verwicklung in Kämpfe oder Bombardements, Krankheiten) hinausgeht. Andererseits muss er sich fragen, ob die Berichterstattung vor Ort eine (im Entführungsfall) diplomatische und finanzielle Einmischung seines Heimatstaates rechtfertigt.

Martin Staudinger (Profil) berichtet von seinem kürzlichen Aufenthalt in der zentralafrikanischen Republik. Was er dabei hervorhebt ist der Luxus eines Europäers, nach einer Woche wieder in die Heimat fliegen zu können, und diverse Risiken für die Zeit des Aufenthalts absichern zu können. Einheimische müssen oft unter sehr viel schwierigeren Bedingungen ihren Job ausüben und sind – wie im mexikanischen Drogenkrieg – nicht nur auf Leib und Leben bedroht, sondern müssen auch mit bestialischen Foltermethoden und Übergriffen auf ihre Familien rechnen. In Österreich werde das Wort vom mutigen Journalisten angesichts solcher Arbeitsbedingungen viel zu häufig strapaziert.

Thomas Seifert (Wiener Zeitung) wirft die Frage auf, was heut zu Tage alles als Journalismus gilt, aber eigentlich Propaganda ist. Er erinnert an Radiosprecher, die vor Beginn des Bürgerkriegs in Ruanda tagelang gegen Volksgruppen gehetzt haben. Auch Russia Today, ein Sender, der von der russischen Regierung kontrolliert wird, wird kritisch erwähnt. In Bosnien gehören aufgeschlitzte Reifen zum Tagesgeschäft eines Journalisten. Auch wenn man dort kaum noch um sein Leben fürchten muss, so ist freier Journalismus unter diesen Arbeitsbedingungen nicht gewährleistet.

Edgar Schütz (APA) zitiert Reporter ohne Grenzen, die auch in Mitteleuropa steigende Zahlen von (teils körperlichen) Übergriffen gegen Journalisten melden. Dies kann langfristig selbst in relativ freien Ländern wie Deutschland zu Selbstzensur führen. Aus Syrien sei es momentan schwierig, an gesicherte Informationen zu kommen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte wird laut Schütz‘ Schilderung von einer einzigen Person betrieben, die der Opposition nahesteht und in London sitzt. Diese mag zwar in Syrien gut vernetzt sein, es ist allerdings schwer zu überprüfen, ob die Aussendungen tatsächlich immer die Wahrheit wiederspiegeln – ein Punkt, der gerade für Presseagenturen, die vielfach als Filter für andere Medien fungieren – sehr wichtig ist.

 

Freiheit der Presse weltweit
Freiheit der Presse weltweit

Spätestens seit dem Irak-Krieg 2003 stellt Thomas Krallinger (VÖZ) den zunehmenden Versuch der Meinungskontrolle durch staatliche Organe fest. Die nationale Sicherheit wird in vielen Ländern als Argument genommen, um Journalisten einzuschüchtern oder zu überwachen. Dies gilt gegenwärtig sowohl für demokratischen Staaten, wie auch für Diktaturen.

Die Propagandaschlacht über die sozialen Medien habe sich vor allem im Ukraine-Krieg gezeigt, als plötzlich facebook accounts auftauchten, die mit aller Vehemenz die russischen Positionen darstellten und verteidigten. Auf der anderen Seite finden sich Webseiten wie www.stopfake.org, die in diesem Hybridkrieg die ukrainische Propaganda befördern. In den Niederlanden kam es im Zuge der Ukraine-Abstimmung ebenfalls zu einer Propagandaschlacht, wobei die russischen Seite mit den holländischen Rechten zusammenarbeitete, aber auch die Ukrainer tatkräftig ins Geschehen eingriffen. Ein russisches fake-Video wurde dabei entlarvt. Die dreisten Lügen, die in diesen Hybridkriegen immer öfter verwendet werden, sind oft nur mit einem gewissen Aufwand zu widerlegen. Ein weiterer Effekt ist, dass der Angegriffene die Vorwürfe entkräften muss und damit wertvolle Zeit und Ressourcen einsetzen muss.

