Ich mache weiter mit meinem Studium über die Stammeskultur

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Lebenswelten

Und hier nun das, wie es immer ist – man kennt die Geschichte. Ist jemand von den Verantwortlichen wach? Oder ist den Menschen immer noch nicht klar, dass wir vor groben Veränderungen stehen?! Wenn die verantwortlichen Idioten nur ihr eigenes Leben zerstören würden, wäre es nicht so schlimm – aber was geschieht mit den Kindern und jenen, die sich nicht in ihren Villen verstecken und sich nicht aus ihrer Not herauskaufen können? Mensch, sei klug und erkenne die Zeichen. Mein Zorn hilft nicht. Wir sollten uns vorbereiten, für uns selbst und für diejenigen, die leben wollen.

(Aus: Mensch, sei klug und erkenne die Zeichen)

Tag 11, 13-06-02:

Ich hörte das morgendliche Rumpeln in der Küche und beschloss, noch etwas länger zu schlafen. Die lange Nachtfahrt hatte mich nämlich fertig gemacht. Nun bin ich auf dem Weg zum Marktplatz, um George abzuchecken, den Silberschmied. Er ist da, und ich mag ihn sofort.

Da an seinem Arbeitsplatz kein ruhiges Gespräch möglich ist, bringt er uns ein paar Kilometer weiter entfernt zu sich nach Hause. Wir erklären ihm die Grundstruktur der geplanten Workshops und was er von Österreich erwarten kann. Dann nimmt er uns mit ins Hinterzimmer, um uns seine Arbeit zu zeigen.

Silber, Messing, Kupfer, Halbedelsteine, Armbänder, Ringe, Ketten … Sein Stil ist sowohl zeitgemäß als auch klassisch, und er macht auch alle Arten von Reparaturen. Er meinte, auch Zugang zu antikem Schmuck zu haben, den er für die Präsentationen mitnehmen könnte. Alles in allem fühlen wir uns wohl damit, dass er kommt, und hoffen, dass sich auch genug Leute zu Hause dafür interessieren. Dass sie begreifen, dass diese Handwerkskünstler echte und keine Bilderbuch-Indianer sind, die nach Europa kommen würden, um abzukassieren, zu saufen, weiße Frauen abzuschleppen und in unechten Kostümen herumzutanzen.

Wir verspüren die Lust, ein bisschen aus dem Reservat herauszukommen, und schlagen einen Kinoausflug nach Farmington vor. Filme wie „Spiderman“ für uns Jungs, um Kindheitserinnerungen aufzufrischen. Garrett, der Weber, und Blackhorse kommen mit. Ich fahre in Garretts kleinem blauen Auto mit. Wir finden heraus, dass wir am selben Tag Geburtstag haben (mit elf Jahren Altersunterschied), hören die schönsten Aufnahmen von Gebeten und Liedern (eine Navajo-Version der Nationalhymne inklusive), und ich beantworte Tausende Fragen über meine Heimat.

Der Film ist, naja, amerikanischer Action-Brei. Aber die vegetarischen Burger danach sind gut – im Vergleich zum Rest des Mülls, den man ansonsten in den öffentlichen Restaurants zu verdauen gezwungen ist. Jetzt ernten wir von überall her seltsame Blicke. Es ist an diesem Ort nämlich nicht üblich, mit Indianern herumzuhängen. Das Banner mit den Sternen hängt schließlich überall. Auf dem Weg ins Bett muss ich über Strategien zur Veränderung nachdenken … ein ehrliches Herz und einen gesunden Körper zu haben, schätze ich … und ausreichend Ruhe zu finden! Shash

Tag 12, 14-06-02:

Aufwachen. Ein neuer Tag beginnt, die Wüstensonne erhebt sich rapide, der Wind ist voller Sandpartikel und es besteht keine Chance auf Regen. Uns wurde gesagt, dass viele Familien ihr Vieh (Rinder, Schafe …) zu sehr niedrigen Preisen verkaufen müssen, weil sie sonst verhungern würden. Selbst wenn sich das Klima bald wieder normalisiert, wird es noch bis zu zehn Jahre dauern, bis sich die Weiden erholt haben und das Vieh wieder aufgezogen werden kann. Nur wer weiß, wie eng der traditionelle Navajo-Lebensstil mit den Tieren verbunden ist, kann sich die Tragödie der gegenwärtigen Situation vorstellen. Aber die Eingeborenen haben dem Aussterben getrotzt und werden überleben.

