Ich fühle mich lebendig
Nachdem wir im Motel eingecheckt hatten, riefen wir wieder Blackhorse an. Er antwortete und war verärgert, dass wir nicht durch die Hintertür in sein Haus kamen. Er hat natürlich unsere Zimmer vorbereitet. Nun, wir verabredeten uns zum Abendessen an den ‚Three Rivers‘, und er kam von Shiprock herunter, um die nächsten Tage zu besprechen und uns über die Dinge zu informieren, die sich auf der Ranch und in der Familie ereigneten. Nach dem Abendessen gaben wir ihm eine der CDs, die wir für ihn produziert hatten (Danke, Rob!) und er war richtig aufgeregt und glücklich. Puh, bin ich froh! Gute Nacht, Sascha ist auf dem Weg ins Traumland.
(Aus: Wenn das gewaltige Firmament den Planeten küsst)
Tag 3, 05.06.02:
Vegetarische Omeletts zum Frühstück in einem Restaurant am Straßenrand. Treffen bei Gerris Haus in Shiprock und sofortige Abreise zum Ort der Hochzeit in Sweetwater. Gerris Bruder Will kommt für die Fahrt in unserem Auto mit, damit wir uns auf den staubigen Pisten nicht verlieren. Einige Meilen außerhalb der Stadt nehmen wir einen weiteren Bruder mit, der plötzlich aus dem Nichts auftaucht und seinen Daumen hinausstreckt. Eine Dreiviertelstunde dauert es bis zur Abzweigung bei Red Mesa und dann siebzehn Meilen durch die Wüste. Die „Straße“ sieht aus wie eine Teststrecke für Raupen und fühlt sich auch so an, und manchmal machen uns die Sandverwehungen richtig kribbelig. Ohne ein Allradfahrzeug spielt man hier draußen wahrlich mit dem Glück.
Wir biegen links ab, den Hügel hinauf, den Hügel hinunter, rechts und wieder rechts, dann geht es weiter geradeaus zum Wasserreservoir … Schotterstraßen kann man als die letzte Abwehr gegen den ultimativen Sieg der Zivilisation verstehen – mögen sie gesegnet sein! Wir erreichen die Siedlung und werden von der gewohnten einheimischen Szenerie begrüßt: ein Heim hier aus Isolationsmaterial und Holz, ein paar Häuschen aus irgendeinem Material dort, eine abgelegene Schwitzhütte, eine Schafsstallung, Autowracks und …: ein Haufen Kleinkinder, Hühner, Kätzchen, Hunde und Welpen, frei herumstreunende Pferde mit ihren Fohlen, die Oma und Verwandte, und alles verwirbelt sich in eine Art heiteres Chaos. Obgleich lebhaft, ist hier draußen nichts neurotisch.
Wir erhalten unsere Instruktionen, um den Ort für die Hochzeit vorbereiten zu können. Es werden viele Leute erwartet, und Arbeit gibt es zuhauf. Übrigens: Ein paar Meilen die Straße hinunter findet soeben eine dieser unzähligen christlichen Konfessionsmissionierungen statt (und alle haben sie die einzige Wahrheit parat), und die Leute dort haben ihre Hilfe angeboten.
Tom und ich werden sie befragen. Hoffentlich.
Nachdem wir unsere Aufgaben erledigt haben, machen wir uns auf den Rückweg – Tom stellt sich gut an dabei, uns wieder heil auf den Highway zu befördern. Wir kommen bei Blackhorses Haus an, als er gerade mit seinem Truck einfährt. Er steigt in einem dunklen Anzug (!) aus und sagt, dass wir uns beeilen sollen, weil wir zum Abendessen mit dem Rektor und den Mitarbeitern des Diné College in Farmington eingeladen sind. Statt der Entspannung nach einem anstrengenden Arbeitstag brechen wir den Rekord im Aufräumen und darin, uns in die Trachten zu werfen. Trotz alledem kommen wir zu spät. Jetzt essen wir, dann erheben wir uns und stellen uns vor … Die Navajo-Leute sind aber sehr nett zu uns und machen sogar ein paar Witze auf unsere Kosten – das ist ein gutes Zeichen. Kurzum: ein wichtiger Abend für NativeNow! Mal sehen, was sich alles entwickelt.