Durch die massiven Einsparungen vieler Printmedien hat sich die Zahl angestellter Auslandskorrespondenten in den letzten Jahren stark reduziert. Meist wird auf unabhängige Journalisten zurückgegriffen. Im aktuellen Syrienkrieg kommen 78 Prozent aller Beitrage von ebendiesen. Diese Lücke in der Berichterstattung haben die sozialen Medien erkannt und den durch die Einsparungen entstandenen Platz gefüllt.

Die Menge an Informationen macht das Vergleichen selbiger für den Konsumenten schwierig – man weiß nicht, ob es sich um echte Information, Propaganda, Second-hand-Journalismus oder ähnliches handelt. Diesen Umstand können nur „journalistische Bodentruppen“ vor Ort beheben. Wie man die Kosten dafür tragen kann ? Krallinger schlägt Verlagskooperationen vor, auch mit Fernsehstationen. Im Chaos, das die sozialen Medien oft hinterlassen, sieht er die Chance für die etablierten Medien – die Nachfrage nach echten Nachrichten und Erklärungsmodellen sei so stark wie lange nicht. Dies bestätigt auch Frau Ramsauer, die sich ob der Nachfrage nach Vorträgen zu Syrien kaum erwehren kann. Eine weitere Form der Finanzierung von Auslandsjournalisten kann sich Krallinger im Zuge einer längst überfälligen Reform der Presseförderung vorstellen.

Eine Publikumsfrage beschäftigt sich mit der Nähe der Medien zum gesellschaftlichen Establishment. Der Vorwurf (oft zusammengefasst unter dem Begriff Lügenpresse): Grundsätzliche Probleme werden oft nicht oder zu zaghaft angesprochen, weil Journalisten starke Verbindungen zu Meinungsmachern aufweisen. Seifert stimmt im Hinblick auf Wirtschaftsjournalisten zu. Doch selbst bei diesen wie auch in sonstigen Themenbereichen gibt es immer wieder kritische Geister, so z.B. Martin Wolf in der Financial Times, oder Uwe Krüger, dessen Bücher Meinungsmacht und Mainstream Erwähnung finden.

 

Alle Diskussionsteilnehmer orten eine Abnahme des Schutzes von Journalisten durch die Politik. Journalisten, die in ihren Heimatländern verfolgt werden, werden zu selten zu europäischen Vorträgen/Konferenzen eingeladen, um so ein Signal an die Regierungen der betreffenden Länder zu senden. Wenn Außenminister Kurz den ägyptischen Präsidenten as-Sisi für seinen Krieg gegen den IS lobt, aber gleichzeitig darüber hinweg sieht, dass die Verfolgung von Journalisten in Ägypten dramatisch zugenommen hat, dann sendet das ebenso falsche Signale, wie der Kniefall Merkels vor Erdogan im Fall Böhmermann. Als sich der türkische Botschafter in Wien kürzlich über eine an Böhmermann angelehnte Karikatur in der Wiener Zeitung persönlich beschwerte, blitzte er damit beim Chefredakteur ab. Diese Standhaftigkeit sollte bei allen Medien Einzug halten, egal wem gegenüber.

Angriffe auf die Pressefreiheit dürfen nicht als Bagatelle angesehen werden. Der qualitative Journalismus ist laut Seifert die erste Firewall der Demokratie, und momentan verbrennen sich bereits zu viele Journalisten die Hände. Dem Angriff auf die liberale Demokratie durch Regierungen wie die der Türkei, Polens, Ungarns und Russlands gilt es offensiv entgegenzutreten. Die eingekehrte Defensivposition, in der sich die Demokratie aktuell befindet, muss überwunden werden.

Zum Ende sieht Martin Staudinger in den vielen neuen technischen Möglichkeiten eine große Chance für den Journalismus. Es ist nicht mehr unbedingt notwendig, immer vor Ort zu sein, wenn man sich mit vertrauenswürdigen Personen über Skype und andere Werkzeuge austauschen kann.

Credits

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journalisten unter lebensgefahr journalisten unter lebensgefahr William Brawley CC BY SA 4.0
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