Nach unserem täglichen Update geht Tom alleine los, um Barney zu besuchen. Ich bleibe bei Blackhorse, um meine Heimreise zu organisieren und mein Studium über die Stammeskultur fortzusetzen.

Am Nachmittag besuchen wir Tante Rosi und Onkel Raymond (er war einer meiner Förderer anlässlich meiner Initiation im letzten Jahr). Beide sind wirklich gut im Business und machen außergewöhnliches Handwerk. Rosi ist dabei, die erstaunlichste Steppdecke von allen zu finalisieren – mit einem prächtigen Adler in einheimischem Stile als Ornament in der Mitte. Sie sind generell ganz herzige Menschen. Rosi geht los, um einen großen Beutel Navajo-Tee für Lisa und mich zu holen, und Blackhorse weigert sich, mich dafür bezahlen zu lassen. Wir fahren runter nach Farmington und mieten ein Auto, damit ich es für die Fahrt nächste Woche nach Phoenix habe.

Der Tag vergeht wie im Fluge. Blackhorse erzählt mir Geschichten über meine riesige Adoptivfamilie und von den verschiedenen Aspekten der Geschichte und Gegenwart der Navajo. Hoffentlich kann ich euch bald einmal von diesen Erkenntnissen erzählen! Vieles davon könnte und sollte von Interesse sein, da viel Wissen über diese Welt für unsere Kultur verlorengegangen ist.

Auf unserer Fahrt tritt Blackhorse immer wieder fest auf das Bremspedal. Wir halten an und pflücken Pflanzen, die neben der Autobahn wachsen. Aus ihnen wird ein guter, gesunder Tee, sobald sie getrocknet, gereinigt und richtig zubereitet sind. Hey, ich muss endlich mal etwas über das Zeug herausfinden, das bei uns zu Hause auf unserem Boden wächst!

Wir gehen spazieren, als die Luft ein wenig abkühlt. „Ears“, einer der Schäferhunde (ihm fehlt das linke Ohr), läuft mit uns mit und erweist sich als amüsanter Begleiter. Wir wandern vorbei an bitterem Wasser in Bächen, die früher als letzter Vorrat galten, umgeben von einer verstaubten Salzlake. Kühlschränke, Fernseher, alte Autos und Tonnen von leeren Bierflaschen befinden sich hinter jedem kleinen Hügel und überall auf dem Feldweg. Da die Stromleitung, die L.A. und Vegas mit Strom versorgt, durch das Weideland verläuft, sind die Straßen, die für die Instandhaltung genutzt werden, zu Lieferrouten für Müll geworden. Nachdem sie ihre Scheiße weggeworfen haben, öffnen die sorglosen Arschlöcher ihre Biere, nehmen ihre Drogen und feiern, bis sie wieder in die Stadt ausweichen. Hardcore-Eingeborenenleben. Die Realität auf dem heiligen Land.

Ich werde von Abend zu Abend immer früher müde. Die Hitze macht mich mürbe. Wir bekommen einen Anruf, der uns über den Tod von G.s Großmutter informiert. Was so viel bedeutet wie, dass das für morgen für Ashley geplante Pubertätsritual (inklusive Sandmalerei) um mehrere Wochen verschoben werden muss. Sie wollte doch, dass ich dabei bin. Jetzt sind wir ein wenig traurig, dass ich es verpassen werde. Aber tradierte Gesetze sind Gesetze. Ich gebe zu, dass ich froh sein werde, wieder zu Hause zu sein, ich denke an dich … Schlaf gut, Shash.

Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen

Credits

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8680970283_814fcc5442_o 8680970283_814fcc5442_o Hometown Beauty CC BY-ND 2.0

Diskussion (Ein Kommentar)

  1. danke für deine Gedanken!