Nachdem wir zu Hause angekommen sind, besuchen wir kurz Ashley, das ist die Großnichte von Blackhorse. Ich kann ihr endlich das Buch geben, das man mir für sie mitgab und mich für das tolle Bild bedanken, das sie für mich gemalt hat. Sie ist neun Jahre alt und eine wirklich aufgeweckte junge Dame. Jetzt schaue ich mir noch die Sterne an, bevor ich zu Bett gehe – der Große Wagen erinnert mich an Zuhause … Grüße an alle, Shash.
Tag 4, 06.06.02:
Ich stehe täglich im ersten Morgenlicht auf, um mit meinem Gastgeber zu frühstücken und zu plaudern. Es gibt Navajo Tee, Obst und Joghurt. Nun gehe ich raus, um „das Haus der Morgendämmerung“ zu sehen, repariere den Autoreifen und möchte den Hausschlüssel duplizieren lassen – wir haben nämlich den einzigen Schlüssel von Blackhorse bei uns; und wenn wir nicht zuhause sind, dann ist Blackhorse ausgesperrt. Die Hitze jedoch hat sich so intensiviert, dass es sich anfühlt, als ob die eigenen bewussten Gedanken verdunsten; jede Bewegung scheint ein Kampf mit der Schwerkraft, den ich verliere. Somit schaffe ich es nicht, den Schlüssel nachmachen zu lassen. Aber kaum naht die Dämmerung, lockert sich der Griff von Vater Sonne.
Wir machen uns mit dem Lastwagen auf den Weg zum Black Mesa, um das Vaterland des Clans von Blackhorse zu besuchen. Das Land, wie ein jedes Land, das von menschlicher Ausbeutung unberührt ist, spricht die Sprache der Schöpfung; es ist die Lehre für jene, die zuhören wollen, für jene, die noch nicht tot sind. Die Menschen haben hier gelebt, ohne das Land zu zerstören. Ein paar Felsen im Kreis sind das einzige Zeichen menschlicher Anwesenheit. Hier streunen verlassene Hühner und stehen fast unsichtbare Getreidespeicher in Felsen eingebettet.
Meine Gedanken und Träume kreisen unter der glitzernden Kuppel des Nachthimmels. Ich schicke sie dir, Shash.
PS: N. Scott Momaday, „The Man Made Of Words“: Sprache steht im Kontext zu unsereren Erfahrungen. Wir wissen, wer wir waren, wer wir sind und wer wir sein können auf der Ebene der Worte, der Sprache. Hier der Song, der von mir geschrieben wurde:
I am a feather in the bright sky I am the blue horse that runs in the plain I am the fish that rolls, shining, in the water I am the shadow that follows a child I am the evening light, the lustre of meadows I am an eagle playing with the wind I am a cluster of bright beads I am the farthest star I am the cold of the dawn I am the roaring of the rain I am the glitter on the crust of the snow I am the long track of the moon in a lake I am a flame of four colors I am a deer standing away in the dusk I am a field of sumac and the pomme blanche I am an angle of geese in the winter sky I am the hunger of a young wolf I am the whole dream of these things You see, I am alive, I am alive I stand in good relation to the earth I stand in good relation to the gods I stand in good relation to all that is beautiful I stand in good relation to the daughter of Tsen-tainte You see, I am alive, I am alive.
Übersetzung Englisch-Deutsch: Anna Dichen
Credits
Image | Title | Autor | License |
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Fallende Vogelfeder | Louise Docker | CC BY 2.0 |
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